Inhalt

Die Handlung des Films setzt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ein. Thomas Schramm, ein 13-Jähriger aus Schlesien wird auf der Flucht von seiner Mutter getrennt. Er landet in Wien. Die Stadt ist von den Alliierten besetzt. Verstörte, ausgehungerte und kranke Menschen irren in den Ruinen umher. Der Tauschhandel blüht. Wer als Bauer noch über Lebensmittel verfügt kann sich glücklich schätzen. Die wertvollsten Dinge wechseln für eine Brotkrume den Besitzer. Ein König des Schwarzmarkts ist Eberhard Wimmer, den man wegen seines amputierten Beins nur 'Krücke' nennt. Durch Zufall begegnen sich Thomas und Krücke. Krücke hat einen Narren an dem zarten und intelligent dreinblickenden Jungen gefressen. Thomas hat seinen Vater im Krieg verloren. Auch seine Mutter bleibt vorläufig verschollen. Also quartiert Krücke das verwaiste Kind kurzerhand in seinem Bauwagen ein. Doch nicht für lange, denn russische Besatzer sprengen sein bescheidenes Domizil in die Luft.

Krücke bezirzt die Jüdin Bronka. Er überredet sie, ihm zusammen mit dem Jungen, den er nun ganz amerikanisch 'Tom' nennt, vorübergehend Unterschlupf zu gewähren. Bronka arbeitet als Kellnerin in einem Jazz-Club. Sie richtet es so ein, dass Tom und Krücke sich in dem Club nützlich machen können. Aus den Dreien wird eine Art kleiner Familie, eifersüchtig beäugt vom Club-Inhaber Ferdi, der ein Auge auf seine attraktive Bedienung geworfen hat.

Obwohl das Lokal vorübergehend schließen muss und alle vor Kälte und Hunger darben, hat diese chaotische Zeit auch ihre witzigen Seiten. Krücke hat die Idee zu einer Landpartie. Ferdi kann einen LKW besorgen. Auf geht es zu einer Handlungsreise, bei der Teppiche gegen eine Herde von Ferkeln eingetauscht werden. Auf dem Weg zurück in die Stadt müssen die verschiedenen Sektorengrenzen überquert werden. Bei jeder Patrouille wird ihnen mindestens eins der Borstentiere als Zoll abgenommen. Da Ferdi sich mehrmals verfährt, verkommt die Irrfahrt zu einer absurden Odyssee durch das besetzte Land. Am Ende bleibt ihnen nur ein Ferkel. Doch immerhin. Sie haben wieder etwas zu beißen.

Das Glück währt nicht lang. Die Deutschen beginnen mit der Rückführung ihrer Landsleute. Schweren Herzens nehmen Krücke und Tom Abschied von Bronka, die den beiden ins Gewissen redet: Sie sollen dorthin gehen wo sie herkommen. Denn irgendwo in Deutschland wird Toms Mutter ganz gewiss auf ihren Jungen warten.

Die Fahrt in einem überfüllten Zug wird zu einer Reise ins Desaster. An kalten Dezembertagen finden sich Tom und Krücke in einem Viehwaggon inmitten von kranken und verrückten Menschen wieder. Auf dem Ödland in einer schrecklich kalten und zugleich winterlich verzauberten Schneelandschaft strandet der Zug, dem die Kohlen ausgegangen sind. Ein Überlebenskampf in einem unwirtlichen Niemandsland beginnt. Von einem Bahnwärter in der Nähe ist keine Hilfe zu erwarten. Auch die einzige Krankenschwester ist alsbald überfordert. Die Menschen sterben wie die Fliegen. Sie verhungern, erfrieren und erliegen ihren Krankheiten.

In dieser desolaten Lage versucht Krücke wenigstens die Kinder aufzumuntern, indem er sie von den schrecklichen Vorkommnissen ablenkt. Er besorgt ihnen an Heiligabend im listigen Tausch gegen ein Eisernes Kreuz Weihnachtsgeschenke. Die Nachwirkungen Hitler-Deutschlands werden spürbar. Ein Eisernes Kreuz hat in den Augen eines verkappten Anhängers soldatischer Ehre noch immer einen hohen Nimbus. Der vom Faschismus genährte Militarismus lebt weiter. Krücke nutzt die Vorlieben der ewig Gestrigen auf seine Art. Zu dem Eisernen Kreuz dichtet er eine persönliche Legende, die den Wert des Ordens mit einer gewaltig übertriebenen und komplett erfundenen Heldentat, enorm aufwertet. So ergaunert er sich überlebenswichtige Nahrungsmittel und Bücher für die Kinder.

Doch wenig später wird er selbst von einem Malaria-Schub niedergestreckt. Gäbe es da nicht eine couragierte Mitreisende, die nahrhafte Hühnersuppe kocht und den gleichgültigen Schrankenwärter endlich bewegt, Hilfe herbeizuordern, es wäre um Krücke geschehen. Doch kaum ist er wieder genesen, da ist Krücke wieder ganz der Alte. Während er zum Vergnügen aller versucht, auf einem Bein Schlittschuh zu fahren, kehrt die Lokomotive mit einem Tender voll Kohlen zurück. Es kann weitergehen Richtung Passau, wo – wie Krücke inzwischen erfahren hat – Toms Mutter ihren Sohn erwartet. In Passau angekommen gibt es ein heiß ersehntes Wiedersehen und einen schweren Abschied für die ungleichen Freunde, die einander sehr ans Herz gewachsen sind.

Abb. 1: Screeenshot aus Krücke. Verleih: absolut medien.

Kritik

Kriege wirken lange nach. Wer den Krieg überlebt, der bleibt mit Verletzungen, Traumatisierungen und Verlusten zurück. Das Leben will wieder gelernt werden. Was es hieß, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder bei Null anzufangen, daran erinnert Peter Härtling in seiner Romanvorlage zum Film Krücke, der viele autobiografische Bezüge enthält. Man muss sich zurechtfinden in Armut und einer zerrütteten Gesellschaft. Die Kamera von Gernot Roll folgt ganz der subjektiven Sicht des Protagonisten. Das Chaos der letzten Kriegstage erlebt man in Totalen mit Menschenmassen in Panik und direkt im Umschnitt auf die Sichtweise des Jungen mit kippenden Blickwinkeln in Detailaufnahmen. Auch im Rundgang durch die Ruinen der Stadt folgt der Zuschauende dem suchenden Blick des Jungen. Es entsteht ein sehr realistisches Bild der Trümmerlandschaften, die von kümmerlichen Gestalten bevölkert werden. Leider werden solche Momentaufnahmen zugekleistert von einer getragenen Musik mit leichten Jazzanklängen, die den Zuschauer auf eine sich anbahnende ungleiche Freundschaft einstimmen soll.

Jörg Grünlers zu Herzen gehender Film lässt in allen erschreckenden Einzelheiten wieder das aufleben, was die Wiederaufbau-Generation unter der sprichwörtlichen Formel von der 'schweren Zeit nach dem Krieg' subsumierte. Denen, die ihre Haut gerettet hatten, blieb nichts anderes als ihr Überlebenswille, der gewiss nicht bei jedem so ausgeprägt war wie beim Optimisten Krücke. Ein Stehaufmann auf einem Bein, der – wenn er vom Verlust seines Unterschenkels erzählt – selbst daraus eine bizarre Legende zimmert, an der ein verlorenes Kind wie Tom für einen Moment seinen Spaß haben kann. In der Regie von Jörg Grünler ist Peter Härtlings Erzählung ganz auf den überaus einnehmenden Heinz Hoenig zugeschnitten, der den Kriegsversehrten Krücke mit einer äußeren Energie ausstattet, die über seine innere Zerrissenheit hinwegtäuschen soll. Hoenig verleiht dem gerissenen Schwarzmarkthändler die Aura eines mit allen Wassern gewaschenen Lebemannes, der sich selbst in den misslichsten Verhältnissen seinen bärbeißigen Optimismus bewahrt. Aber innen drin – das spürt man in seiner väterlichen Beziehung zu dem Jungen – fühlt er sich wie ein einsamer, verletzter Wolf.

In Hoenigs Darstellung gerät der respektlose Krüppel zu einem Schlitzohr und Lebenskünstler, dessen überschwängliche Emotionalität auch überraschende Tiefe zeigt und so auf den sensiblen Tom ebenso wie auf die selbstbewusste Bronka ausstrahlt. In ihrer berückenden Präsenz stehen der aufgeweckte Götz Behrendt und die zauberhaft mondäne Martina Gedeck Heinz Hoenig kaum nach.

Abb. 2: Screeenshot aus Krücke. Verleih: absolut medien.

Fazit

Krücke ist einer der Filme, die nicht dem vordergründigen Konzept eines Kinderfilms folgen, der realistische Themen von großer Dramatik tendenziell ausspart und statt dessen Kino-Traumwelten als Schonraum für harmonische Medienerlebnisse anbietet. Mit Krücke wird die emotionale Reise eines Kindes durch die Beschwernisse des Nachkriegsdeutschlands auf eine Art erzählt, die für Kinder durchaus zugänglich ist und die lehrreich sein kann, wenn sich junge Zuschauende den Jungen Thomas als einen Vertreter ihrer Großelterngeneration vorstellen. Empfohlen ab 12 Jahren. 

Titel: Krücke
Regie:
  • Name: Jörg Grünler
Drehbuch:
  • Name: Jörg Grünler
Erscheinungsjahr: 1993
Dauer (Minuten): 98
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
FSK: 12 Jahre
Format: Kino
Krücke (Jörg Grünler, 1993)