Inhalt
Das achtjährige Waisenmädchen Heidi wird von ihrer Tante Dete zu ihrem Großvater, dem Alpöhi, in die Schweizer Alpen gebracht. Das Mädchen soll bei ihm unterkommen, da ihre Tante aus beruflichen Gründen nach Frankfurt ziehen muss und keine Zeit mehr für Heidi hat. Der grimmige Alpöhi ist von dem Auftauchen seiner Enkelin keineswegs begeistert, entwickelt nach einiger Zeit aber ein freundschaftliches Verhältnis zu Heidi. Umso bestürzter reagiert er, als Tante Dete wiederkommt, um Heidi erneut aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen. Gerade als sie sich mit dem gleichaltrigen Geißenpeter und dessen Oma angefreundet hat, muss Heidi ihrer Tante nach Frankfurt folgen, wo sie die Gesellschafterin der jungen Klara Sesemann sein soll, die im Rollstuhl sitzt. Während die Mädchen gute Freundinnen werden, bekommt Heidi vor allem Schwierigkeiten mit der Gouvernante Fräulein Rottenmeier, die großen Wert auf gesellschaftliche Etikette legt und strenge Erziehungsmaßnahmen ergreift. Auf Anraten von Klaras Hausarzt, der sich ernsthaft um Heidis Gesundheitszustand sorgt, ordnet Herr Sesemann schließlich die Rückkehr des Waisenmädchens in die Alpen an. Der Großvater ist glücklich, seine Enkelin wieder bei sich zu haben. Einige Monate später kommt Klara mit ihrer Großmutter zu Besuch in die Berge, später auch Herr Sesemann. Zur Überraschung aller lernt Klara dort wieder zu laufen.
Abb. 1: Screenshot aus Heidi (2015). Verleih: Studiocanal
Kritik
Petra Volpes eng an Johanna Spyris Romanvorlagen Heidis Lehr- und Wanderjahre (1880) und Heidi kann brauchen, was es gelernt hat (1881) angelehntes Drehbuch transportiert die altbekannte Geschichte des quirligen Waisenmädchens Heidi nicht in die heutige Zeit, sondern spielt ebenfalls im 19. Jahrhundert. Die Geschichte dürfte allseits bekannt sein, schließlich wurden Spyris Kinderbuchklassiker nicht nur mehrfach als Spielfilm adaptiert, sondern darüber hinaus auch in verschiedenen Medien wie beispielsweise Comics, Musicals oder Hörspielen, und dies in mehreren Ländern. Insofern stellt sich zunächst nicht die Frage, was erzählt wird, sondern 'wie' der schweizerisch-deutsche Regisseur Alain Gsponer den Heidi-Stoff inszeniert. Gsponer macht die Zeit um 1880 greifbar, indem er zum einen bildgewaltige Naturaufnahmen einer Alpenidylle mit Szenen kontrastiert, welche die harschen Lebensbedingungen der einfachen Leute veranschaulichen; zum anderen ist die detaillierte Ausstattung in der Villa Sesemann mit schwerem Mobiliar und dunkelroten Vorhängen gelungen. Innerfamiliäre Konflikte, Freundschaften und Sehnsucht nach der Heimat sind die Themen, die Heidi zu einem zeitlosen Kinder- und Familienfilm machen, wobei Gsponer weder die Alpenwelt romantisiert noch das Stadtleben idealisiert.
Der Film gibt dabei seinen Figuren viel Raum. Auch wenn die Nebenfiguren wie Fräulein Rottenmeier, Herr Sesemann oder Sebastian nicht die Möglichkeit haben, sich mehrdimensional zu entfalten, sind sie eingängig charakterisiert. Umso differenzierter sind die Hauptfiguren angelegt. Hier ist vor allem die Schauspielleistung der Heidi-Darstellerin hervorzuheben: Anuk Steffen spielt die titelgebende Figur sehr erfrischend und ihr gelingt es, dass sich die Zuschauenden mit ihr identifizieren und ihren Freiheitsdrang nachvollziehen können. Heidi ist nicht nur eine Sympathie-, sondern auch insofern eine Hoffnungsträgerin, als sie einige ihrer Mitmenschen humaner und herzlicher agieren lässt. Ihr gelingt es nach einer Zeit, den griesgrämigen Großvater zum Lachen zu bringen, der ihre unvoreingenommene Art zu lieben beginnt, was durch Bruno Ganz‘ nuancierte Darstellung deutlich wird. Auch Sebastian und insbesondere Klaras Großmutter entpuppen sich als Menschen, die Heidi Verständnis entgegenbringen und sich um sie sorgen.
Einzig die Gouvernante Fräulein Rottenmeier steht Heidis Wünschen und Sehnsüchten diametral gegenüber, wodurch auch der Dualismus zwischen Stadt und Land hervorgehoben wird. So rebelliert die Protagonistin in der Villa Sesemann in Frankfurt ohne böse Absichten gegen die bürgerlichen, biederen Werte und Normen, die durch Fräulein Rottenmeier repräsentiert werden. Die betont unsympathisch dargestellte Gouvernante stutzt das Mädchen mehrmals verbal scharf zurecht ("Die Bediensteten werden nicht geduzt", "Wir essen hier mit Besteck") und pathologisiert Heidis unvoreingenommene Art sogar, indem sie diese als "verstandesgestört" bezeichnet.
Trotz des strengen Regiments unter Fräulein Rottenmeier versucht Heidi, ihren Weg in der Stadt zu finden, die jedoch ein Raum der Enge bleibt. So bringt die Aussicht vom Kirchturm für Heidi nicht den erhofften Blick auf die Berge und somit die Natur, sondern nur auf noch mehr Häuser der Stadt. Lediglich die wachsende Freundschaft zur im Rollstuhl sitzenden Klara gibt Heidi im urbanen Umfeld Halt.
Die Natur wiederum ist der Ort, an dem Heidi nach dem Eingreifen von Klaras Vaters, der wie auch Großmutter Sesemann ihr Seelenleben versteht, (wieder) gesundet und selbst Klara ohne medizinische Betreuung auf wundersame Weise wieder das Laufen erlernt. Auf der einen Seite sind die Alpen damit der Inbegriff von Freiheit; da auf der anderen Seite aber auch dargestellt wird, dass die Bewohner in kleinen Hütten leben und harte Winter zu ertragen haben, wird die Natur als Lebensraum dennoch nicht idealisiert.
Fazit
Alain Gsponer holt durch die Darstellung der Lebensräume im späten 19. Jahrhundert den Heidi-Stoff nicht in die heutige Zeit. Dies ist auch gar nicht nötig, denn Freundschaft, die Opposition von Stadt- und Landleben sowie Heimweh sind zeitlose Themen. Heidi – frech, neugierig und mutig – erstrahlt hier in neuem Glanz. Der Film ist eine gelungene Erfrischung einer altbekannten und immer noch unterhaltsamen Geschichte. Zu empfehlen ist der Film für Kinder ab sechs Jahren.
- Name: Gsponer, Alain
- Name: Volpe, Petra