Inhalt

Kiriku, der bereits im Mutterleib sprechen kann, kommt in einem kleinen westafrikanischen Dorf zur Welt und erfährt, dass sein Stamm von einer mächtigen, bösen Hexe unterdrückt wird. Karaba, die Hexe, verlässt niemals ihr Haus und schickt eigens verhexte Holzfiguren ins Dorf, um ihre Tyrannei umzusetzen. Sie lässt die Wasserquelle des Dorfes versiegen und raubt den Dorfbewohnern all ihr Hab und Gut; lediglich etwas Gold dürfen die Frauen behalten. Der Kampf gegen die Hexe hat, im wahrsten Sinne des Wortes, fast alle Männer des Dorfes verschluckt: Von der Hexe aufgegessen, kehrt kein Mann aus dem Kampf ins Dorf zurück und es bleiben lediglich Frauen und Kinder sowie ein Stammesältester und Kirikus Onkel zurück.

Sobald der winzig kleine, aber bereits überdurchschnittlich intelligente und schlagfertige Kiriku von dieser Misere erfährt, beschießt er, den Kampf gegen die Hexe aufzunehmen. Getragen durch seine Intelligenz, seinen Mut und seine Gewitztheit sowie der unerschöpflichen Eigenschaft, Fragen zu stellen, begibt sich der blitzschnelle Kiriku in ein spannendes Abenteuer und kommt den Geheimnissen der Hexe allmählich auf die Spur.

Kritik

Der französische Regisseur Michel Ocelot adaptiert mit seinem Film Kiriku und die Zauberin ein westafrikanisches Volksmärchen und kreiert einen Zeichentrickfilm, der international für Aufsehen sorgte (u.a. gewann der Film diverse Preise für die beste Animation sowie den „Environment and Health Award“ und Titel des „Best Feature Film for Children“). Durch den Erfolg konnte Ocelot noch zwei Fortsetzungen realisieren: Kiriku und die wilden Tiere (2005) und Kiriku und die Männer und Frauen (2012). Zum Medienverbund gehören zudem ein Musical (Kiriku und Karaba (2007)) sowie eine gleichnamige Bilderbuchausgabe.

Kiriku und die Hexe Screenshot 1Abb. 1: Screenshot aus Kiriku und die Zauberin (1998); Verleih: Gebeka Films

Ocelot lässt sein Publikum in das ferne Westafrika eintauchen: Zum einen geprägt durch seine damalige Heimat Guinea, in welcher der Regisseur seine Kindheit verbrachte, mischt Ocelot (zusätzlich zu seinen Kindheitserinnerungen an das Land) bei der visuellen Umsetzung seines westafrikanischen Filmerlebnisses unterschiedliche kulturell-künstlerische Einflüsse. Grund hierfür ist der Mangel überlieferter westafrikanischer graphisch-figurativer Kunst als Grundlage für die Gestaltung der visuellen Ebene. Inspiriert durch antik-ägyptische Kunst, entwirft Ocelot dabei Figuren, Schmuck und Kleidung, während die Kulissen des Films im Zeichenstil und der Farbgestaltung an Gemälden des französischen Malers Henri Rousseau angelehnt sind. Verwunschene Landschaften und reiche Schmuckdekorationen, getaucht in leuchtende Farben, lassen sich im Ergebnis auf der Leinwand bewundern. In der Farbgebung bleibt der Regisseur der Kultur und Geografie des Filmschauplatzes treu und verwendet überwiegend realitätsgetreue, gedeckte Ocker- und Pastelltöne für Landschaft, Dorf und Kleidung.

Mit Blick auf die Animation fällt auf, dass Ocelot Landschaften und Figuren meist durchgängig in einer frontalen oder seitlichen Perspektive zeichnet. Neben einem erneuten, impliziten Bezug zur antik-ägyptischen Kunst, ist dieser Zeichenstil typisch für Ocelots Arbeiten. In weiteren Werken, wie Les Contes de la nuit (1992), Prinzen und Prinzessinnen (2000) und Azur und Asmar (2006), ergänzt er diesen Stil zusätzlich durch die Technik der Schattenzeichnung, welche zu seinem Markenzeichen wird. Auch Kiriku und die Zauberin war ursprünglich als Schattenfilm gedacht. Seine ersten Entwürfe musste der Regisseur jedoch verwerfen, da befürchtet wurde, dass der Film keine ausreichende Finanzierung finden würde (vgl. CNC, 2018).

Neben der besonderen Perspektivführung fällt ebenfalls eine für Animationsfilme eher untypische, geringe Schnittfrequenz auf. Auf Grundlage des dadurch eher ruhigen Animationsstils erzeugt Ocelot die Filmspannung hauptsächlich über die Narration. Für (junge) Zuschauende, die meist schon von klein auf mit einer hohen (Bild-)Inputrate (schnelle Schnitte) und Effektreichtum konfrontiert werden, kann der Film dadurch zu typischen zeitgenössischen Filmproduktionen à la Disney-Pixar kontrastierend wirken.

Für die Filmmusik engagiert Ocelot den senegalesischen Musiker Youssou N’Dour, welcher den Zuschauenden seinerseits klanglich in das westliche Afrika eintauchen lässt. Sich lediglich afrikanischer Instrumente bedienend, erschafft N‘Dour instrumental und chorisch einen reich gefärbten Klangteppich, welcher die Handlung elegant untermauert, ohne aufdringlich zu wirken. Doch nicht nur instrumental legt Ocelot Wert auf ein authentisch (west-)afrikanisches Klangerlebnis: Auch erklingt der Liedtext der Abspannmusik in der senegalesischen Landessprache „Wolof“ sowie werden die Dialoge (in der französischen Originalfassung) von senegalesischen, bzw. (in der englischen Version) von südafrikanischen Synchronsprechern gesprochen. Der Regisseur legt dabei besonderen Wert darauf, dass alle Sprech- und Singstimmen übereinstimmen.

Neben Bild und Ton wird Kiriku und die Zauberin auch auf der inhaltlichen Ebene der westafrikanischen Kultur gerecht: Wenngleich das Filmprodukt kein Repräsentant für das gesamte oder gar moderne (West-)Afrika sein kann, führen abgebildete Lebensstrukturen und Stammeshierarchien, Rituale und Tänze bis hin zu aufgeführten Lebensmitteln zu einem authentischen Bild des Lebens eines möglichen westafrikanischen Stammes. Indirekt angerissen wird hierbei ebenfalls der Einfluss bzw. mögliche Folgen von Aberglauben und vom Glauben an Magie und Hexerei auf die Perzeption von Wirklichkeit und Wahrheit. Auf der einen Seite in (west-)afrikanischen Stammeskulturen kein seltenes Thema, kann dieses (im teils übertragenden Sinne) auch in der modernen (westlichen) Welt Relevanz haben.

Auch aus pädagogischer Sicht weist Ocelots Zeichentrickfilm hohe Wertigkeit auf: Auf der einen Seite bringt Ocelot mit der Figur des mutigen und nach Antworten strebenden Kiriku eine Figur auf die Leinwand, die sich als Protagonist und filmischer Held seiner Antagonistin, der bösen Hexe Karaba, entgegensetzt und als filmischer Außenseiterheld agiert. Von Geburt an aufgrund seiner Größe und schlagfertig-forschen Art ausgeschlossen, setzt er sich für das Wohl seines Dorfes ein und punktet durch Selbstbewusstsein, Intelligenz, Mut und Tatendrang. Er gibt sich nicht mit den Antworten der Dorfbewohner zufrieden, welche scheinbar kein Interesse daran haben, das Geheimnis der Hexe zu ergründen und lieber leidend ihre Misere hinnehmen, sondern begibt sich unermüdlich auf die Suche nach Antworten und hinterfragt eingefahrene Glaubenssätze. Geleitet durch die Frage „Warum ist Karaba so böse?“, eröffnet die Filmfigur damit einen Diskurs über die Dialektik von Gut und Böse.

Gleichermaßen werden durch Kiriku die Motive des Außenseitertums und der Einsamkeit verhandelt: Denn gleichwohl Kiriku im Laufe des Filmes zusehend von den Dorfbewohnern als Held und Erlöser gefeiert wird, leidet er unter seiner Außenseiterrolle und der einhergehenden Einsamkeit. Als mögliche Identifikationsfigur für (junge) Zuschauende kann mit seiner Hilfe ein wertvoller, pädagogischer Austausch über diese oftmals schmerzhaften Themen eröffnet werden.

Auch die Filmfigur Karaba punktet in pädagogischer Hinsicht: Wie im Wendepunkt des Filmes deutlich wird, ist ihre Boshaftigkeit Folge eines unerträglichen Schmerzes und nagender Einsamkeit. In einem traumatisierenden Akt wurde ihr einst durch fremde Menschen ein tiefer Stachel inmitten ihrer Wirbelsäule gebohrt. Als Folge des Missbrauchs zieht sich die Frau in ihr Haus zurück. Karaba wird zum mehrfachen Symbol: Im Tiefsten körperlich und seelisch verletzt, verkörpert sie den (möglichen) Einfluss von Schmerz und Einsamkeit auf die Persönlichkeit und das Handeln eines Menschen. Selbst Opfer einer Tyrannei und eines, wenn auch teils selbst gewählten, gesellschaftlichen Ausschlusses (ihr gesellschaftlicher Ausschluss kann hierbei sowohl als Ursache als auch Folge ihrer sich ausbildenden Boshaftigkeit angesehen werden), entwickelt sie sich zur Tyrannin und wird zur „Hexe“. Nicht von Grund auf böse, doch inzwischen unwillig und -fähig, von ihrem Schmerz loszulassen (zu traumatisierend wäre das erneut schmerzhafte Herausziehen des Stachels), ist sie von einem Helfer, dem Helden Kiriku, abhängig, um von ihrem Leid erlöst zu werden. Interessanterweise werden an dieser Stelle die Antagonistin und der Protagonist durch zwei grundlegende Aspekte vereint: Einsamkeit und Außenseitertum. Maßgeblich unterscheidet sich jedoch ihr Umgang mit ihrem Leid.

Ocelots Film schneidet hiermit ein pädagogisch, aber auch philosophisch interessantes und wichtiges Thema an: Wie groß ist das Ausmaß von Karabas eigener Verantwortung bezüglich ihrer Boshaftigkeit und Handlungen? Wie groß ihre aktive oder passive Rolle? Ist sie Täter oder Opfer? Eröffnet und gefüttert durch wertvolle Filmdialoge, kann diese klassische Schuldfrage in der Nachbearbeitung des Filmes debattiert werden.

Vergleicht man das originale Volksmärchen mit der Filmadaptation, wird ein entscheidender Unterschied deutlich: Statt die Hexe am Ende, wie es für die Gattung des Märchens typisch ist, durch Kiriku sterben zu lassen (vgl. u.a. CNC, 2018), lässt Ocelot Karaba, nach Erlösung durch den Protagonisten, einen Platz in die Gesellschaft zurückfinden. Der Regisseur macht Karaba damit zum Symbol für Reintegration und zeichnet ein Bild von Verständnis, Vergebung und zweiter Chance. Sich auch hierbei einem wichtigen gesellschaftlichen Thema zuwendend, setzt Ocelot ein deutliches pädagogisches und soziales Statement.

Bezüglich der Abweichung zum Originaltext schreibt der Regisseur: „I used the African tale as a starting point to develop a simple, fundamental story with the questions I asked as a child and the convictions I assume as an adult“ (Hartl, 2000). Es lässt sich diskutieren, ob durch seine künstlerischen Freiheiten Ocelots Filmprodukt eine Adaptation im weiten Sinne ist oder das Volksmärchen dem Produzenten vielmehr als Inspirationsquelle diente. Unübersehbar bleibt in beiden Fällen jedoch Ocelots persönliche Handschrift, die ein klares Ziel verfolgt: „Kirikou will reach the truth, his actions will be his own, he will not simply kill Karaba as in the original story.” (Hartl, 2000)

Kiriku und die Hexe Screenshot 2Abb. 2: Screenshot aus Kiriku und die Zauberin (1998); Verleih: Gebeka Films

Fazit

Kiriku und die Zauberin ist ein verwunschenes Zeichentrickmärchen, das trotz seines Alters zu einem facettenreichen Filmerlebnis für Klein und Groß wird. Mit der pfiffigen Identifikationsfigur Kiriku, die den Wert von Reflexion, stetem Hinterfragen, Selbstbewusstsein und Mut vermittelt, reißt Ocelot subtil (und manchmal dem kindlichen Ohr verborgen) pädagogisch und gesellschaftlich wertvolle Themen an und eröffnet einen generationsübergreifenden Diskurs. Primär an ein junges Publikum gerichtet, ist der Film für Kinder ab 4 Jahren zu empfehlen und strahlt in seiner einzigartigen Welt durch Charm, Humor und Intelligenz.

Quellenverzeichnis

CNC (2018): Neuf choses à savoir sur "Kirikou et la sorcière". Abgerufen am 24.10.2022 von Centre National du Cinéma et de l'image animée: https://www.cnc.fr/cinema/actualites/neuf-choses-a-savoir-sur-kirikou-et-la-sorciere_906293

Hartl, John (2000): `Kirikou' is an animated adventure in Africa. Abgerufen am 24.10.2022 von The Seattle Times: https://archive.seattletimes.com/archive/?date=20000630&slug=4029478

Titel: Kiriku und die Zauberin
Regie:
  • Name: Ocelot, Michel
Originalsprache: Französisch
Drehbuch:
  • Name: Ocelot, Michel
Erscheinungsjahr: 1998
Dauer (Minuten): 74
Altersempfehlung Redaktion: 4 Jahre
FSK: 0 Jahre
Format: Kino
Kiriku und die Zauberin (Michel Ocelot, 1998)