Inhalt

Ben ist elf Jahre alt, wohnt mit seiner Schwester Jonna und seiner Mutter im achten Stock eines Hochhauses und isst leidenschaftlich gern Schokolade. Dadurch ist er "ein bisschen dicklich" (01:55) oder um es weniger schön auszudrücken: übergewichtig. Dazu kommt, dass er diverse Ängste und Krankheiten hat. Eines Nachts wachen die beiden Kinder durch merkwürdige Geräusche auf und entdecken eine fremde Person in ihrem Zimmer. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um den Jungen Pollux aus der Zukunft handelt, der zu Ben gekommen ist, um mit ihm und seiner Schwester ins Jahr 2091 zu fliegen. "Ist ja auch gar nicht gruselig, wenn nachts plötzlich ein Fremder in deinem Zimmer steht..." (01:24). Dort sei Bens Hilfe dringend erforderlich, doch seine Ängste und Zweifel stehen ihm im Weg. Mit Jonnas gutem Zureden und einer besonderen Schokolade schaffen sie es schließlich doch in das Jahr 2091. In der Zukunft angekommen erfährt Ben von Pollux, dass er im Jahr 2091 zwar ein Schokoladenfabrikant ist, allerdings auch so alt und vergesslich, dass er das richtige Rezept für seine Schokolade vergessen hat. Also muss der junge Ben seinem gealterten Ich helfen. Dabei sitzt ihnen die Polizei der Zukunft im Nacken, die es gar nicht gut findet, dass sich Ben und Jonna in ihrer Zeitzone aufhalten.

Kritik

Das Kinderhörspiel beginnt mit einer studiotechnisch veränderten Computerstimme, gefolgt von synthetisch erzeugten Tönen. So werden die Hörerinnen und Hörer direkt in die Geschichte hineingeworfen und finden sich plötzlich im Schlafzimmer von Ben und seiner Schwester Jonna wieder. Janine Lüttmann verzichtet auf einen auktorialen Erzähler und lässt die Figuren die Handlung im Dialog entwickeln. Dadurch taucht man unmittelbar in die Geschichte ein und erfährt nur das, was auch die Figuren in dem Moment erleben.

Neben der Erderwärmung durch den Klimawandel, gegen die im Hörspiel im Jahr 2091 Kühlschrankwesten eingesetzt werden, stehen noch weitere aktuelle Themen auf dem Programm. Ben befürchtet beispielsweise, dass es in der Zukunft aufgrund von mehr Verkehr auf den Straßen und Abgasen schlechtere Luft und Smog gibt, weswegen alle Leute mit Gasmasken herumlaufen müssen.

Dadurch schafft Janine Lüttmann es auf der einen Seite, mithilfe von Ben anschaulich zu demonstrieren, was passieren kann, wenn wir uns nicht um unsere Erde kümmern und so weiter machen wie bisher. Auf der anderen Seite zeigt sie durch ihre Beschreibungen von abgeschafften Autos, vielen Vögeln, Roboterwalen, die die Meere von Plastik reinigen, und Drohnen als Fortbewegungsmittel im Jahr 2091 aber auch eine optimistische Sicht in die Zukunft. Die Erde könnte wieder sauberer und gesünder werden. Die Erderwärmung sei allerdings weiter fortgeschritten. Es schwingt hier eine Kritik am aktuellen Konsumverhalten und dem unbedachten Handeln der Menschen mit, dessen Folgen sich noch auf die Zukunft auswirken und bekämpft werden müssen.

Geräusche, die für jedes Hörspiel von großer Bedeutung sind, tauchen hier vor allem in Form von realistischen Imitationen auf. Sie verdoppeln aber nicht die Handlung, sondern erzählen die Geschichte mit. So hört man zu Beginn beispielsweise ein schiebendes oder vielmehr schleifendes Geräusch, gefolgt von Windrauschen (00:14). Werden beide Höreindrücke miteinander kombiniert, lässt sich vermuten, dass ein Fenster geöffnet wird. Durch diese 'zweite Geschichte', die die narrative Ebene ergänzt und vertieft, wirkt das Hörspiel viel authentischer und die Imagination wird besser angeregt. Dies wird durch unterschiedliches Anordnen der Geräusche und Stimmen auf links und rechts noch verstärkt. So hört man beispielsweise ein Insekt, das ganz nah am rechten Ohr vorbeifliegt (07:32).

Abgerundet wird das Klangbild von Musik, die passend zur Stimmung umschwenkt. An spannenden Stellen gibt es beispielsweise schnellere, beatlastige Musik mit häufig synthetischen Klängen (01:47; 03:22; 05:34; 08:16; 11:21). Die Rezipientinnen und Rezipienten werden in eine Art Alarmstellung gebracht und der Herzschlag erhöht sich. Auch taucht eine sich wiederholende Marimbamelodie auf, welche den Zwiespalt von Ben widerspiegeln könnte (04:26; 08:02). Das Auf und Ab der Melodie ist dabei vergleichbar mit der schwankenden emotionalen Gefühlslage Bens. Zudem gibt es eine Art Fahrstuhlmusik beim Warten auf die Drohne (10:47), wippende Klaviermusik (13:59) oder leise, wiegende Oboentöne, wenn Herta vorgestellt wird (12:11), sowie Kontrabassklänge beim Chef-Chocolatier (17:59). Neben der Handlungsebene tauchen also auch beschreibende Motive der Figuren auf. Durch den gezielten Einsatz von Pausen in der Musik werden neue Handlungsabschnitte gekennzeichnet, die teilweise sehr abrupt auftauchen und die Hörerinnen und Hörer von einer Szenerie in die nächste werfen. Die sehr differenzierte Nutzung verschiedener Klänge, aber auch Pausen tragen zu einer atmosphärischen Unterstützung der Handlung bei, unterstreichen Persönlichkeitsmerkmale sowie Emotionen und lassen das Hörspiel und seine Figuren lebendiger erscheinen.

Was zunächst negativ an dem Hörspiel auffällt, ist die klischeehafte Beschreibung Bens: Er liebt es zu essen (vor allem Schokolade), weswegen er als dick und übergewichtig beschrieben wird, nicht durch die Tür des Raumschiffes passt (05:05) und diverse Krankheiten wie Asthma, Flugangst und Klaustrophobie hat. Aus diesem Grund nimmt er "natürlich" auch "Lasagne mit extra Käsesoße" (23:01) und kann nur gut denken, wenn er etwas isst (22:21). Zwar interveniert Jonna ab und an und sagt, dass die Sticheleien gemein sind, es bleibt aber ein bitterer Beigeschmack. Am treffendsten ist vielleicht der Vergleich mit Klößchen aus TKKG. Auch er scheint als Figur nur ein Hobby zu haben, nämlich essen, und nur eine Eigenschaft: Er ist dick, weswegen er vor allem von Tim aka Tarzan gemobbt wird. Andererseits lässt sich Ben aber auch als abschreckende Karikatur auf Konsumverhalten und Lifestyle-Erkrankungen charakterisieren, um den Rezipientinnen und Rezipienten vor Augen zu führen, wie ungesund dies für Mensch und Erde ist.

Ben durchlebt im Hörspiel eine Entwicklung. Anfänglich noch sehr ängstlich und vorsichtig, gewinnt er mit der Zeit an Mut und lernt, seine Ängste zu überwinden. So steigt er trotz seiner Klaustrophobie in einen Roboterwal (15:38) und hat am Ende keine Angst mehr davor, in eine Zeitschleuse zu springen (28:12). Diese Entwicklung ließe sich auch auf das Konsumverhalten einer Gesellschaft übertragen, der erst die Augen geöffnet werden müssen, damit etwas passiert.

Fazit

Das Hörspiel Die Rettung der Schokolade ist spannend und hörenswert gestaltet. Besonders die sehr realitätsnahe Beschreibung einer möglichen Zukunft kann zur Reflexion des eigenen Konsumverhaltens führen. Das Hörspiel hat durch seine Message, die Rettung der Schokolade Erde, einen wichtigen Punkt getroffen: Klimawandel ist aktueller denn je. Es sei wichtig, jetzt zu handeln, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und es in der Zukunft besser zu machen. So richtet sich das Hörspiel nicht nur an Kinder ab acht Jahren, sondern auch Erwachsene werden angesprochen.

Die Hörspielinszenierung lässt die Geschichte durch die Stimmen, aber auch über Erzählen mit Musik und Geräusch realistischer und atmosphärischer wirken. Die Sprecherinnen und Sprecher charakterisieren die einzelnen Figuren durch die unterschiedliche Besetzung mit Kindern und Erwachsenen sowie durch ihr Sprechtempo sehr glaubwürdig. Besonders Valentin Karow als Ben ist es gelungen, seine Ängste und Zweifel verbal so umzusetzen, dass man gut mit ihm mitfühlen kann, aber auch die Interaktion der beiden Geschwister wirkt sehr harmonisch. Schwächen lassen sich wiederum bei der klischeehaften Darstellung von Ben entdecken, wenn man ihn allerdings symbolisch als Kritik am Konsumverhalten der Gesellschaft auffasst, die immer kränker und dicker wird, kann man von diesem Manko absehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel: Die Rettung der Schokolade
Regie:
  • Name: Janine Lüttmann
Autor/Bearbeitung:
  • Name: Janine Lüttmann
Sprechende: Valentin Karow (Ben), Kiara Scheicht (Jonna, Schwester von Ben), Oskar Hoppe (Pollux), Matthias Matschke (Chef-Chocolatier der Zukunft), Felix von Manteuffel (Uropa), Eva Weißenborn (Herta) und Effi Rabsilber (Computerstimmen wie Bordcomputer, 3D-Brille, Lieferservice der Zukunft)
Produktion: rbb und NDR für die ARD-Kinderradionacht
Erscheinungsjahr: 2020
Dauer (Minuten): 31 Minuten
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Lüttmann, Janine: Die Rettung der Schokolade (Hörspiel)