Inhalt
Der zehnjährige Felix lebt mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester in einem Vorort von Montreal. Der Film folgt keinem geradlinigen Plot, sondern lässt Szenen aufeinanderfolgen, in denen sich zentrale Momente des Aufwachsens verdichten: ein Mitschüler wird gemobbt, Felix entwickelt eine Schwärmerei für seine Lehrerin, zieht mit der Clique seines Bruders am Abend durch den Ort, oder die Eltern streiten sich. Die Gerüchte, dass ein Mörder in der Gegend Kinder entführt und umbringt, bewahrheiten sich. In einer langen Sequenz wird die Entführung eines Jungen gezeigt. Am Ende des Films fährt Felix' Familie zum Urlaub an einen See.
Kritik
Ein Vorort von Montreal, eine Familie, eine Schwester, zwei Brüder. Felix, der jüngste, ist zehn Jahre alt, an der Schwelle zu der Phase also, in der der "Sexualkrempel" (Dietmar Dath) alles heillos durcheinanderbringt. Was es heißt, in die Welt der Erwachsenen hineinwachsen zu müssen, zeigt das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers Philippe Lesage nicht in Form einer Erzählung im Sinne eines klassischen Dreiakters. Die Idee des Films ist es, kindliche Erfahrung mit filmischen Mitteln wieder zu verlebendigen – für den erwachsenen Zuschauenden, der all das, so gut es geht, vergessen hat, wie auch für den jugendlichen Zuschauenden, der all das noch weiß.
Ein derart gewagtes Unternehmen lässt sich nicht gut in eine klassische Erzählstruktur zwängen. Wir sehen lange, ruhige Sequenzen, die analytisch strukturiert, dabei aber immer wieder von verstörender Intensität sind: Momentaufnahmen, die beschreiben, was Aufwachsen heißt. Wir sehen die Momente, in denen sich Prägendes verdichtet: eine Übernachtung bei einem Freund, dessen Mutter nackt den Boden putzt; das erste Verliebtsein; ein eskalierender Streit der Eltern, der Vater wird handgreiflich; Demütigung eines schwächeren Mitschülers im Schwimmbad; das geglückte Zusammensein mit den Geschwistern; ein verschwundener Junge; die ersten Gruselfilme; ein Geist im Kinderzimmer – und immer so weiter.
Das, was sich vor dem Jungen als die für ihn vorgesehene Welt entfaltet, ist nicht durchgängig schön. Wir sehen und hören es konsequent – von einer längeren Sequenz abgesehen – durch die Augen und Ohren von Felix. Der Zugang zur opak bleibenden Innenwelt des Jungen stellt sich hier weniger über Dialoge, sondern über Blicke, Gesten, über Beobachtetes und unfreiwillig Mitangehörtes her. Felix versucht, sich die Welt zu erschließen und lernt sie auch in ihren irritierenden, grausamen Zügen kennen (die er hin und wieder imitiert).
Nach zwei Dritteln verwandelt sich Die Dämonen für etwa eine Viertelstunde in ein Horrorszenario, um dann wie selbstverständlich wieder umzuschwenken. In die offene Form des Films lassen sich auch Sequenzen integrieren, von denen man erwarten würde, dass sie aus der Gesamtkonstruktion herausfallen müssten – eine niederschmetternde Thriller-Sequenz beispielsweise.
Fazit
Das alles ist ausgesprochen gut gelungen: Die Dämonen steht in einer Reihe mit den großen Coming-of-Age-Filmen von Stand by Me bis Der Eissturm und schafft doch etwas vollkommen Eigensinniges, bislang nicht Gesehenes und vor allem atmosphärisch Einzigartiges. Lesage geht es nicht um Psychologisierung, es geht um Erfahrungsbilder. Selten hat der Rezensent einen Film gesehen, der das Besondere – spezifische Momente im Aufwachsen dieses einen Kindes – so klar und bündig erzählt, dass sich das, was man in diesen Bildern wahrnimmt, mit Allgemeinem, und damit eben auch und vor allem mit der eigenen Geschichte verbinden lässt. Dass dieses formal inspirierte und fesselnde Debüt in Deutschland nur mit einer DVD-Premiere bedacht wird, ist nicht schön. Ein Beleg dafür, dass die interessantesten Filme gerade im Kinder- und Jugendbereich oftmals abseits des regulären Kinoprogramms zu finden sind. Empfohlen ab 14 Jahren – zwar zeigt der Film die Grausamkeit, die einem der Kinder angetan wird, nicht. Die streckenweise beklemmende Atmosphäre aber könnte Zwölfjährige überfordern.
- Name: Lesage, Philippe
- Name: Lesage, Philippe