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1961: Die exzentrische und in sich gekehrte Autorin der Mary-Poppins-Bücher, Pamela Lyndon Travers (Emma Thompson), hat keine geregelten Einkünfte mehr: Ihre Bücher (1934 erschien der erste Band zu Mary Poppins) verkaufen sich nicht und geraten in Vergessenheit. "Die Verkaufszahlen sind im Keller, keine Tantiemen mehr, Sie weigern sich, neue Bücher zu schreiben…", wie ihr Agent die Lage beschreibt. Daher rät er ihr dringend, sich nicht länger zu sträuben und die Filmrechte zu Mary Poppins endlich Walt Disney (Tom Hanks) zu überlassen, der seit 20 Jahren danach anfragt.

Schweren Herzens entschließt sich Mrs. Travers einzuwilligen, um sich vor dem Ruin zu retten. Allerdings will sie persönlich nach Los Angelos fliegen und die Produktion des Films überwachen – sie befürchtet, Disney würde aus ihrer geliebten Mary Poppins eine alberne, singende und sentimentale Figur schneidern, die nichts mehr mit der strengen, zurückhaltenden und doch höchst poetischen Persönlichkeit aus ihren Büchern gemeinsam hat. Kein Zeichentrick und Mitspracherecht beim Drehbuch – dies sind ihre Bedingungen. Mrs. Travers hat sehr genaue Vorstellungen davon, was alles nicht im Film vorkommen darf: "Mary Poppins singt nun mal nicht (das wäre frivol für eine Gouvernante), hüpft nicht herum, ist nicht albern".

In Amerika angekommen, fühlt Mrs Travers sich einerseits dem kulturellen Zusammenstoß nicht gewachsen, andererseits überkommen sie mit Beginn der Drehbuchbesprechungen Kindheitserinnerungen. Diese gelten vornehmlich ihrem Vater (Colin Farrell), der als Bankangestellter unglücklich war und nur in den Spielen mit seiner Lieblingstochter Pamela (Annie Rose Buckley) er selbst sein konnte: Bei jeder Gelegenheit erzählt er seiner Tochter Märchen und schafft aus Alltagsdingen verzauberte Realien. Die reale Welt ist für ihn nur eine Illusion und diesen Glauben an die Kraft der Phantasie möchte er seiner Tochter weitergeben.

Abb. 1: Pamela Travers allein in ihrem Hotelzimmer. Verleih: Walt Disney

Die Diskussion um Mary Poppins und hundert andere Kleinigkeiten, die Mrs. Travers an dem Drehbuch nicht passen, verlagert sich merklich immer mehr zur Person von Mr. Banks, der eigentlich Travers' eigenen Vater verkörpert. Sie empfindet seine Rolle im Film als gefühllos und kann nicht ertragen, wie er mit seinen Kindern umgeht. Erst als der Drehbuchautor (Bradley Whitford) und die Sherman-Brüder (Jason Schwartzman, B.J. Novak), die Musik und Liedertexte für den Film schreiben, ein neues Ende vorschlagen und Mr Banks darin symbolisch in seine Vaterrolle zurückfindet, kann Pamela Travers befreit applaudieren. Ihr neu geweckter Enthusiasmus bricht jedoch jäh ab, als sie erfährt, dass eine Filmsequenz animiert werden soll. Kurzerhand reist sie ab, ohne Disney die Filmrechte überlassen zu haben.

Walt Disney reist ihr nach und kann Travers umstimmen, indem er ihr von seinem Vater erzählt, den er – wie Mrs. Travers ihren Vater – in die Figur von Mr Banks hineinprojiziert. Auch Disney plagen Kindheitserinnerungen, für die er mit der Filmadaption – und damit wenigstens auf der Ebene der Phantasie und Fiktion – ein versöhnliches Ende schaffen will.

Pamela Travers reist zu der Premiere von Mary Poppins 1964, kann sich zwar mit einigen Sequenzen (vor allem dem Zeichentrick) immer noch nicht anfreunden, erfährt aber eine Art Katharsis ihrer Kindheitserinnerungen und kann sogar wieder schreiben: ihr neues Buch soll Mary Poppins in the Kitchen heißen.

Abb. 2: Pamela Travers mit einer Mickey-Mouse-Puppe. Verleih: Walt Disney

Kritik

Saving Mr. Banks ist ein überraschender Disney-Film, der sich vorrangig an Erwachsene richtet, der Entstehung eines der größten Erfolge des Studiogründers gewidmet ist und nicht zuletzt zwei Menschen sehr einfühlsam porträtiert: Pamela Travers und Walt Disney. Beide sind erfolgreiche Menschen, deren Alltag dennoch von schweren Kindheitserlebnissen überschattet ist, die mit ihren Vätern zusammenhängen. So ist der Vater zwar für Pamela Travers ein Vorbild an Phantasie gewesen, der mit ihr gespielt und Ausflüge unternommen hat, allerdings ertränkte er sein graues Beamtendasein in Alkohol. Diese Erinnerungen an die Alkoholprobleme des Vaters und seinen plötzlichen Tod ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film und beleuchten die Szenen, in denen die gealterte Autorin um eine buchgetreue Filmadaption von Mary Poppins kämpft: Denn neben der Diskussion um Mary Poppins entsteht eine eindringliche Auseinandersetzung mit der literarischen Figur von George Banks, dem Vater der Kinder Jane und Michael im Buch.

Die dominante Persönlichkeit von P.L. Travers wird von Emma Thompson beeindruckend dargestellt in einer Kombination aus der strengen Mary Poppins, einer Tee-konzentrierten Engländerin und einer charakterstarken, kompromisslosen Frau. Ihre Eigenheiten zeigen ihre Einsamkeit und Angst davor, ihre Figuren in einer amerikanischen Produktion am Ende nicht mehr wiederzuerkennen. Gleichzeitig kann sich der Zuschauer der humorvollen Wirkung nicht erwehren, die Travers' Charakter und der kulturelle Zusammenstoß hervorbringen, als sie nach Los Angelos fliegt: Beispielweise bei ihrer Ankunft, als sie ihr Hotelzimmer mit Disney-Artikeln und Geschenken vollgestopft vorfindet, zum ersten Mal einen Fernsehapparat bedient und die amerikanischen Süßigkeiten misstrauisch beäugt.

Dieser Gegensatz, der sich mit der Zeit immer mehr verwischt und schließlich nahezu verschwindet, findet sich vor allem auf der Ebene der Dialoge – Travers ist entschlossen, alles in dieser neuen Welt negativ zu sehen. So ist sie imstande, die Mitarbeiter mit Worten wie "Welche Gräueltaten haben Sie für meine schönen Figuren heute auf Lager?" zu begrüßen. Ebenso laden die Szenen zum Schmunzeln ein, die Disneyland mit einem solchen selbstironischen Pomp inszenieren, dass man sich der Wirkung nicht entziehen kann.

Ein zweites Denkmal setzt der Film dem Studio-Gründer Walt Disney, der hier als Mensch näher charakterisiert wird und von Tom Hanks sehr menschlich und einfühlsam gespielt wird: Walt Disney ist hier der unproblematische Märchenonkel, der die schönsten Märchen und klassischen Kindergeschichten auf neue Weise erzählen will und dabei nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene im Blick hat. Das von seinen Mitarbeitern vielfach bezeugte Gespür für besondere Erzählweisen, wichtige Einzelheiten und originelle Darstellungsweisen Walt Disneys wird hier anhand der Entstehungsgeschichte von Mary Poppins eingängig vermittelt. Die stereotype Vorstellung eines Großproduzenten weicht hier dem Bild eines Menschen, der selbst neue Filmstoffe sucht, diese persönlich überwacht und sie nach seinen eigenen Vorstellungen ausarbeiten lässt, so wie das bereits bei seinem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm Schneewittchen und die sieben Zwerge der Fall war.

Für alle Mary Poppins-Liebhaber ist dieser Film besonders spannend, wenn die Entstehung der Lieder und die originalen Zeichnungen am Storyboard gezeigt werden, aus dem Musical zitiert wird oder das Vorbild für Mary Poppins in der Tante der kleinen Pamela erkennbar wird. Viele Szenen spielen intramedial auf Szenen aus Mary Poppins an, wie beispielsweise in der Schlüsselszene des Films, als die Sherman-Brüder und der Drehbuchautor ein alternatives Ende vorschlagen: Travers stimmt in das Lied mit ein und lässt sich zum Tanz auffordern, wie Mary Poppins sich den singenden und tanzenden Schornsteinfegern anschließt.

Die Fakten basieren größtenteils auf der Biografie von Valerie Lawson Mary Poppins, she wrote. The Life of P.L. Travers und den Tonbandaufnahmen, die während der Drehbuchbesprechungen aufgezeichnet wurden. Vieles weiß man auch aus den Making-of-Filmen zu Mary Poppins, in denen die Schauspieler und Mitarbeiter zu Wort kommen. Und wenn die reale Pamela Travers bei der Premiere auch nicht so überwältigt war wie im Film, so verkörpert die tränenüberströmte Emma Thompson doch diejenigen, die sich von Mary Poppins noch heute überwältigen lassen, denen das Plädoyer für Phantasie und verantwortungsbewusste Eltern über Werktreue geht.

Abb. 3: Die kleine Pamela mit ihrem Vater. Verleih: Walt Disney

Fazit

Saving Mr. Banks widmet sich nicht nur der Entstehungsgeschichte von Mary Poppins, sondern porträtiert sehr einfühlsam das Leben der Autorin der Mary Poppins-Bücher: Pamela Lyndon Travers. Im Zuge ihrer Kindheitserinnerungen steht ihr Vater im Vordergrund und verbindet sich immer mehr mit der literarischen Figur von Mr. Banks, mit dem auch Walt Disney seinen Vater assoziiert. Der Film zeigt die eigentliche Bedeutung der Geschichte um das phantasiebegabte Kindermädchen: Das Musical sprengt die Grenzen seines Genres und zeigt, wie George Banks in seine Vaterrolle hineinwächst. "Mary Poppins kam nicht, um die Kinder zu retten, sondern den Vater"  – mit ihm werden auf der fiktionalen Ebene der Erzählung alle verlorenen Väter gerettet.

Mit diesem Geflecht aus Kindheitserinnerungen und aktuellen Drehbucharbeiten ist der Film sehr abwechslungsreich komponiert. Damit stellt Saving Mr. Banks eine tiefsinnige, poetische aber auch humorvolle Disney-Produktion dar, die Walt Disney wieder die Stimme verleiht, wie sie in seinen ersten abendfüllenden Zeichentrickfilmen zu spüren war. Gleichzeitig ist es beeindruckend mit zu verfolgen, wie das vielleicht größte und persönlichste Meisterwerk Walt Disneys Mary Poppins entstand, das 1964 gleich 5 Oscars gewann.

Nicht umsonst scheint dieser Disney-Film vorrangig an Jugendliche und Erwachsene gerichtet zu sein: Die dramatischen Szenen, in denen die Alkoholprobleme des Vaters von Pamela Travers dargestellt werden, könnten auf Kinder traumatisch wirken. Der Film sei daher eher an Jugendliche ab 13 Jahren empfohlen.

Titel: Saving Mr. Banks
Regie:
  • Name: John Lee Hancock
Drehbuch:
  • Name: Kelly Marcel
  • Name: Sue Smith
Erscheinungsjahr: 2013
Dauer (Minuten): 125
Altersempfehlung Redaktion: 13 Jahre
FSK: 0 Jahre
Format: Kino
Saving Mr. Banks (John Lee Hancock, 2013)