Inhalt
Auf inhaltlicher Ebene bleibt die Hörspieladaption eng an Preußlers Romanvorlage, was sich auch an der im Bereich des Kinder- und Jugendhörspiels ungewöhnlichen Länge von drei Stunden bemerkbar macht – das Hörspiel wurde vom WDR in vier Teilen urgesendet. Die heterodiegetische Erzählung im Roman wird im Hörspiel in eine autodiegetische abgewandelt: Krabat selbst tritt als Erzähler auf und leitet durch die Erlebnisse als Müller und als Zauberlehrling. Nachdem Krabat dem drängenden Ruf des Meisters in seinen Träumen folgt, erhält er von einem Dorfbewohner eine eindringliche Warnung: „Meide den Koselbruch und die Mühle am Schwarzen Wasser, es ist nicht geheuer dort. Da geschehen unheimliche Dinge, da ist Zauberei und Hexerei im Spiel. Ich sag’ es dir, geh’ nicht da hin“ (2/II/00:33). Eine Warnung, die Krabat ignoriert – der Drang, der Stimme des Meisters zu gehorchen, ist stärker, was den Dorfbewohner zu einem resignierten Fazit veranlasst: „Dem ist nicht zu helfen“ (2/II/00:55). Als er die Mühle erstmals erblickt, wird die Wirkung der beklemmenden Beschreibung durch Geräusche, vor allem Wind und Schritte im Schnee, sowie eine tiefe, langsame Melodie verstärkt:
Ich musste sehr Acht geben, nicht vom Weg abzukommen, denn vor mir war es stockfinster. Wie ein Blinder im Nebel tappte ich immer weiter durch den Wald. Bis ich eine Lichtung erreichte. Genau in diesem Moment rissen die Wolken auf und der Mond tauchte alles in kaltes Licht. Da war sie. Wie ein mächtiges, böses Tier, das auf Beute lauert, lag die Mühle in den Schnee geduckt. Dunkel und kein bisschen einladend. (1/II/01:06)
Bei der Mühle angekommen, trifft er erstmalig auf den Meister, der ihm vorschlägt, sein Lehrjunge zu werden – ein Handel, der deutliche Parallelen mit einem Teufelspakt aufweist:
Meister: Du kannst bei mir Lehrjunge werden, ich brauch’ einen. Du magst doch?
Krabat: Ich ... mag.
Meister: Und was soll ich dich lehren? Das Müllern? Oder auch alles andere?
Krabat: Das andere auch.
Meister: Schlag ein! (1/II/03:07)
Das Geräusch der ineinander schlagenden Hände erklingt zweimal, außerdem ertönt in diesem Moment das Donnern und Grollen eines einschlagenden Blitzes, dazu ein gedämpfter Entsetzensschrei und der Meister ruft: „Elf und einer ... [Hämisches Gelächter] ... elf und einer. Die Mühle – nun mahlt sie wieder. Ja, sie mahlt wieder. [Lachen, die oben erwähnte Melodie ist zu hören]“. (1/II/03:38)
Krabat merkt schnell, dass die Warnung des Dorfbewohners zutreffend war und es auf der Mühle tatsächlich nicht mit rechten Dingen zugeht. Zeit scheint hier anders zu funktionieren als anderswo, so wird Krabat nach einem Zeitraum, der ihm wie ein Jahr vorkommt, aber in Wirklichkeit drei Jahre umfasst, aus seiner Lehrzeit freigesprochen und zum Gesellen ernannt, wofür er von den anderen Gesellen eine düstere Erklärung erhält: „Merkst du denn nicht, Krabat, dass du seit deiner Ankunft älter geworden bist? Genau um drei Jahre. […] Auf dieser Mühle sind noch ganz andere Dinge möglich“ (2/III/05:18). Nun beginnt Krabats eigentliche Lehrzeit in der ‚Kunst der Künste‘ – schwarzer Magie –, was ihn zunächst durchaus fasziniert:
Einmal in der Woche, am Freitag, versammelten wir uns nach dem Abendbrot vor der Schwarzen Kammer, verwandelten uns in Raben und ließen uns auf der Stange nieder. Ich hatte den Ehrgeiz, mir alles, aber auch alles, zu merken, was der Meister uns lehrte. Tagsüber bei der Arbeit und nachts vorm Einschlafen wiederholte ich die Texte immer und immer wieder. Inzwischen hatte ich nämlich begriffen: Wer in der Kunst der Künste bewandert war, der gewann über andere Menschen Macht. Und Macht zu gewinnen – so viel wie der Meister besaß, wenn nicht mehr –, das erschien mir als hohes Ziel und dafür lernte und lernte und lernte ich. (1/XII/00:00)
Nach und nach muss Krabat aber feststellen, dass die ‚Kunst der Künste‘ einen hohen Preis fordert und der Meister ein dunkles Geheimnis hat, das ihn und seine elf Mitgesellen in Lebensgefahr bringt. Seine Fluchtversuche scheitern zwar, dafür findet er in dem Gesellen Juro jedoch einen unverhofften Freund, der ihm einen Ausweg zeigt:
Es gibt einen Weg, um dem Meister das Handwerk zu legen. Nur einen! Wenn du ein Mädchen kennst, das dich liebhat – das könnte dich retten. Falls sie den Meister bittet, dich freizugeben – und: falls sie die vorgeschriebene Probe besteht. (3/VII/02:30)
Krabat kennt ein Mädchen, aber nur aus der Ferne: Die Kantorka, die Vorsängerin der Dorfmädchen, „mit der schönsten und reinsten Stimme von allen“ (1/X/04:00). Kann sie Krabat helfen, die Macht des Meisters zu brechen?
Kritik
Krabat ist Otfried Preußlers umfangreichster Roman, er wurde in 33 Sprachen übersetzt und erhielt eine Reihe renommierter Preise, u.a. den Deutschen Jugendbuchpreis 1972 und den Europäischen Jugendbuchpreis der Universität von Padua 1973. Auch die hier besprochene Hörspieladaption aus dem Jahr 2010 erhielt einige Auszeichnungen, so wurde die CD-Version im Januar 2022 als Hörbuch des Monats der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur prämiert.
Dabei war die Entstehung des Romans das Ergebnis einer über zehn Jahre andauernden Arbeit (vgl. Preußler 2010, 185) – mit Unterbrechungen, in denen u.a. Der Räuber Hotzenplotz (1962) entstand. In der Biografie Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre (2022) arbeitet Carsten Gansel heraus, dass sich Preußlers Arbeit an Krabat sogar bis in die frühen Fünfzigerjahre zurückdatieren lässt (vgl. Gansel 2022, 14). Preußlers Freund Heinrich Pleticha, der die Entstehung des Romans kritisch begleitete, hatte zwischendurch den Eindruck, Preußler wolle „ein Sachbuch über Mühlen und Müllern“ schreiben (Pleticha 1988, 16).
Kurz vor der Vollendung des Romans erfährt Preußler 1969, dass im Jahr zuvor in der DDR eine weitere literarische Bearbeitung des sorbischen Krabat-Sagenstoffs erschienen war: Die schwarze Mühle (1968) des sorbischen Schriftstellers Jurij Brězan. Dies stellt für Preußler und Pleticha im ersten Moment einen Schock dar: „Damit schienen von einem Augenblick auf den anderen alle Hoffnungen auf Vollendung des Krabat begraben“ (Pleticha 1988, 17). Aufgrund der thematischen Unterschiede, Brězan verfolgt in seiner Bearbeitung des Sagenstoffs einen eher politisch-sozialkritischen Ansatz, entschied sich Preußler dennoch dazu, die Arbeit am Krabat abzuschließen: „Das war ein anderer Krabat, war zugleich ein neuer Ansporn, nun endlich die Erzählung zu vollenden“ (Pleticha 1988, 17).
Auch wenn in den wissenschaftlichen und feuilletonistischen Besprechungen von Krabat das Positive deutlich überwiegt (vgl. Barth 1995, 422; Schaller 1983, 62ff.), waren Preußlers Romane doch immer wieder auch Gegenstand von Kritik, wobei, wie Jürgen Daiber (2012, 165) feststellt, diese „kritischen Stimmen, […] die [die Texte Preußlers] durchaus von Anfang an begleitet haben“, aufgrund des „Enthusiasmus und [der] Öffentlichkeit, […] naturgemäß ein wenig in den Hintergrund gedrängt“ worden sind.
In Zeiten einer aufkommenden problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur stellte Preußlers Werk „eine gewaltige Provokation“ dar (Barth 1995, 421), die teilweise scharfe Kritik nach sich zog, wie etwa die von Christa Hunscha (1974, 37) getroffene inhaltliche Beschreibung des Krabat als „Weihefeier der Schmierenmystik“:
Als Preußler dann 1971 den ‚Krabat‘ schrieb, war er der Vernebelung seiner gewalttätigen Phantasien durch Kaspereien offenbar müde. Er ließ die finsteren Vorstellungen eines längst vergessen geglaubten Arsenals abergläubischer Mythen wiedererstehen. Unverbrämt tötet der Zauberer endlich konkret, foltert und versklavt. Von menschlichen Zügen ist bei diesen beängstigenden Figuren nichts mehr zu spüren. (Hunscha 1974, 35)
Diese sicherlich größtenteils dem Zeitgeist geschuldete Kritik an Preußlers schriftstellerischem Schaffen gerade in den 1970er Jahren, also im Zeitraum des Erscheinens von Krabat, die in späteren Betrachtungen weitestgehend revidiert wurde, lässt sich primär auf Preußlers Verständnis als Schriftsteller zurückführen. Er wollte Kindern „Spielwiesen für die Phantasie“ (Preußler 2010, 136) erschaffen – oder wie er 1988 in dem Text Plötzlich war ich der Watschenmann schreibt:
Ich bin kein politischer Schriftsteller, schon gar keiner, der sich parteipolitisch festlegen ließe. Ich betätige mich weder in der großen noch in der kleinen Politik und gedenke es auch dabei zu belassen. Meine Aufgabe ist es, Geschichten zu erzählen und sie dem lesenden, dem von mir bevorzugten Publikum vorzulegen, nämlich den Kindern: eine schlichte, eine friedliche, eine absolut nicht politische Tätigkeit, jedenfalls keine politisch gemeinte. (Preußler 2010, 138)
Dass diese Selbstdiagnose des nicht-politischen Schriftstellers hinsichtlich des Krabat nicht zutrifft, demonstriert nicht nur der Roman, sondern belegen auch die Adaptionen als Zeichentrickfilm (Čarodějův učeň, ČSSR 1977, Regie: Karel Zeman), Realfilm (Krabat, Deutschland 2008, Regie: Marco Kreuzpaintner), als Dramatisierung für das (Musik-)Theater und nicht zuletzt die hier besprochene Hörspielbearbeitung des WDR.
In der Figur des Meisters, seiner Schreckensherrschaft über die Mühle und seinen zwölf Müllergesellen lässt sich durchaus ein „diktatorisch, totalitär organisierte[s] System“ (Renger 2012, 130) erkennen, das auf Gewalt, Angst, und Denunziation beruht. Hierbei ist hinsichtlich der WDR-Hörspieladaption auch die Inszenierung der Meister-Figur hervorzuheben: Michael Mendl spricht ihn mit einer Baritonstimme, die – je nach Bedarf – verführerisch oder bedrohlich klingen kann, oftmals begleitet von Rainer Quades oben beschriebener Hörspielmusik, die diese Eindrücke verstärkt.
Neben der bereits erwähnten formalen Veränderung von einem heterodiegetischen zu einem autodiegetischen Erzähler wurden im Hörspiel zwei weitere wichtige Eingriffe vorgenommen, indem die Kapitel Wein und Wasser sowie Der Adler des Sultans nicht übernommen wurden. Im Roman werden diese Kapitel vom Meister selbst erzählt. Diese biografischen Hintergründe, aus denen sich auch Gründe für das Handeln des Meisters ableiten lassen, enthält das Hörspiel somit nicht, was zur Folge hat, dass etwaige Sympathien oder gar Verständnisversuche für die Figur des Meisters stark beschnitten werden. Stattdessen gerät Krabats Erleben verstärkt in den Fokus.
Ebenfalls positiv kann an dieser Stelle die Leistung von Max Mauff (als Schauspieler u.a. bekannt durch den Film Victoria aus dem Jahr 2015) in seiner Doppelrolle als Erzähler- und Figurenstimme Krabats hervorgehoben werden: Der Ich-Erzähler Krabat wirkt älter als jener Krabat, der der Protagonist der Handlung ist. Er verfügt über eine vergleichsweise tiefere, kräftigere und damit ältere Stimme. Durch die räumlich-akustische Inszenierung wird der Eindruck vermittelt, die Erzählfigur Krabat würde ihnen näherstehen und in der Gegenwart zu ihnen sprechen, während die handlungsimmanente Figur Krabat Ereignisse durchlebt, die in der Vergangenheit liegen, sich also im imaginierten Raum weiter weg befinden.
Die Entscheidung der Hörspielmacherinnen Ulla Illerhaus und Angeli Backhausen, die Erzählperspektive zu ändern, kann durchaus kontrovers diskutiert werden: Einerseits kann eingewandt werden, dass den Hörenden so von Anfang an der Eindruck vermittelt wird, dass Krabat die Gefahren, denen er ausgesetzt war, wohl heil überstanden hat, eine mögliche Distanzerzeugung und damit Spannungsverminderung, andererseits wird so während des Handlungsverlaufs im Vergleich zum Roman eine verringerte Distanz zur Handlung geschaffen und dadurch ein unmittelbareres Hörerlebnis. So wird etwa das erste Aufeinandertreffen von Krabat und dem Meister im Roman folgendermaßen beschrieben:
Hinter dem Tisch saß ein massiger, dunkel gekleideter Mann, sehr bleich im Gesicht, wie mit Kalk bestrichen; ein schwarzes Pflaster bedeckte sein linkes Auge. Vor ihm auf dem Tisch lag ein dickes, in Leder eingebundenes Buch, das an einer Kette hing: Darin las er.
Nun hob er den Kopf und starrte herüber, als habe er Krabat hinter dem Türspalt ausgemacht. Der Blick ging dem Jungen durch Mark und Bein. Das Auge begann ihn zu jucken, es tränte, das Bild der Kammer verwischte sich.
Krabat rieb sich das Auge – da merkte er, wie sich ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter legte, von hinten, er spürte die Kälte durch Rock und Hemd hindurch. Gleichzeitig hörte er jemand mit heiserer Stimme auf Wendisch sagen: ‚Da bist du ja.‘ (Preußler, 2009, 15)
Durch den im Roman vorliegenden, etwas altertümlich und märchenhaft anmutenden Erzählstil wird an dieser Stelle erzählerische Distanz zu Krabats Erleben, Eindrücken und Emotionen geschaffen: Der Schreck, der ihm ‚durch Mark und Bein‘ fährt, bleibt so eher ein surreales Element des Phantastischen.
In der Übertragung dieser Szene ins Hörspiel wurde der Wortbestand der Vorlage abgewandelt und gekürzt, indem Verbales in Nonverbales und Paraverbales, vor allem Geräusch- und Stimmelemente, übertragen wurde.
Durch die Perspektive Krabats entsteht auf hörspielinszenatorischer Ebene ein Spannungsmoment, die Hörenden ‚sehen‘ den Meister durch die Augen Krabats und empfinden den Schreckmoment mit ihm zusammen, als dieser plötzlich hinter ihm steht, was durch den bewussten Einsatz stereophoner Mittel, d.h. die Stimmpositionierung im Aufnahmeraum, möglich wird: In diesem Moment ist der Meister nicht nur hinter Krabat, sondern auch hinter den Hörenden.
Zudem wird das Hörerlebnis durch das immer wiederkehrende geräuschhafte Krächzen der Raben sowie die Hörspielmusik von Rainer Quade intensiviert. Die hierdurch über Teile der Handlung hinweg entstehende bedrückende Stimmung wird allerdings auch durch helle und freundlich anmutende Klänge kontrastiert. Diese stehen oftmals in Bezug zur Kantorka, gesprochen von Laura Maire, die auch in einer Hörspieladaption von Preußlers Die kleine Hexe (WDR 2007) die Hauptrolle spricht. Diese Figur stellt ein interessantes Phänomen dar, da sie nicht nur, was auditive Medien nun einmal an sich haben, auf rezeptionsästhetischer Ebene als Stimme in Erscheinung tritt, sondern auch handlungsimmanent: Die Kantorka ist Teil einer Gruppe von Mädchen, die am Ostersonntag, getreu einem alten Brauch, das Osterwasser holen, während sie den Choral Erstanden ist der heilig’ Christ singen. Trotz der körperlichen Abwesenheit der Figur wird ihre Stimme, die zu einem großen Teil nur in Form des intradiegetischen Gesangs zum Einsatz kommt, immer mehr zu einer festen Präsenz in der Handlung, und zwar immer dann, wenn Krabat an die Kantorka denkt: „Manchmal, wenn der Wind von Schwarzkollm herüberkam, glaubte ich den Gesang der Kantorka zu hören“ (2/IX/00:44).
Hierbei wird neben dem Choral eine Vokalise, d.h. ein Gesang ohne Worte, eingesetzt, wodurch die Kantorka ein eigenes, freundlich anmutendes musikalisches Thema erhält, das wiederum in deutlichem Kontrast zum düsteren musikalischen Motiv des Meisters steht. Während der Meister für das Böse und Teuflische, d.h. Gewalt und Unterdrückung, aber auch Verführung – also schwarze Magie – steht, repräsentiert die Kantorka das Gute, die Erlösung durch bedingungslose Liebe im Sinne einer weißen Magie, was durchaus christlich-theologische Konzepte beinhaltet.
Hierin manifestiert sich auch das Paradox, dass Krabat und mit ihm die Rezipient:innen so gut wie nichts über die Kantorka erfahren, weder ihren Namen noch ihren Hintergrund oder die Motive ihrer Handlungen oder auch ihre Verliebtheit in Krabat, lediglich dass sie von ihm geträumt hat. Sie ist demnach einzig durch ihren Gesang und ihre Funktion als Liebesobjekt und Erlöserin des Protagonisten präsent – somit eine etwas aus der Zeit gefallene Frauenfigur, was man dem Hörspiel aufgrund seiner Nähe zum Roman aber nur schwerlich anlasten kann.
Fazit
In einem jüngst veröffentlichten Feature von Eberhard Reuß anlässlich des 100. Geburtstags von Otfried Preußler wird ein Interviewausschnitt des Schriftstellers eingespielt:
Ich glaube an die Existenz von magischen Kräften, weiße Magie […] – jeder der einen Menschen liebhat, entwickelt magische Kräfte, aus Liebe – und die schwarze Magie ist der Hass. Ich glaube auch, es gehört, um diese Dinge zu erkennen, Zeit dazu. Die Zeit, die wir heute zu großen Teilen nicht mehr haben. (SWR 2023, 02:53)
Im selben Podcast kommt auch der Literaturwissenschaftler und Preußler-Biograf Carsten Gansel zu Wort, der sich intensiv mit Preußlers Erlebnissen im Nationalsozialismus beschäftigt hat:
Durch den Versuch die Spuren [in Preußlers Lebens] sukzessive zu sichten, ist mir dann bewusst geworden, in welchem Maße […] der Krabat gewissermaßen Ergebnis der Erfahrungen von Kindheit, Jugend und dann natürlich Krieg und Gefangenschaft geworden ist. (SWR 2023, 18:55)
Gansel (2022, 476) schreibt außerdem in Kind einer schwierigen Zeit, dass Krabat wie eine „Deckerinnerung“ fungiere, eine „therapeutische Traumabewältigung“, in der die „Primärerfahrungen bzw. Urerlebnisse“ abgedichtet und „in erträgliche Form“ gebracht werden. Hierin liegt wohl auch eine Erklärung für die Zeitlosigkeit bzw. bleibende Aktualität des Krabat-Stoffes, was ihn für Verarbeitungen und Adaptionen prädestiniert – im Film, auf der Bühne oder eben im Hörspiel. Festgehalten werden kann daher, dass die hier besprochene Audiofassung Preußlers Krabat nicht nur inhaltlich gerecht wird, sondern auch medienspezifisch, also durch die Wirkungen von Musik, Geräusch und Stimmen. Trotz der beträchtlichen Länge von drei Stunden kann das Hörspiel auch bei mehrmaligem Hören eine ähnliche Anziehungskraft auf die Hörenden ausüben wie diejenige, die vom Meister und der Mühle auf Krabat ausgeht. Dies liegt nicht nur an den Leistungen der Sprecher:innen, sondern auch an der durch das Hörspiel transportieren Atmosphäre, durch Geräusche, das nahezu allgegenwärtige Rabengekrächz und die Variationen von düsterer und heiterer Musik. ‚Unheimliches‘ und ‚Heimeliges‘ stehen in dieser Hörspieladaption in enger Wechselwirkung.
Krabats Weg vom verführten Zauberlehrling, der sich durch das Erleben von Liebe und Freundschaft von der Faszination der ‚dunklen Mächte‘, durch Rücksichtslosigkeit, Opportunismus und Machtstreben lösen kann, wurde ganz im Sinne des Romans in die Hörspieladaption übertragen. Somit gilt auch für dieses Hörspiel, was Preußler über Krabat schreibt:
Mein ‚Krabat‘ ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet, und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich da eingelassen hat. Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken. Da gibt es nur einen Ausweg, den einzigen, den ich kenne: den festen Willen, sich davon freizumachen, die Hilfe von treuen Freunden – und jene Hilfe, die einem aus der Kraft der Liebe zuwächst, der Liebe, die stärker ist als die Macht des Bösen und alle Verlockungen dieser Welt. (Preußler 2010, 188f.)
Literatur:
- Barth, Susanne: Aufmüpfig und doch brav. Otfried Preußlers ‚Die kleine Hexe‘. In: Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Frankfurt/Main: Fischer 1995. S. 419-438.
- Daiber, Jürgen: Otfried Preußlers ‚Krabat‘ – Zu einer ‚kindgerechten‘ Ästhetik des Bösen. In: Anita Schilcher und Claudia Maria Pecher (Hrsg.): Klassiker der internationalen Jugendliteratur. Bd. 1: Kulturelle und epochenspezifische Diskurse aus Sicht der Fachdisziplin. Baltmannsweiler: Schneider 2012. S. 161-185.
- Gansel, Carsten: Kind einer schwierigen Zeit. Otfried Preußlers frühe Jahre. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2022.
- Hunscha, Christa: Struwwelpeter und Krümelmoster. Die Darstellung von Wirklichkeit in Kinderbüchern und Kinderfernsehen. Frankfurt/Main: Fischer 1974.
- Pleticha, Heinrich: Otfried Preußler – Lebenswelt und Werk. In: Ders. (Hrsg.): Otfried Preußler. Werk und Wirkung – Eine Festschrift zum 60. Geburtstag von Otfried Preußler als Begleitbuch zu der Ausstellung in der Internationalen Jugendbibliothek München. Stuttgart: Thienemann 1983. S. 12-23.
- Pleticha, Heinrich: Die Entstehung des ‚Krabat‘. In: Ders.: Krabat. Lehrerbegleitheft. Stuttgart: Thienemann 1988. S. 16-18.
- Preußler, Otfried: Krabat. Schulausgabe. Stuttgart und Wien: Thienemann 2009.
- Preußler, Otfried: Ich bin ein Geschichtenerzähler. Hrsg. v. Susanne Preußler-Bitsch und Regine Stigloher. Stuttgart und Wien: Thienemann 2010.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Hörspielschwerpunkts zum 100. Geburtstag Otfried Preußlers.
- Name: Angeli Backhausen
- Name: Ulla Illerhaus