Inhalt

Vier Jahre, nachdem sich der Iraner Ahmad (Ali Mosaffa) von seiner Frau Marie-Anne (Bérénice Bejo) getrennt hat und von Paris nach Teheran zurückgekehrt ist, reist er wieder in die französische Hauptstadt. Marie will nun auch offiziell die Scheidung einreichen. Auf den ersten Blick scheint sich in Paris nicht viel verändert zu haben: Marie arbeitet immer noch in einer Apotheke und wohnt mit ihren beiden Töchtern aus einer früheren Beziehung, Lucie (Pauline Burlet) und Léa (Jeanne Jestin), in einem alten Haus entlang einer Schnellzugstrecke. Doch bereits die Anwesenheit von Léas Spielgefährten Fouad (Elyse Aguis) irritiert Ahmad. Schließlich findet er heraus, warum sich Marie eigentlich von ihm scheiden lässt: Sie will ihren neuen Lebensgefährten Samir (Tahar Rahim) heiraten, Fouads Vater. Samirs Frau Céline liegt nach einem Selbstmordversuch seit längerer Zeit im Koma.

Die Scheidung ist schnell abgewickelt, doch die Reise nach Paris entwickelt sich für Ahmad schnell zu einem Parforceritt durch familiäre Krisen, die er zu lösen hat, obwohl er eigentlich schon lange nicht mehr zu Maries Leben gehört: Die fünfzehnjährige Lucie hat sich von ihrer Mutter entfremdet und rebelliert offen dagegen, dass Samir in das Haus einzieht; Fouad fällt wiederum wiederholt durch aggressives Verhalten auf. Und auch die Beziehung zwischen Marie und Samir ist nicht so glücklich, wie es den Anschein hat: Beide können sich nicht wirklich von ihren frühen Partnerschaften lösen: Samir hat (Schuld-)Gefühle gegenüber seiner Frau, und Marie sucht vielleicht nur einen Ersatz für Ahmad, zu dem sie sich immer noch hingezogen fühlt.

Am Ende ist nur klar, dass gar nichts klar ist: Ahmad kehrt in den Iran zurück, und Samir besucht seine komatöse Frau im Krankenhaus, um mithilfe von ihr vertrauten Parfüms vielleicht doch noch ein Lebenszeichen in ihr zu wecken.

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Abb. 1: Screeenshot aus Le Passé. Verleih: Camino (Studiocanal).

Kritik

Paris, Flughafen Charles de Gaulle: Ein persischer Mann verlässt den Ankunftsbereich. Hinter der Glasscheibe zum Besucherbereich entdeckt ihn eine dunkelhaarige attraktive Frau und versucht durch Winken und wortlose Mundbewegungen, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Erst nach einer Weile entdeckt er sie. Für eine Weile schauen sie einander durch die Glaswand, durch die keine Geräusche dringen, vertraut und doch unsicher nervös lächelnd an.

So nah und doch so fern: Bereits die erste Szene von Asghar Farhadis Familiendrama Le Passé verdeutlicht das große Thema von Farhadis Filmen: der ständige Kampf, angesichts der widersprüchlichen Anforderungen des Alltagslebens, der eigenen Bedürfnisse und der daraus resultierenden ständigen Missverständnisse, eine stabile Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Während Farhadis letzter Film Nader und Simin – Eine Trennung die Anatomie einer Trennung ist und Chaharshanbe-soori (dt.: Feuerzauber, 2006) eine Ehe in Auflösung zeigt, seziert Le Passé die Unfähigkeit eines ehemaligen Liebespaars, voneinander loszukommen und ein vom "Vergangenen" (so der deutsche Titel des Films) unbelastetes neues (Liebes-)Leben zu beginnen. Symptomatisch dafür ist die Bemerkung Samirs: "Wenn zwei Menschen sich nach vier Jahren wiedersehen und immer noch miteinander streiten, zeigt das nur, dass es immer noch ungelöste Dinge zwischen ihnen gibt."

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet Farhadi deshalb als "Detektiv der Gefühle" – ebenso passend ist es jedoch, ihn als legitimen Unterwanderer von Stanley Cavells "Komödie der Wiederverheiratung" zu betrachten: Der Filmphilosoph Cavell prägte diese Wendung angesichts der Screwball Comedies des klassischen Hollywood-Kinos, in denen eigentlich schon getrennte Paare sich diskutierend und streitend, auf jeden Fall im ständigen Dialog miteinander und gegen alle Widerstände, wieder zurück in ein gemeinsames Leben in trauter Zweisamkeit reden.1

In Farhadis Filmen ist es andersherum: Zwar stehen die Partner in seinen Filmen in einem ständigen Dialog miteinander, doch es gelingt ihnen nicht, gleichsam diskursiv die Gefühlsgrenzen zu überwinden, die sie voneinander trennen. Der Liebesdialog zwischen Ahmad und Marie wird durch seine Abreise schlicht unterbrochen, das Ende des Gesprächs markiert das (vorläufige) Ende der Beziehung. Nicht so bei Marie und Samir: Ihr erstes wirklich offenes Gespräch über ihre Gefühle zueinander reißt die Fassade zwischen ihnen ein, sie müssen sich eingestehen, dass sie einander vielleicht doch nicht aufrichtig lieben, dass Marie nur nach einem Ersatz für Ahmad suchte, während Samir nicht von Céline loskommt. Farhadi geht es offensichtlich nicht um das Happy End am Ende des Films – im Gegenteil: Wie in seinen anderen Filmen bleibt auch das Publikum von Le Passé mit der offenen Frage zurück, wie es denn nun mit den Paaren weitergehen wird.

farhadi lepasse abb2Abb. 2: Screeenshot aus Le Passé. Verleih: Camino (Studiocanal).

Mit seiner offenen, auf die Intelligenz der Zuschauer vertrauenden Erzählweise verortet sich Farhadi eindeutig in der europäischen Kinotradition. Er überfällt sein Publikum nicht mit Exposition à la Hollywood: Anstatt sofort die Grundsituation seiner Hauptfiguren darzulegen, zwingt er den Zuschauer, sich Szene um Szene selbst die Informationen zusammenzusuchen, die in scheinbar harmlosen Nebensätzen gleichsam am Wegesrand der Erzählung herumliegen. Das hat den eleganten Nebeneffekt, dass die Zuschauer diesen Film aktiv rezipieren müssen, und es sorgt dafür, dass das ständige Hin und Her zwischen den Figuren authentisch wirkt, weil es wie aus deren Alltag abgefilmt wirkt und nicht wie ein für das Publikum aufbereitetes, plotgetriebenes Filmartefakt. Dass dieses Gefühlschaos den Zuschauer nie verwirrt zurücklässt, liegt neben der meisterhaften Inszenierung und den wunderbaren Dialogen auch an den Darstellern wie Bérénice Bejo (The Artist) und Ali Mosaffa, die sich angenehm zurückhaltend durch die Seelenzustände ihrer Figuren bewegen.

Farhadis Filme sind nie nur Studien des seltsam desorientierten Paarungsverhaltens geschlechtsreifer Großstädter. Sie sind oft auch Kindheitsfilme, denn sie zeigen, wie die Kinder – eher schlecht als recht – mit dem Beziehungschaos ihrer Erziehungsberechtigten zurechtzukommen versuchen. Samirs Sohn Fouad fühlt sich nirgendwo mehr zuhause, seit seine Mutter im Koma liegt und er im Haus von Marie lebt. Mit den unklaren Grenzen in seinem Leben kommt er überhaupt nicht zurecht: Seine Mutter ist nicht tot, aber dennoch für ihn unerreichbar – so unerreichbar, dass er sich, wie er seinem Vater sagt, wünscht, dass sie tatsächlich tot wäre.

Am schlimmsten ist die Situation jedoch für Lucie, einen von den Männergeschichten ihrer Mutter traumatisierten Teenager, großartig gespielt von Pauline Burlet: Ihren in Brüssel lebenden biologischen Vater kennt sie kaum, und Ahmad, der offensichtlich für sie eine vertrauenswürdige Vaterfigur darstellt, ist auch nur zwischendurch wieder in Paris. Samir lehnt sie durchgehend ab – und zwar nicht nur, weil sie ihn als einen weiteren Lebenspartner ihrer Mutter auf Zeit ansieht, der in ein paar Jahren wieder verschwunden sein wird und es somit nicht wert ist, zu ihm ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Sie ist auch innerlich zerrissen, weil sie sich die Schuld an dem Selbstmordversuch seiner Frau gibt, was erst dazu geführt hat, dass Marie und Samir nun offen miteinander leben. Ihre komplexe Gefühlslage verschweigt sie ihrer Mutter allerdings. Während Marie unfähig ist, mit ihrer Tochter ein vernünftiges Gespräch zu führen, hat Ahmad immer noch ein vertrauensvolles Verhältnis zu Lucie. Nach und nach entlockt er ihr den Grund für ihr abweisendes Verhalten: Sie hatte Samirs Frau kurz vor deren Suizidversuch die heimlichen Liebes-Emails zwischen Samir und Marie weitergeleitet und fühlt sich nun schuldig am Schicksal von Céline und ihrer Familie. Als Ahmad Marie davon berichtet, kommt es zum offenen Konflikt zwischen Mutter und Tochter, doch es stellt sich heraus, dass das Drama um Samirs Frau viel komplexer ist, als alle Beteiligten glauben.

So zeigt Farhadi auch in Le Passé, dass sich die Kindheit in einem stets prekären Raum abspielt, der nur dann geschützt sein kann, wenn die Erwachsenen, von denen auch die flügge werdenden Teenager abhängen, ihnen diesen Schutz auch bieten. In Le Passé versagen alle Erwachsenen angesichts dieser Herausforderung: Marie ist zerrieben zwischen Arbeitsleben, ihrer Aufgabe als Mutter und ihren zuverlässig scheiternden Partnerschaften; Ahmad zieht sich in ein neues, unabhängiges Leben in Iran zurück, Samir muss feststellen, dass er den Seelenzustand seines kleinen Sohns viel zu lange ignoriert hat, und auch Céline – die erst in der finalen Szene des Films auch im Bild auftaucht – ist mit ihrem Suizidversuch vor den Augen des Sohnes letztendlich als Mutter gescheitert.

Fazit

Mit Le Passé zeigt Farhadi erneut, dass er ein Meistererzähler des zeitgenössischen Kinos ist. Er seziert nicht nur elegant die Probleme von Partnerschaften, sondern behält auch immer im Blick, dass vor allem Kinder und Jugendliche unter dem Patchwork-Leben ihrer Eltern leiden. Für Kinder ist Le Passé angesichts seiner komplexen Handlung sicherlich nicht geeignet. Doch Jugendliche und vor allem Scheidungskinder dürften in diesem Film viele Elemente finden, mit denen sie auch in ihrem eigenen Leben direkt oder indirekt konfrontiert werden.

Fußnoten

1 Vgl. Stanley Cavell: Pursuits of Happiness: The Hollywood Comedy of Remarriage. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1981.

Titel: Le Passé - Das Vergangene
Regie:
  • Name: Asghar Farhadi
Drehbuch:
  • Name: Asghar Farhadi
Erscheinungsjahr: 2013
Dauer (Minuten): 125
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
FSK: 12 Jahre
Format: Kino
Le Passé - Das Vergangene (Asghar Farhadi, 2014)