Inhalt

"Charlie Bucket war der glücklichste Junge auf der ganzen Welt – er wusste es nur noch nicht." So beginnt die märchenhafte Erzählung um den kleinen Jungen und den großen Schokoladenfabrikanten Willy Wonka. Willy Wonka ist ein gefeierter und hocherfolgreicher Produzent von Schokolade, Kaugummi und anderen Naschwaren. Doch der Erfolg bringt nicht nur Ansehen mit sich, sondern auch Neid und Hass. Und so wird Wonka mit den Jahren nicht nur leicht größenwahnsinnig, sondern auch paranoid und misanthrop. Er versteckt sich seit Jahren in seiner Fabrik und beschäftigt anstelle von Arbeitern oder Maschinen sogenannte Oompa Loompas als Arbeitskräfte – kleine liliputaner-ähnliche Wesen, die er in einem fernen Land aufgespürt hat und sie in Kakaobohnen bezahlt. So ist es geradezu ein Wunder, dass der Chocolatier sich eines Tages dazu entschließt, doch wieder Menschen in sein Heiligstes vorzulassen. Er ruft eine Art Wettbewerb aus: Er versteckt in fünf seiner weltberühmten Schokoladen je eine goldene Eintrittskarte, die dem Kind, welches es findet, nicht nur einen ganzen Tag in der Fabrik als Preis verspricht – am Ende soll eines der fünf Kinder auch noch eine ganz besondere Belohnung erhalten.

Abb. 1: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.Abb. 1: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.

Kritik

Die ersten vier Gewinner sind förmlich klischeehafte Abziehbilder von schlechten Charaktereigenschaften und fehlenden Tugenden: August Glubsch, ein dicker, fresssüchtiger Junge aus Deutschland, isst den ganzen Tag nur Süßes und scheint nichts anderes im Kopf zu haben – er wirkt dümmlich und wie ein Trottel, ebenso wie seine Eltern. Auch seine Umgebung ist gespickt von Klischees und Vorurteilen: So soll er zwar aus Düsseldorf stammen, doch die Aufnahme zeigt ein kleines Städtchen mit Fachwerkhäusern und Geranien vor den Fenstern – ein Bild, welches sich im Rheinland doch wohl eher selten finden lässt.

Die zweite Gewinnerin, Veruca Salt, ist  der Inbegriff einer verwöhnten und verzogenen Göre aus einer vornehmen englischen Ortschaft, deren einziger Lebensinhalt darin besteht, ihrem Vater mit immer neuen und überzogenen Wünschen auf die Nerven zu gehen. Und natürlich erfüllt Daddy ihr jeden noch so verrückten Wunsch – also ließ er die gesamte Produktion seiner Nussfabrik lahmlegen und beauftragte seine Arbeiterinnen tagein, tagaus damit, Schokoladentafeln aufzureißen und nach dem goldenen Ticket zu suchen.

Die dritte Finderin einer Eintrittskarte, Violetta Beauregarde, ist ein Klon ihrer erfolgssüchtigen Mutter und ganz auf Drill und Sieg getrimmt – so steht es für sie außer Frage, dass sie am Ende den besonderen Preis bekommen wird. Und der Vierte im Bunde ist Mike Teavee: ein videospiel- und fernsehsüchtiger Junge, der mit einer Rechung und dem Kauf einer einzigen Tafel von Wonka-Schokolade das System ausgetrickst hat. Auch Mike entspricht ganz dem Klischee der 'Generation Computer': Sein Vater gibt zu, dass er die meiste Zeit keine Ahnung habe, wovon der Junge rede und Mike selbst interessiert nur, wie viele Gegner er in seinem Videospiel umgebracht hat und welchen neuesten technischen Fortschritt es gibt.

Und dann ist da schließlich Charlie, der durch Zufall und Glück der einzige Gewinner zu sein scheint, der das Ticket wirklich verdient hat. Und so klingt bereits hier leise an, was sich im gesamten Film als Burtons Botschaft herauskristallisieren wird: Die kindlichen Zuschauenden ahnen schon jetzt, dass Charlie am Ende als glücklicher Gewinner da stehen wird – und keines der anderen Kinder.

Neben den stereotypen Moralbotschaften, die Tim Burton in seinem Film vermittelt, steht die Schokoladenfabrik und die überladene und kunterbunte Welt des Willy Wonka. Der erste Ort, den die Besucher auf ihrer Reise zu Gesicht bekommen, ist die Verwirklichung der Träume aller Kinder: Ein poppig-buntes Märchenland, in dem das Gras aus Zucker ist und ein Fluss aus feinster geschmolzener Schokolade fließt. Burton inszeniert ein Schlaraffenland aus Süßigkeiten, welches so extravagant und pompös ist wie sein König, Willy Wonka, der mit seinem Zylinder, dem langen Frack und den violetten Gummihandschuhen, die ihn vor dem Kontakt mit der menschlichen Außenwelt schützen, ganz aus seiner eigenen Welt entsprungen ist. Die Führung durch Wonkas Lebenswerk übertrifft sich von Minute zu Minute: Es folgen wilde Achterbahnfahrt in einer Zuckergondel über den reißenden Schokoladenfluss, es gibt dressierte Eichhörnchen, die Nüsse sortiert, einen Erfindungsraum, in dem momentan ein Kaugummi entwickelt wird, der ein komplettes Drei-Gänge-Menü ersetzen kann und einen Technikraum, in dem Wonka daran arbeitet, Schokolade durch das Fernsehen zu verschicken. Burton arbeitet mit allen Mitteln der Kunst und schafft es, sowohl Mädchen als auch Jungen als Rezipienten anzusprechen und jedem genau die Traumwelt vorzugaukeln, die er oder sie sich immer ausgemalt hat.

Abb. 2: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.Abb. 2: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.

Doch Burton wäre nicht der Filmemacher, als der er sich mittlerweile etabliert hat, wenn er nicht auch in solchen schillernden und fantastischen Bildern seinen roten Faden nicht verlieren würde: So fällt ein Kind nach dem anderen seinen Fehlern und Charakterschwächen zum Opfer. Augustus Glubsch kann dem Drang, sich den ganzen Schokoladenfluss einzuverleiben, nicht widerstehen und wird von einem riesigen Staubsauger eingesaugt; Violetta meint sich als Weltmeisterin im Kaugummi-Kauen beweisen zu müssen und missachtet dabei Wonkas Anmerkung, dass der Kaugummi noch nicht vollkommen ausgereift sei – so schwillt sie zu einer überdimensionierten Blaubeere an und muss entsaftet werden. Veruca bekommt zum ersten Mal nicht das, was sie unbedingt will und wird von den Eichhörnchen, von denen sie eines für ihre Sammlung zu Haus fangen will, als hohle Nuss identifiziert und in den Müllschlucker geschickt. Mike Teavee schließlich trotzt den Warnungen von Wonka und will sich unbedingt per Teleporter durch das Fernsehen verschicken – ganz genau so wie die Schokolade, mit der Wonka experimentiert. Doch natürlich geht auch das schief und Mike wird als winzig kleines, puppengleiches Wesen in den Fernseher geschickt. Und so sind am Ende alle vier Wettstreiter Charlies durch ihre eigene Dummheit und ihre Fehler aus dem Rennen gefallen.

Die Botschaft, die Burton hier vermitteln will, ist eindeutig: Die kindlichen Zuschauenden sollen aus den schlechten Beispielen, die die Kinder liefern, lernen und sich nicht von Sucht, Habgier oder Narzissmuss leiten lassen. Nur, wer sich bescheiden, aufrichtig und sozial verhält, tut das Richtige und kann schlussendlich gewinnen – so wie Charlie, der natürlich zum Schluss als glücklicher Gewinner dasteht. Dass der Junge dem berühmten Schokoladenfabrikanten auch noch bei der Aufarbeitung von dessen äußerst komplizierter Beziehung zu Wilbur Wonka, dem Süßigkeiten hassenden Zahnarzt-Vater, helfen kann, tut sein Übriges. Und so endet die Geschichte des glücklichsten Jungen der Welt wie das Märchen von Aschenputtel: Zuerst hatte er nichts und am Ende haben alle irgendwie gewonnen – Charlie und seine Familie ein neues Zuhause und finanzielle Absicherung, Willy Wonka einen neuen Freund und die Zuschauenden die Erkenntnis, dass Märchen doch eben manchmal wahr werden können, zumindest, wenn sie von Tim Burton und Johnny Depp so farbenfroh und fantastisch erzählt werden.

Abb. 3: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.Abb. 3: Screenshot aus Charlie und die Schokoladenfabrik (2005). Verleih: Warner Bros.

Fazit

Charlie und die Schokoladenfabrik ist ein pompöses, exzentrisches und fast schon überladenes Feuerwerk an Bildern, welches kindliche Zuschauende auf der einen Seite faszinieren, auf der anderen Seite aber auch leicht verstören kann. So sind die 'Bestrafungen' und Konsequenzen, unter denen Augustus, Violetta, Veruca und Mike leiden müssen, teilweise schon fast sadistisch hart. Und auch die Moral, die der Film vermitteln will, ist, wenn sie auch mit gut gemeint ist, ein wenig wie die Bildersprache, die Burton verwendet: ein wenig zu plakativ und konservativ sowie trotz der bunten und schrillen Farben zu sehr 'Schwarz-Weiß'. Charlie und die Schokoladenfabrik ist eben doch nur ein Märchen. Denn am Ende bleibt die Frage, ob die Moral von der Geschicht – "Sei gut und dir widerfährt Gutes; sei böse und du endest im Müllschlucker oder in der Saftpresse" – nicht doch ein bisschen zu einfach ist.

Titel: Charlie und die Schokoladenfabrik
Regie:
  • Name: Burton, Tim
Drehbuch:
  • Name: August, John
Erscheinungsjahr: 2005
Dauer (Minuten): 115
Altersempfehlung Redaktion: Unter 2 Jahre
FSK: 0 Jahre
Format: DVD/Blu-ray
Charlie und die Schokoladenfabrik (Tim Burton, 2005)