Inhalt

Die Hörspieladaption bleibt, abgesehen von einigen sprachlichen Ergänzungen und Modernisierungen, eng an der Handlung der Romanvorlage: Eigentlich ist die kleine Hexe mit ihren einhundertsiebenundzwanzig Jahren noch zu jung, um mit den 'großen Hexen' in der Walpurgisnacht um das Hexenfeuer zu tanzen. Sie setzt sich allerdings über das Verbot hinweg und wird prompt erwischt. Erst wenn sie eine 'gute Hexe' geworden ist, wird sie im nächsten Jahr mittanzen dürfen. In der folgenden Bewährungszeit erlebt sie mit ihrem Freund und Begleiter, dem sprechenden Raben Abraxas, eine Menge Abenteuer, in denen sie den Menschen und Tieren auf ihrem Weg eine große Hilfe ist, nicht ohne ihnen dabei auch den ein oder anderen Streich zu spielen und eine Menge Spaß zu haben. Ist sie auf dem Weg, eine 'gute Hexe' zu werden? Die Muhme Rumpumpel, ihre alte Gegenspielerin, die die kleine Hexe heimlich beobachtet, ist da ganz anderer Meinung. Für sie und die anderen 'großen Hexen' sind "nur Hexen, die immer Böses hexen […], gute Hexen" (Preußler 2007, 2/VIII/ 00:41). So nimmt ein folgenschweres Missverständnis seinen Lauf.

Kritik

Für Generationen von Kindern dürfte Preußlers Die kleine Hexe Teil ihrer literarischen Ersterfahrung sein, daher ist es nicht verwunderlich, dass der Roman in den letzten Jahrzehnten immer wieder für den Bereich der Hörmedien adaptiert wurde: Neben (Komplett-)Lesungen und Hörspielbearbeitungen werden selbst Sprachkurse – unter dem Titel Englisch lernen mit der kleinen Hexe respektive Französisch lernen mit der kleinen Hexe – angeboten.

Die vorliegende Übertragung der Romanvorlage ins Medium Hörspiel wird vom DAV-Verlag mit einer Altersempfehlung ab 5 Jahren herausgegeben, die, um dies vorweg zu sagen, gerechtfertigt ist. Durch die generell einfach gehaltene Sprache wird Kindern der Einstieg in das Medium und vor allem in die erzählte Welt erleichtert – immer unter der Prämisse, dass, wie auch in der Romanvorlage, niemand sich "angesichts der Anderswelt erschrecken" (Lange 2008, S. 49) soll. Somit spiegelt die Inszenierung der Hörspieladaption die erzählerische Konstruktion jener "phantastische[n] Zauberwelt" wider, die "Kindern fremd und doch zugleich vertraut erscheint" (Barth 1995, S. 430), was im Einsatz von Erzählstimme, Figurenstimmen, Hörspielmusik und Geräuschen seinen Widerhall findet.

Der Alltag der kleinen Hexe, die magischen Handlungsorte Hexenhaus, Kreuzweg und Blocksberg, sowie magische Handlungen wie das Aufsagen von Zaubersprüchen und der Flug mit dem Besen erhalten so eine spielerisch-kindliche Note. Dies findet seine Manifestation in der musikalisch-geräuschlichen Untermalung der Handlung, die Musik des Jazzkomponisten Ingfried Hoffmann wurde in die Vierteljahres-Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik aufgenommen (vgl. PdSK 1-2008).

Außerdem wird die kleine Hexe durch ihre stimmliche Gestaltung, getreu der Romanvorlage, als "typische Identifikationsfigur für die Kinder" (Pleticha 1983, S. 16) inszeniert, die über eine Reihe positiver Charaktermerkmale verfügt: "Neugier, Güte, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Klugheit, Mitleid, Menschlichkeit, aber auch Spaß am Schabernack und Entwicklung von Selbstbewusstsein" (Lange 2008, S. 48). Gleichzeitig ist sie mit einer Reihe zu bewältigender Widerstände konfrontiert, die den kindlichen Hörerinnen und Hörern nicht fremd sein dürften, etwa das durch Verbote hervorgerufene Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, oder das Ausgeschlossensein seitens der Erwachsenen, hier durch die 'großen Hexen' repräsentiert, wie es sich besonders deutlich in der Hexentanz-Szene zeigt.

Die Übertragung dieser Charakteristika ins Medium Hörspiel gelingt, was primär am Stimmeinsatz von Laura Maire (bekannt u.a. durch ihre Sprechrollen in den Hörspieladaptionen zu Otfried Preußlers Krabat [2010] und Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf [2012]) liegt, die durch ihre "helle und bisweilen kindliche Stimme" (Wicke 2016) als Sympathieträgerin gekennzeichnet ist. Daneben ist besonders die Sprechleistung von Jens Wawrczeck (Rabe Abraxas) und Regina Lemnitz (Muhme Rumpumpel) hervorzuheben, deren Stimmen einem Großteil des (erwachsenen) Hörpublikums bekannt sein dürften: Wawrczeck spricht in der Hörspielserie Die drei ??? den Zweiten Detektiv Peter Shaw, Lemnitz ist als Synchronsprecherin u.a. die 'deutsche Stimme' Whoopi Goldbergs.

Gerade an Lemnitz' Interpretation der Rumpumpel ist auf hörspielästhetischer Ebene bemerkenswert, dass diese trotz einer relativ kurzen Sprechzeit von nur ca. drei Minuten eine glaubwürdige Antagonistenfigur verkörpert. Sie stellt zum einen die erwachsene Autoritätsfigur und mithin Repräsentantin der Welt der 'großen Hexen' dar und ist zugleich Teil einer feststehenden Ordnung bzw. 'Hierarchie des Bösen'. Diese Ordnung möchte sie gegenüber der kleinen Hexe durchsetzen, indem sie sie in Form einer 'schwarzen Wolke' überwacht und Forderungen aufstellt, ein Fehlverhalten der kleinen Hexe durch sogar für 'Hexenverhältnisse' drakonische Strafen zu sanktionieren. Daher muss ihr durchaus eine sadistische Neigung zugeschrieben werden, gleichzeitig kann ihr aber auch eine komische Wirkung attestiert werden, die sich aus einer dem literarisch-künstlerischen 'Bösen' inhärenten Trivialität ableiten lässt. Die Figur schwankt somit zwischen dem altbekannten Typus der 'bösen Märchenhexe' und deren Karikatur. Sie kann als ein gelungener Versuch wahrgenommen werden, eine "kindgerechte Ästhetik des Bösen" (Daiber 2012, S. 167) zu schaffen: Eine eindeutig als 'böse' wahrnehmbare Figur, vor der sich trotz der entsprechenden Charaktereigenschaften niemand ängstigen muss.

Der Rabe Abraxas bildet einen deutlichen Kontrast zur 'bösen' Autoritätsfigur Muhme Rumpumpel. Dieser treue und kluge Freund der kleinen Hexe, von Wawrczeck passend mit krächzender Stimme gesprochen, ist "ein besonders weiser Rabe, der der kleinen Hexe in allen Dingen die Meinung sagt" (1/I/03:33) und ihr auf dem Weg, eine 'gute Hexe' zu werden, zur Seite steht. Ein Großteil der Dialoge findet zwischen der Protagonistin und ihrem Raben statt. Hörspielspezifisch erhält er, aufgrund einer Umwandlung von Teilen des Erzähltexts in direkte Rede, im Vergleich zur Romanvorlage eine aktivere Rolle (vgl. Richter-Vapaatalo 2011, S. 224f.), was nicht zuletzt auch an den eigens für die Hörspieladaption geschriebenen Liedern liegt, die von der kleinen Hexe und ihrem Raben im Duett vorgetragen werden.

Teilen des Hörpublikums, das beispielsweise mit der 1971 erschienenen Hörspiel-Adaption unter der Regie von Egon L. Frauenberger aufgewachsen ist, scheint die Fassung von 2007 "zu modern" zu sein, wie es in einer Rezension auf Audible.de heißt. Damit dürften neben den Jazzkompositionen Hoffmanns vor allem die neu geschriebenen Textpassagen gemeint sein, die von der kleinen Hexe und ihrem Raben teils singend, teils rappend vorgetragen werden. Dies wird sowohl in der Populärrezeption als auch in fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen kritisiert. Auf hoerspieltipps.net heißt es beispielsweise, die Musik würde "schon recht albern wirken und genauso klingen, wie sich Erwachsene vorstellen, dass Musik, die Kindern gefällt, heute klingen müsste". Richter-Vapaatalo bemerkt, dass die "für diese Hörspielfassung geschriebene[n] Lied[er] im Rap-Stil" mit ihren "umgangs-/jugendsprachlichen Elementen nur schlecht in den (sprachlichen) Kontext der Geschichte pass[en]" (Richter-Vapaatalo. 2011, S. 225). Andererseits kann man einwenden, dass durch die Musik zum einen der Stoff "gleichsam aktualisiert und in die Jetztzeit transportiert" (Wicke 2016) und zum anderen handlungsimmanent eine affirmative und reflexive Zielvorstellung verfolgt wird: Zuvor Passiertes bzw. Gesagtes wird so noch einmal zusammengefasst und kommentiert, das kann gerade kindlichen Ersthörerinnen und -hörern dabei helfen, der Handlung zu folgen.

Fazit

Das Zusammenspiel der inhaltlichen und inszenatorischen Aspekte des Hörspiels kann als weitgehend gelungen betrachtet werden. Obgleich die Gesangs- und Rapeinlagen eine inhaltliche Funktion erfüllen, ist jedoch auch die Kritik an diesen letztlich nicht ganz von der Hand zu weisen, weil das Hörspiel auch ohne diese Modernisierungsbemühungen 'funktionieren' würde. Positiv hervorzuheben ist vor allem die stimmliche Gestaltung der Protagonistin, ihres Helfers Abraxas und der Muhme Rumpumpel, wobei es gerade bei letzterer gelingt, eine mehrdimensionale "kindgerechte Ästhetik des Bösen" (Daiber 2012, S. 167) zu schaffen, die dennoch den von Preußler intendierten "'Schonraum' Kindheit" (Barth 1995, S. 421) nie verlässt. Insofern wird die Hörspieladaption ihrer Vorlage durchaus gerecht. Es lässt sich letztlich feststellen, dass die Hörspieladaption zwischen anheimelnd anmutender Nostalgie und leichtem Befremden ob der vorgenommenen Modernisierungsbemühungen befindet, was sie für Kinder ab fünf Jahren nicht minder empfehlenswert macht.

Literatur

  • Barth, Susanne: Aufmüpfig und doch brav: Otfried Preußlers 'Die kleine Hexe'. In: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Hrsg. von Bettina Hurrelmann. Frankfurt am Main: Fischer, 1995. S. 419-438.
  • Daiber, Jürgen: Otfried Preußlers Krabat – Zu einer "kindgerechten" Ästhetik des Bösen. In: Klassiker der internationalen Jugendliteratur. Band 1: Kulturelle und epochenspezifische Diskurse aus Sicht der Fachdisziplin. Hrsg. von Anita Schilcher und Claudia Maria Pecher. Baltmannsweiler: Schneider, 2012. S. 161-185.
  • Lange, Günter: Otfried Preußlers Kinder- und Jugendbücher in der Grundschule und Sekundarstufe I. Baltmannsweiler: Schneider, 2008.
  • Pleticha, Heinrich: Otfried Preußler – Lebenswelt und Werk. In: Otfried Preußler: Werk und Wirkung – Eine Festschrift zum 60. Geburtstag von Otfried Preußler als Begleitbuch zu der Ausstellung in der Internationalen Jugendbibliothek München. Hrsg. von Heinrich Pleticha. Stuttgart: Thienemann, 1983. S. 12-23.
  • Preußler, Otfried: Geschichten für Menschenkinder: Mein Angebot – Spielwiesen für die Phantasie. Festvortrag bei der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaft und Künste, München 1995. In: Sagen Sie mal, Herr Preußler: Festschrift für Otfried Preußler zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Heinrich Pleticha. Stuttgart: Thienemann, 1998. S. 104-108.
  • Richter-Vapaatalo, Ulrike: Phraseologie im Hörspiel zum Kinderbuchklassiker: Otfried Preußlers 'Die kleine Hexe' in verschiedenen Hörspielfassungen. In: Phraseologismen im Text. Hrsg. von Hartmut E. H. Lenk und Stephan Stein. Hildesheim u.a.: Olms, 2011. S. 219-232.

Internet

 

Titel: Die kleine Hexe
Regie:
  • Name: Annette Kurth
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Otfried Preußler
  • Name: Ingeborg Tröndle
Sprechende: Laura Maire (Die kleine Hexe), Jens Wawrczeck (Rabe Abraxas), Regina Lemnitz (Muhme Rumpumpel)
Produktion: WDR / Der Audio Verlag
Erscheinungsjahr: 2007
Dauer (Minuten): 129 Minuten
Preis: 9,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 5 Jahre
Preußler, Otfried: Die kleine Hexe (Hörspiel, WDR 2007)