Inhalt
Die Verfasserin nimmt das Konstrukt 'Altersbild' auf, wie es im Sechsten Altersbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2010) formuliert worden ist. Umschrieben als "kollektive, organisationale und individuelle Deutungsmuster" (Sechster Altersbericht 2010, S. 13) regen Altersbilder zu einer differenzierten Betrachtung des Alters und des Alterns an und werden mit der Forderung nach einer Revision von vereinfachten und vereinfachenden Vorstellungen von älteren Menschen verbunden. Dies gilt umso mehr, als die häufig in Medien transportierten Vorstellungen sich in Vorurteilen und Stereotypen zu dieser Altersgruppe niederschlagen können, für die auch Heranwachsende empfänglich sind. Im Rahmen der Sozialisation von Kindern im Vorschulalter spielt das Bilderbuch, das vornehmlich adressiert ist an die Gruppe der noch nicht selbst Lesenden, eine bedeutsame Rolle. Die vorliegende Mixed-Methods-Studie setzt hier mit dem Anliegen an, die in aktuellen Bilderbüchern tatsächlich aufzufindenden Altersbilder zu identifizieren und kritisch zu hinterfragen.
In einem ersten Schritt soll über eine qualitative Untersuchung – ausgehend von der Frage "Wie werden alte Menschen in Bilderbüchern dargestellt?" – eine "offene Annäherung an das Thema" (S. 49) ermöglicht werden. Daraus werden Indikatoren für die aufgefundenen Kategorien der Darstellung von Alter in Bilderbüchern formuliert. Ein zweiter Schritt sieht vor, diese unter Hinzuziehung eines standardisierten Beobachtungsbogens an einem größeren Sample quantitativ zu überprüfen (ebd.).
Im Hinblick auf die Auswahl des Samples stützt sich die Autorin auf eine breit angelegte Suche mit Einschränkung auf den Zeitraum 2000 bis 2022. Berücksichtigt wurden dabei nur deutschsprachige Bilderbücher, die in den Jahren 2000 bis 2022 erschienen sind und die eine narrative Struktur aufweisen. So gelangt sie zu einer Auswahl von 121 Publikationen (Stichprobeneinheit), von denen 62% im Original auf Deutsch erschienen sind. Die in diesen vorkommenden 169 alten oder älteren Personen sind in Haupt- oder Nebenrollen zu finden und bilden mit Blick auf die eigene Untersuchung die Codiereinheiten für die sich anschließende Inhaltsanalyse (S. 78).
Kritik
Zu Beginn der Arbeit werden Definition, Merkmale und aktuelle Entwicklungstendenzen zum Bilderbuch als Basis für die eigene Fragestellung detailliert referiert. Ausgewählte Illustrationen sind als anschauliche Belege herangezogen (S. 21–41) und werden auch im empirischen Teil durchgehend eingefügt. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Darstellung älterer Figuren, die in den Werken vornehmlich als Handlungsträger fungieren. Mit Blick auf die Aufarbeitung zum "Forschungsstand" (S. 43–47) wäre es im Hinblick auf die Transparenz des Vorgehens wünschenswert gewesen, wenn die Autorin vorab Kriterien für das Auffinden relevanter Studien formuliert hätte. Der Darstellung ist zu entnehmen, dass deren Anzahl insgesamt eher gering ist. Unter ihnen befinden sich auch solche, die in englischer Sprache publiziert sind – z. B. eine dreiteilige Untersuchung aus dem amerikanischen Raum, die in den Jahren 1988, 1994 und 2002 durchgeführt wurde (vgl. S. 44f.).
In dem zentralen und umfangreichen empirischen Teil der Arbeit (S. 49–113) reflektiert die Autorin im Sinne von "Nachvollziehbarkeit" als Gütekriterium zunächst ihr eigenes Vorverständnis (Geragogik-Studium, persönliche Erfahrungen) und weist das gewählte methodische Vorgehen als Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden ("Mixed-Methods-Ansatz") aus, um das "Forschungsziel bestmöglich zu erreichen" (S. 49).
Die zunächst dargebotene qualitative Untersuchung hat das Ziel, Kategorien für die nachfolgende Inhaltsanalyse aufzufinden und orientiert sich an den theoretischen Vorgaben zur sogenannten Grounded Theory (nach Strauss/Corbin 1996). Ein erster Schritt ist als "offenes Kodieren" umschrieben und dient dazu, möglichst viele Phänomene und relevante Kategorien aufzudecken. Ein zufällig ausgewähltes Bilderbuch mit einem alten Menschen in der Hauptrolle, das zunächst noch durch zwei weitere eine Ergänzung erfährt, wird verschriftlicht und mit Hilfe computergestützter Verfahren schrittweise"aufgebrochen" und so die Kodes ermittelt (z. B. die Orte, an denen sich die Hauptperson aufgehalten hat). Daraus werden Kategorien abstrahiert (wie Raum, Mobilität oder Hobbys). Über das "Axiale Kodieren" wird die Suche nach Verbindungen zwischen den Kategorien aufgenommen, so dass eine Art von "Beziehungsnetz" um die jeweils im Fokus stehende ältere Person herum entsteht (S. 52f.). In der Orientierung an den genannten theoretischen Vorgaben entwickelt Wanner ihr eng auf den Gegenstand bezogenes Vorgehen, das sie mit den einzelnen Schritten und in dem Bemühen um große Transparenz darstellt und reflektiert.
Die sorgfältig durchgeführten komparativen Analysen der Verfasserin auf der Grundlage weiterer Bilderbücher zum Themenfeld führen zu einer Auswahl von zehn alten Figuren, die sich in der Wiedergabe von übersichtlich gestalteten, grafischen Darstellungen – den so bezeichneten "Kodierparadigmen" (S. 51) – spiegeln. Diese stellen das Phänomen, die mit einer kurzen Umschreibung gekennzeichnete ältere Person, ins Zentrum (z. B. der "unternehmungslustige Senior und Opa", der "demente Heimbewohner", die "resiliente Einsiedlerin"). Diese schlagwortartigen Umschreibungen ergeben sich aus den im Bilderbuch gefundenen ursächlichen Bedingungen für das gezeigte Bild eines alten Menschen, den resultierenden Handlungsstrategien (Tun der alten Menschen, Interaktion mit anderen und ihren Einstellungen) sowie den daraus folgenden Konsequenzen mit den "Reaktionen auf das jeweilige Altersbild" (S. 75ff.). Als Kontext werden darüber hinaus die im Bilderbuch verwendeten gestalterischen Mittel einbezogen. Letztlich können auf dieser Basis neun zentrale Rollen für Menschen in dieser Altersphase ausgemacht werden (z. B. Betreuung und Fürsorge für Kinder, Rückblick und Erinnern, Zuhören und Beraten, aber auch negative Lebenssituationen wie Krankheit oder Einsamkeit).
In einem zweiten Schritt werden Bilder und Texte einer quantitativen Untersuchung mittels einer Inhaltsanalyse unterzogen (S. 75ff.). Für diese wurde ein Erhebungsbogen mit 27 – so bezeichneten – "Fragen" erarbeitet, der die bibliografischen Angaben der analysierten Bücher aufnimmt, die Informationen zu den dargestellten alten Figuren zusammenträgt und dabei die in der qualitativen Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse als Kategorien zugrunde legt. Dieser ist einschließlich der Ergebnisse im Anhang ausführlich dokumentiert und kann über einen Link auf der Seite des kopaed Verlages eingesehen werden. So geht es u. a. um die quantitative Erfassung biografischer Informationen zu den im Bilderbuch dargestellten älteren Person und ihrer sozialen Kontakte, ihres Gesundheitszustands oder ihrer Mobilität. Dabei sind Text- und Bildmerkmale berücksichtigt und Abbildungen aus den Büchern als Beleg an verschiedenen Stellen eingefügt. Besonders hervorzuheben ist, dass über die Wiedergabe einzelner Zitate auch auf die Befindlichkeit der älteren Menschen selbst eingegangen werden kann und nach der Erzählform der Geschichte gefragt wird. Durch dieses Vorgehen gelingt es Wanner, eine Vielfalt an Informationen über die in den Bilderbüchern dargestellten älteren Personen zusammenzutragen.
Die über das qualitative Vorgehen in das Blickfeld geratenen Rollen und Tätigkeitsfelder, in denen ältere Menschen in den Bilderbüchern vorkommen, können durch die quantitative Analyse im Wesentlichen bestätigt werden und sind von der Autorin übersichtlich zusammengefasst. Dazu gehört die vorherrschende Darstellung als Großelternteil, die in den Bilderbüchern nur spärlich gegebenen biografischen Informationen oder das Verfügen über eine gute Mobilität. Andere Problemfelder bleiben dagegen eher ausgeklammert. So gibt es kaum Darstellungen zu alten Menschen in prekären Lebensverhältnissen oder von solchen mit einem Migrationshintergrund. Einer kritischen Reflexion bedürftig sind die in den analysierten Büchern dargestellten Betätigungsfelder, die gerade bei älteren weiblichen Figuren eine Tendenz aufweisen, "überholte Rollenklischees" wiederzugeben. Darauf weist die Autorin ausdrücklich hin (vgl. S. 113).
Für die Gesamtbilanz ist auch von Belang, wer die Geschichte jeweils erzählt. Die Erzählperspektive wird in fast der Hälfte der analysierten Bücher durch eine kindliche Ich-Erzählperson ausgefüllt. Dabei ist im Blick zu halten, dass sich dahinter notwendigerweise der Autor oder die Autorin verbergen. Diese treten bei fast der Hälfte der analysierten Bücher als auktoriale Erzählperson auf und bringen ihre jeweilige Sichtweise ein. Daneben kommt es auch vor, dass eine ältere Person selbst das Erzählen aus der eigenen Perspektive in einer kurzen Textsequenz übernimmt (vgl. S. 110). Lediglich an zwei Bilderbüchern waren auch Kinder unmittelbar beteiligt und kamen mit ihrer Ansicht zu Wort.
Fazit
Wenn auch die Autorin zu dem Schluss kommt, dass "die Darstellung alter Menschen in Bilderbüchern verbreiteter ist […] als man auf den ersten Blick vermutet" (S. 115), kommen empirische Untersuchungen zu den darin enthaltenen Altersbildern in der Forschung nur selten vor. Umso bedeutsamer ist die hier sehr sorgfältig durchgeführte und dokumentierte Studie zu diesem Themenfeld. Die detailliert dargestellte Vorgehensweise ist eng auf den komplexen Forschungsgegenstand bezogen und nachvollziehbar dokumentiert. Gleichwohl wäre es wünschenswert gewesen, einzelne Arbeitsschritte in Abstimmung bzw. Durchführung mit einer weiteren Person auszuführen.
Der Autorin gelingt es, differenzierte Überlegungen auf dem Weg zu einer Entwicklung "facettenreicher Altersbilder" in Bilderbüchern anzustoßen. Das kann dazu beitragen, Vorurteile und Stereotypen – insbesondere entlang der in der Studie aufgefundenen Problemfelder – abzubauen (S. 121f.). Die im letzten Abschnitt formulierten "Handlungsempfehlungen" haben auch verschiedene Zielgruppen im Blick. So sollte es darum gehen, Verlage für das Themenfeld "Alter" zu sensibilisieren, Empfehlungslisten für Eltern und Großeltern zu erstellen oder auch Angebote zur Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern bzw. auch von Lehrkräften zu erarbeiten.
Literaturverzeichnis
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Altersbilder in der Gesellschaft. Berlin 2010.
Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet M.: Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz, 1996.
- Name: Andrea Wanner