Inhalt
Als Neuling im Jugendknast wird Kevin (Constantin von Jascheroff) schnell die Opferrolle innerhalb der Gefängnis-Hierarchie zuteil. Besonders seine Zellengenossen Marc (Frederick Lau) und Andy (Martin Kiefer) nutzen jede Gelegenheit, den Neuen zu erniedrigen. Beistand erhält Kevin nur vom sensiblen Tommy (Joel Basmann), der ihm beibringt, worauf es im Gefängnis ankommt: Kevin muss lernen, seine moralischen Grundsätze über Bord zu werfen, um seine Haftzeit möglichst unbeschadet zu überstehen. Immer häufiger verschließt er die Augen, wenn Mithäftlingen wie dem schwächlichen Juli (Willi Gerk) Leid zugefügt wird. Selbst als letztlich sein Freund Tommy brutal vergewaltigt und misshandelt wird, greift Kevin nicht mehr ein. Langsam wird er so vom Prügelknaben zum respektierten Insassen. Erst als Marc und Andy beschließen, Tommy zum Selbstmord zu zwingen, realisiert Kevin, dass die knastinternen Machtspielchen zu weit gehen und es nun bereits zu spät ist, noch seine Stimme zu erheben.
Kritik
"In this house you have one friend – yourself." Was gleich zu Beginn programmatisch an der Wand einer Gefängniszelle geschrieben steht, darf durchaus als Leitspruch des gesamten Films gesehen werden. Philip Kochs Drama Picco zeigt den Alltag in einer deutschen Jugendstrafanstalt so ungeschönt wie selten zuvor und lässt seine Zuschauer mitverfolgen wie Opfer zu Tätern werden. Das Gefängnis erscheint als ein Mikrokosmos, in dem sich jeder selbst der Nächste ist. Nur die Stärksten bleiben unversehrt und Informationen über Mithäftlinge werden zu gefährlichen Waffen. So befindet sich das soziale Gefüge innerhalb der Gefängnismauern in einem stetigen Wandel. Werden die Machtkämpfe anfangs vorwiegend verbal ausgetragen, kommt mit jedem Tag hinter Gittern zunehmend Gewalt ins Spiel. Auch Neuling Kevin – von allen nur Picco genannt – muss schnell lernen seine Prinzipien hinter sich zu lassen, um selbst aus der Opferrolle herauszukommen. Setzt er sich zu Beginn noch für seine gedemütigten Mitinsassen ein, verschließt er zunehmend die Augen vor den Übergriffen in seinem Umfeld. Eine Wandlung, die man als Zuschauer mit Besorgnis beobachtet.
In einigen Momenten zeigt Regisseur Koch jedoch, dass selbst die vermeintlich Stärksten innerhalb der Knast-Hierarchie durchaus verletzlich sind. Etwa wenn sich Marc um den Verbleib seiner Hunde sorgt oder ihn ein Video seines Kindes erreicht. Neben Constantin von Jascheroff (Leroy) überzeugt besonders Frederick Lau (Die Welle) in der Rolle des Marc und bringt sowohl dessen kaltherzige, brutale Seite als auch seine hin und wieder durchscheinende Verletzlichkeit absolut glaubhaft rüber.
Unterbrochen werden die einzelnen Szenen immer wieder von Einstellungen der kargen Gefängnisarchitektur, die für ein zusätzliches Gefühl der Beklemmung sorgen. Dazu tragen auch der weitgehende Verzicht auf Musik und ein Farbfilter, der das Alltagsgrau auch auf das Filmbild überträgt, bei. Besonders greifbar wird die Enge der Strafanstalt, als Kevin beim Joggen im Innenhof gezeigt wird und mit nur wenigen Schritten bereits den gesamten Hof umrundet hat.
Initiationsmoment für Kevins negative Entwicklung ist die Abkehr seiner Freundin, die ihm am Besuchertag eröffnet, den Kontakt abbrechen zu wollen. Fortan zeigt er sich immer aggressiver und trägt so dazu bei, dass Tommy am Ende zum neuen Prügelknaben wird. Die Gewaltspirale schraubt sich immer weiter nach oben und Beschimpfungen, Schläge sowie Vergewaltigung sind bald an der Tagesordnung. Besonders die finale Folterszene dürfte selbst für hartgesottene Zuschauer starker Tobak sein und wurde bei Erscheinen des Films kontrovers diskutiert. Die filmische Handlung greift an dieser Stelle tatsächliche Vorfälle in einem Gefängnis in Siegburg auf, wo zwei jugendliche Insassen ihren Zellengenossen folterten und zum Selbstmord zwangen.
Die Botschaft des Films scheint zu lauten: Der Knast macht alle gleich. Kochs Drama erscheint somit als harsche Kritik am deutschen Strafsystem. Statt Rehabilitation erfolgt Verschlimmerung. Die Beamten scheinen von den Übergriffen keine Kenntnis zu haben oder verschließen ebenso ihre Augen wie die Insassen. Die Gefängnispsychologin drischt derweil leere Phrasen und verteilt Schlaftabletten gegen nächtliche Angstzustände. Das monotone Geräusch eines an die Wand geworfenen Tennisballs rahmt den Film und signalisiert, dass auch nach den schrecklichen Taten im Gefängnis schnell alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt.
Fazit
Die Machtkämpfe hinter Gefängnismauern sind absolut packend inszeniert, gleichwohl nichts für schwache Nerven. Äußerst glaubhaft gespielt, wurde Picco mit dem zweiten Hauptpreis des Filmfestivals Max Ophüls ausgezeichnet und lief zudem im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes. Was bleibt ist ein atmosphärisch dichtes Drama, dessen Bilder noch lange nachhallen.
- Name: Koch, Philip
- Name: Koch, Philip