Inhalt

"Ich kenne einen Jungen in Afrika" heißt die erste Geschichte des Bandes. Erzählt wird von dem elfjährigen Thulani, der mit seiner Gugu, der Großmutter, und seiner kleinen Schwester in einer Hütte in den Hügeln von Swasiland lebt. Seine Mutter ist tot, der Junge musste sie mit Hilfe der Nachbarn begraben. Thulani kann nicht zur Schule gehen, weil er keinen Totenschein für seine Eltern hat, den er für den kostenlosen Schulbesuch benötigt.

Auch Sonto in "Mamas Buch" hat keine Eltern mehr. Sie muss für ihren jüngeren Bruder und die kleine Schwester sorgen. Das Mädchen macht sich auf den Weg zu einer Krankenstation, um sich und ihre Schwester auf AIDS testen zu lassen. Den Bruder kann sie nicht dazu bringen, sich mit ihnen auf den Weg zu machen. Sonto möchte wissen, ob sie beide die Krankheit in sich tragen, die ihre Mutter das Leben gekostet hat. Auf dem Weg begleiten sie die Geschichten ihrer Mutter, die diese vor ihrem Tod in einem Erinnerungsbuch festgehalten hat. Aus diesem Buch stammen auch die Worte, die den Titel des Buches bilden: "[…] es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen" (S. 36).

"Jabus Schuhe" heißt die dritte Erzählung, die davon erzählt, wie ein einfaches Paar Schuhe über den Zugang zu Bildung entscheiden und einem Kind Unaussprechliches abverlangen kann. Lungile, ein weiteres Waisenkind, möchte, dass wenigstens ihre kleine Schwester die Schule besucht. Doch dafür benötigten sie ein Paar Schuhe. Schnell muss Lungile erfahren, dass das Geld, das sie braucht, um die Schuhe zu kaufen, nicht einfach zu verdienen ist. Sie verkauft ihren eigenen Körper, um Jabu eine Perspektive zu geben.

Von Schuld, die zu schwer ist für ein Kind, erzählt die Geschichte des Jungen Sipho, dessen Gugu schwere Verbrennungen davongetragen hat. "Die Gugu brennt" lautet dementsprechend der grausame Titel dieser weiteren traurigen Geschichte. An dem Abend, an dem sich die Großmutter am Feuer der Kochstelle verbrannte, wollte Sipho kein Wasser holen, das sei Frauenarbeit. Auch hatte er sich über seine Großmutter geärgert. Seit diesem Tag macht sich der Waisenjunge schwere Vorwürfe, betet zu Jesus und sorgt dafür, dass immer Wasser in der Hütte ist. Er sehnt sich nach der Zeit, als es seiner Großmutter noch gut ging.

Kritik

Kirsten Boie verarbeitet in diesem dünnen, aber starken Erzählbändchen die Erfahrungen, die sie selbst in Swasiland gemacht hat, wo sie ein Hilfsprojekt unterstützt. Die Geschichten, die sie zunächst für sich selbst begann, bringen nun auch dem Lesenden die ganz persönlichen Schicksale von vier Aidswaisen nahe. Boie verwendet dafür eine einfache, aber poetische Sprache und erzählt aus der eingeschränkten Perspektive ihrer vier Protagonisten, deren Alltag sie schildert. Das Unsagbare bleibt ungesagt, kann sich aber dennoch im Kopf des Lesenden zu Bildern formen. Eindringlich wird die Situation der Kinder geschildert, die für hunderttausende andere Schicksale stehen. Sie leben ohne Eltern in Dörfern, die fast ausschließlich von Waisen und ihren alten Großeltern bewohnt werden. Die älteren Geschwister müssen die jüngeren versorgen, was sie in den Geschichten häufig mit viel Liebe und unter großen Opfern tun. Die weißen Heiler, Mitglieder westlicher Hilfsorganisationen, die am Rande der Texte vorkommen, können die Not dieser Kinder kaum lindern. Es sind zu viele Kinder, als dass sie in guten Bedingungen untergebracht werden können. Trotzdem sind die Geschichten nicht hoffnungslos. Die Stärke der Kinder, ihre Fürsorge für die Jüngeren, ihr Wille zur Bildung und der Zusammenhalt in den Dorfgemeinschaften werden beeindruckend dargestellt.

Kirsten Boie beantwortet in ihrem Nachwort die Fragen vieler kindlicher Leserinnen und Leser, die sich hauptsächlich um die "Wahrheit" ihrer Geschichten drehen. Boie habe diese und ähnliche Kinder tatsächlich getroffen und viele ihrer Geschichten gehört: "Wenn die Geschichten traurig sind, kann ich es darum nicht ändern", schreibt sie. "Trauriger als die Wirklichkeit sind sie nicht." (S. 112)

Die Illustratorin Regina Kehn hat mit ihrem Bucheinband eine beeindruckende grafische Verbindung von Text und Bild hergestellt. Sie orientiert sich dabei an afrikanischer Kunst, was sich auch bei den farbigen Vorsatzpapieren und einer Landkarte im Anhang des Buches zeigt. Weiterhin hat sie vier Tafelbilder geschaffen, zu jeder Geschichte eines. Nach Der Junge, der Gedanken lesen konnte. Ein Friedhofskrimi ist es das zweite Buch, in dem Boies Text und Kehns Bilder eine hervorragende Symbiose eingehen.

Fazit

Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen ist ein bemerkenswertes Buch für ältere Kinder ab 13 Jahren und Erwachsene, das es auf dem gegenwärtigen Buchmarkt nicht leicht haben wird. Auf Resonanz ist es dennoch gestoßen: Es wurde im Oktober 2013 von Die Zeit und Radio Bremen mit dem "Luchs" ausgezeichnet.

Kirsten Boie zeigt hier wieder einmal, wie gut sie sich in Kinder hineinversetzen und ihren Alltag darstellen kann, auch wenn die Lage ihrer Protagonisten hier viel schwerer zu ertragen ist, als in vielen ihrer anderen Bücher.

Literatur/Quellen
http://www.radiobremen.de/funkhauseuropa/serien/luchs/luchs682.html
http://www.kirsten-boie.de/kirsten-boie-interviews.php?kategorie=Interviews&id=12&sprache=de

Titel: Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen
Autor/-in:
  • Name: Boie, Kirsten
Illustrator/-in:
  • Name: Regina Kehn
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Oetinger
ISBN-13: 978-3-7891-2019-0
Seitenzahl: 112
Preis: 12,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Boie, Kirsten: Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen