Inhalt

Der zehnjährige Jason (Cecilio Andresen) ist Autist und interessiert sich vor allem für Astromechanik.  Sein Alltag besteht aus Routinen und Regeln, die auch das familiäre Leben bestimmen. Jasons Vater Mirco (Florian David Fitz) arbeitet als Manager einer Restaurant-Kette und ist vor allem im Außendienst tätig, daher kümmert sich in erster Linie Jasons Mutter Fatime (Aylin Tezel) um Jason und dessen Schwester, die noch im Babyalter ist.

Jason besucht eine Regelschule, eckt dort aber immer wieder – vor allem durch seine Besserwisserei – an. Nachdem es zu einem körperlichen Konflikt kommt, bei dem sich ein Mitschüler an der Hand verletzt, legt die Schulleitung Fatime und Mirco nahe, ihren Sohn auf eine Förderschule zu schicken. Doch Jason möchte auf seiner Schule bleiben. Daher geht er mit seinem Vater einen Deal ein: Jason verspricht, sich in der Schule besser zu verhalten, wenn sein Vater ihm dabei hilft, einen Lieblingsfußballverein zu finden. Dafür müssen sie allerdings alle Stadien der 56 Profivereine in Deutschland besuchen und Jason hat für das Projekt einen ziemlich klaren Kriterienkatalog entwickelt, der ihm bei der Entscheidungsfindung helfen soll.

Die Reise führt Jason und Mirco mit der Bahn durch ganz Deutschland und später auch nach Lettland: Dort hat Mirco einen wichtigen Arbeitstermin, der ihm eine Beförderung einbringen soll, und Jason möchte mitkommen, um sich ein Spiel eines hiesigen Vereins anzuschauen. Doch in Lettland kommt es zu einem großen Konflikt und sowohl die Suche nach dem Lieblingsverein als auch die berufliche Zukunft des Vaters stehen plötzlich auf dem Spiel.

Kritik

Wochenendrebellen beruht auf einer wahren Begebenheit: Seit 2012 besuchen Mirco von Juterczenka und sein Sohn Jason (damals 6 Jahre alt), bei dem im Kleinkindalter eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde, deutsche und internationale Fußballstadien, um für Jason einen Lieblingsverein zu finden. Die Erfahrungen der beiden werden auf dem Blog www.wochenendrebell.de festgehalten. Hier finden sich neben Informationen zu Fußball und Groundhopping zum Beispiel auch Wissenswertes über Autismus. Zudem erschien 2017 ein Buch mit dem Titel Wir Wochenendrebellen im Benevento-Verlag.

Durch die gemeinsamen Reisen und Stadion-Erfahrungen kommen sich Vater und Sohn in Wochenendrebellen näher, wobei diese Annäherung immer wieder durch Konflikte unterbrochen wird. Am Ende der filmischen Erzählung sind aber sowohl Mirco als auch Jason gereift: Mirco weiß, wie er mit seinem Sohn umgehen und in welchen Momenten er ihm helfen kann. Um mehr Zeit mit ihm zu verbringen, kündigt er deshalb auch seinen Job (die Kündigung wird von seiner Chefin allerdings nicht akzeptiert). Jason lernt im Laufe der Geschichte, dass er sich auf seinen Vater verlassen kann und dass es Momente im Leben gibt, in denen die eigene Komfortzone verlassen werden darf. Die Vater-Sohn-Beziehung dominiert also auf der Storyebene. Bei der schauspielerischen Darstellung fällt vor allem die sehr nachdrückliche Schauspielleistung Cecilio Andresens positiv auf. Dem Nachwuchsschauspieler gelingt es, sich in der Rolle einzufinden und sowohl in ruhigen Momenten als auch in Momenten der Zerstreuung die richtige Emotionalität zu finden – ähnlich wie das bei Helena Zengel in Systemsprenger (2019) der Fall ist.

Wochendrebellen überzeugt vor allem dann, wenn Jasons Perspektive eingenommen wird. Hier gelingt es Marc Rothemund, die verzerrte Alltagswahrnehmung des Jungen und seine soziale Überforderung durch audiovisuelle Irritationen zu inszenieren – zum Beispiel durch diskontinuierliche Schnitte, ein hohes Erzähltempo, schnelle Kamera-Zooms und Störgeräusche. Insgesamt überwiegt allerdings die Perspektive der Erwachsenen bzw. vor allem des Vaters.

Das geht mit einem grundsätzlichen erzählerischen Problem einher: Wochenendrebellen möchte einerseits aufwühlendes und problemorientiertes Independent-Kino sein, wie das etwa in den Schulszenen oder bei der ersten gemeinsamen Fahrt mit der Bahn gezeigt wird. Gleichzeitig aber bzw. vor allem ein gefühlvoller Feeldgood-Movie, garniert mit humorvollen Szenen, bei denen der Eindruck entsteht, dass jeden Moment Elyas M’Barek für einen Buddy-Moment um die Ecke kommen könnte. In der Gesamtsicht des Films stellt diese Unentschiedenheit bzw. diese Vermischung ein Problem dar: Eine stärkere Fokussierung auf die kindliche Perspektive und eine einheitlichere Inszenierung hätten wohl besser funktioniert; das wäre dann allerdings auf Kosten einer breiteren Zuschauer*innenadressierung gegangen.

Mit der erzählerischen und inszenatorischen Überlagerung geht zudem ein weiteres Problem einher: Die Autismus-Spektrums-Störung Jasons wird einerseits problematisiert und es werden die Herausforderungen des Jungen und seiner Eltern in alltäglichen Situationen nachdrücklich gezeigt. Andererseits wird Jasons Autismus in Wochenendrebellen auch als dramaturgisches Mittel eingesetzt: Wenn Jason mit seinem Vater im Stadion ist, hat Mirco vor allem die Aufgabe, seinen Sohn körperlich zu schützen und vor weiteren Zuschauer*innen abzuschirmen. Dadurch entstehen mehrere Konfliktsituationen. Dabei erwähnt Mirco gegenüber anderen Figuren nicht, dass sein Sohn Autist ist, was die Situationen positiv auflösen würde – anders als die reale Geschichte von Jason und Mirco ist der Film in der Jetztzeit angesiedelt, in der die Gesellschaft für das Thema Autismus größtenteils sensibilisiert ist (zum Beispiel durch die hohe Anzahl an populären Filmen und Serien, die sich in den letzten Jahren dem Thema widmeten; hier eine Übersicht: https://www.autismus.de/fileadmin/SERVICE_UND_MATERIALIEN/Literaturempfehlungen/Filme_und_Serien_zu_ASS_30.11.22.pdf)

Auch wenn Autismus als Krankheitsbild in Wochenendrebellen nicht bagatellisiert wird: Die Bilder der Krankheit und der Überforderung werden insgesamt überlagert von dramaturgisch motivierten Szenen und Unterhaltungsmomenten. Gegen Ende der filmischen Erzählung wirkt die Bahnfahrt nach Berlin mit der ganzen Familie – hier sind auch die Mutter, das Baby und der Großvater (Joachim Król) dabei – wie ein Werbespot der Deutschen Bahn. Ebenso steigern sich im Verlauf des Films die Momente der Rührseligkeit, gerade innerhalb der Vater-Sohn-Beziehung. Mit reichlich Pathos werden die Zuschauer*innen auch auditiv aus dem Film entlassen: Während der Abspann läuft und Bilder aus Fußballstadion gezeigt werden, erklingt Ein Hoch auf uns von Andreas Bourani, ein Lied, das vor allem mit der WM 2014 in Verbindung gebracht wird und auch heute noch in deutschen Fußallstation gespielt wird. Gerade im ersten Teil des Films dominieren hingegen Songs aus dem Indie-Bereich, die deutlich subtiler eingesetzt werden. 

Ein weiterer Kritikpunkt muss an dieser Stelle noch erwähnt werden: In der Lettland-Sequenz kommt es zu einem großen Konflikt zwischen Vater und Sohn, wodurch Mirco seinen Arbeitstermin nicht wahrnehmen kann, da Jason auf seiner Grundregel beharrt, dass jedes Spiel, zu dem die beiden fahren, auch geschaut werden muss. Der Auslöser des Konflikts ist der Diebstahl von Mircos Arbeitstasche, direkt im Anschluss wird er auch noch von Jugendlichen auf einer – an die legendäre Trainspotting-Szene erinnernde – Toilette verprügelt. Der Film beruht zwar auf einer wahren Begebenheit, hier kommt es aber zu einer dramaturgischen Verdichtung, die leider (osteuropäische) Stereotype reproduziert.

Starke Momente hat der Film hingegen bei den Szenen in den Fußballstadien: Hier entstehen atmosphärische Bilder der Fanszenen und einzelner Spielmomente. Gerade auf fußballaffine junge Zuschauer*innen können diese Bilder nachdrücklichen Eindruck machen. 

Dass der Film auch einen pädagogischen Auftrag hat, wird am Ende noch verdeutlicht – sowohl durch die Darstellung innerhalb der Diegese als auch durch die direkte Adressierung der Zuschauer*innen: In der Schule hält Jason ein Referat über Autismus und über seine Wahrnehmung der Welt und bekommt dafür lauten Applaus von seiner Klasse, anschließend werden Informationen zur Autismus-Spektrum-Störung paratextuell eingeblendet.

Fazit

Insgesamt ist Wochenendrebellen ein Film, der durchaus starke Momente hat, aber insgesamt zu überfrachtet ist und sich nicht zwischen aufwühlendem Independent-Film und deutschem Unterhaltungskino entscheiden kann. Der Film bietet sich für Kinder ab 8 Jahren an.


Diese Rezension wird im Rahmen einer Kooperation zwischen KinderundJugendmedien.de und der AJuM (GEW) auch auf der AJuM-Seite veröffentlicht. (Mehr Informationen zur AJuM finden Sie hier und hier.)

Titel: Wochendrebellen
Regie:
  • Name: Marc Rothemund
Drehbuch:
  • Name: Richard Kropf
Erscheinungsjahr: 2023
Dauer (Minuten): 109
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
FSK: 6 Jahre
Format: Kino
Wochenendrebellen (Marc Rothemund, 2023)