Inhalt
Birge Tetzner und ihr Team, die auch die hochwertigen Hörspiele um Fred publizieren, der in jedem Abenteuer eine andere Kultur eingehend erkundet, wagen sich an das Thema Halloween und beziehen dabei auch Gruselgeschichten um Vampire mit ein. Das vorliegende Produkt ist eine Adaption des gleichnamigen Sachbuchs, in dem sich zur Illustration der Thematik viele ansprechende Bilder und Rezepte für eine Halloweenfeier finden. Letztere wurden auch für das Sachhörbuch ins Booklet integriert. Als sagenhafter Einstieg in das Hörerlebnis dient nicht nur eine Nacherzählung der Geschichte um den geizigen Jack, sondern auch die Beantwortung der Frage, wie es auf Umwegen über eine beleuchtete Rübe zu den illuminierten Kürbissen als Symbol von Halloween schlechthin gekommen ist. Auch geht es um die umstrittenen Wurzeln des Begriffs 'Halloween', der sich offensichtlich vom englischen 'All Hallows' Eve' oder 'Allhallow Even' als Bezeichnung für den Abend vor Allerheiligen herleitet.
Der Sprecher verweist in diesem Zusammenhang auf Irland und England, wo Seelenküchlein, sogenannte soul cakes, für die Ehrung der Verstorbenen gebacken wurden. Diese erhielten am Tag vor Allerheiligen die Armen und Bedürftigen als Anreiz, damit sie für die Seelen der Verstorbenen aus der eigenen Familie beteten. Dadurch verkürzte sich entsprechend dem Volksglauben deren Zeit im Fegefeuer. Interessanterweise wird auch der Ursprung von Halloween in Deutschland zwischen Kitsch und Kommerz erklärt: Das Privatfernsehen oder auch die Kostümfirmen in den 1990er Jahren hätten einen großen Anteil daran, dass das Fest neben England und den USA auch in Deutschland derartig an Popularität gewann. Denn zu Beginn des Golfkrieges seien Faschingszüge abgesagt worden, sodass aus wirtschaftlichen Gründen eine starke Werbekampagne für eine zweite Verkleidungsmöglichkeit im Herbst erfolgte, welche die Menschen offensichtlich erreichte.
In diesem Kontext verweisen die Sprecherinnen und Sprecher auch auf den Reformationstag und die Kritik Luthers an dem Ablasshandel der katholischen Kirche. Dann weitetet sich der Blick dieser Produktion bis nach Mexiko, um die Ursprünge und Funktion des immateriellen UNESCO-Weltkulturerebes, des Dia de los Muertos, zu erläutern, an dem die Mexikaner den Tod fröhlich willkommen heißen, anstatt ihn zu fürchten. So verkleiden sich dort die Menschen als Tote, wobei sie deren Gesichter meist als Totenköpfe schminken, da sie glauben, dass die verstorbenen Verwandten an den beiden Tagen Allerheiligen und Allerseelen zu den Lebenden zurückkehren. Somit dekorierten die Mexikanerinnen und Mexikaner ihre Häuser mit orangefarbenen Blumen, die den Toten den Weg weisen sollten.
Sodann wird es im zweiten Teil des Hörspiels richtig gruselig, was inhaltlich nichts für schwache Nerven ist: Die Produktion greift Angstwellen vor Vampiren und Wiedergängerinnen und Wiedergängern in Neuengland und (Ost-)Europa auf, die zeigen, wie irrational Menschen handelten bzw. handeln, wenn horrorhafte 'Fake News' sie verführen. Dabei schrecken die in Panik Geratenen auch vor der mehrfachen Sicherung von letzten Ruhestätten nicht zurück oder köpfen sogar die Toten ein weiteres mal bzw. nageln die Leichen fest, sodass die angeblichen Untoten und Vampire nicht ausbrechen und andere mit in den Tod reißen können. So ist es auch dem berühmten 'Vampirmädchen' Mercy Brown aus Exeter (England) ergangen, deren Verwandte nicht an Vampirbissen, sondern an Tuberkulose gestorben waren. Jedoch waren diese Krankheit und ihre Übertragungswege bis dato unbekannt. Das Hörbuch schließt mit einem Vampirfall (rumänisch: Strigoi), der sich erst um die 2000er Jahre in Rumänien ereignet haben soll.
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Kritik
Drei sonore und gut verständliche Erzählerstimmen aus dem Off präsentieren das kurzweilige Sachhörbuch, darunter die sanft-wohlklingende Stimme von Birge Tetzner, die einen Gegenpol bildet zu den rauen Stimmen von den u.a. aus einigen Fernsehproduktionen bekannten Synchronsprechern Uve Teschner und Andreas Fröhlich. Letzterer tat sich besonders als dritter Detektiv der Drei ??? hervor. Die Erzählstimmen führen nahezu abwechselnd durch die Kapitel und nehmen die Zuhörerinnen und Zuhörer dabei gekonnt an der Hand. Die unheimlichen Ereignisse sind passend und keineswegs überbordend mit (kurzen) Klangteppichen wie einem Stimmgewirr beim Begehen des Dia de los Muertos untermalt. Ansonsten darf natürlich bei einem Halloween-Sachhörbuch das gelegentliche Säuseln des Windes, das Knarzen einer alten Türe oder der Schrei eines Raben nicht fehlen. Die atmosphärisch dichte Musik als Auftakt zieht die Hörerinnen und Hörer sofort ins Geschehen. Während man im ersten Teil vor allem unterhaltsam aufbereitetes und detailreich recherchiertes Sachwissen über Ursprung und Traditionsvielfalt von Halloween serviert bekommt, stehen im zweiten Teil auf realen Tatsachen basierte Untotengeschichten im Mittelpunkt, die Gruselfans tatsächlich das Blut in den Adern gefrieren lassen. Oder wer wollte nicht schon immer einmal wissen, ob Haare und Fingernägel bzw. Zähne nach dem Tod eines Menschen im Grab noch weiterwachsen? Auch findet sich eine Erklärung dafür, warum Graf Zahl aus der Sesamstraße eine angeborene Dyskalkulie hat. Teilweise verliert sich dieser zweite Part etwas zu sehr in der Beschreibung von grausigen Methoden, um angebliche Wiedergänger zu bändigen. Ein Blick auf Zombies, Geister oder andere Unwesen hätte hier vielleicht Abhilfe schaffen können.
Dieses innovative Halloween-Sachhörbuch verbindet vielseitiges Wissen über den Ursprung von Halloween und über Totenbräuche weltweit, regt damit interkulturelle Begegnungen an und gibt eine jugendgerechte Einführung in die Reformationszeit. Sodann fokussiert es angebliche Wiedergängersagen aus weiten Teilen der Welt und zeigt, wie leicht sich einige Menschen von einer irrationalen Hysterie den Verstand rauben lassen. Die gut verständlichen Erzählstimmen ergänzen sich bestens und die sparsame Soundkulisse u.a. in der Sage um Jack O'Lantern ist durchdacht eingesetzt, um die gruselig-informativen Inhalte zu verstärken, nicht jedoch um oberflächliche Effekte zu generieren. Das Hörbuch eignet sich sowohl für den Privatgebrauch als auch für Bildungsinstitutionen, um Heranwachsende an das teilweise umstrittene Thema Halloween heranzuführen. Der zweite etwas gruseligere Teil ist ideal für weniger zart besaitetete Vampirfans ab 12 Jahren.
Fazit
Insgesamt ist ein informativer, sehr unterhaltsamer, aufwändig mit namhaften Sprecherinnen und Sprechern produzierter und zielführend aufgebauter Gruselspaß entstanden, der zeigt, wie ähnlich die Totenbräuche um Allerheiligen weltweit sind und wie eng doch die unterschiedlichen Kulturen trotz ihrer Unterschiede miteinander vernetzt sind. Auch durch das Zelebrieren von Totenkulten lassen sich also kulturelle Brücken zu anderen Nationen schlagen. Schließlich zeigt die Produktion deutlich, dass hinter Halloween mehr steckt als ein leerer und rein kommerzieller Kostümklamauk. Nach dem Genuss des Sachhörbuchs sehnt man sich nach noch mehr Produkten zu interkulturellen Themen aus dem Hause Ultramar. Wie wäre es als Nächstes mit der Welt des Mittelalters und deren Brauchtümern? Oder vielleicht stattet Fred ja den Nibelungen oder anderen (Helden-)Sagengestalten einmal einen Besuch ab?
- Name: Birge Tetzner