Inhalt

Sie treffen sich an der Grenze von Guatemala nach Mexiko: Miguél, Fernando, Emilio, Jaz und Angel. Sie alle sind auf der Flucht und wollen in die USA, denn dort versprechen sie sich eine bessere Zukunft, eine Perspektive, die sie in der Heimat nicht haben. Die Geschichte entfaltet sich chronologisch aus der Sicht des homodiegetischen Ich-Erzählers Miguél. Die jugendlichen Flüchtlinge vertrauen sich dem älteren Fernando an, der sich gut auskennt auf dem gefährlichen Weg quer durch Mexiko, den die Migranten vor allem als blinde Passagiere in Güterzügen bewältigen. Sie sind beeindruckt von Fernandos Mut und seinen Kenntnissen über die Gefahren, die an der Bahnstrecke lauern können. Nachts lauschen sie seinen spannenden Geschichten, die er wunderbar zu erzählen vermag. Woher er all sein Wissen hat, scheinen die Jugendlichen sich höchstens am Rande zu fragen. Zu beschäftigt sind sie mit der Flucht und dem harten Überlebenskampf. Von Anfang an ist ihnen klar: Gemeinsam sind sie stärker. Erst recht, wenn das stimmt, was Fernando sagt: Von hundert Leuten kommen auf dieser Flucht nur zehn durch. Die Protagonisten hoffen alle, in den USA Verwandte wiederzufinden, die sie in den ärmlichen Verhältnissen Guatemalas zurückgelassen hatten. Ich-Erzähler Miguél will zu seiner Mutter, die ihn und die kleine Schwester Juanita allein ließ und in Briefen immer wieder verkündete, bald würde sie ihre Kinder nachholen. Doch dazu kam es nie. Nun hat sich Miguél auf eigene Faust auf den Weg gemacht, um zu seiner Mutter zu gelangen.

Die Handlung wird immer wieder unterbrochen durch Briefe, die er an seine kleine Schwester schreibt und in denen er ihr von der schweren Reise erzählt. Aber alles mag er nicht sagen, denn das, was die "Train-Kids" erleben, ist so unfassbar hart, dass es alle Vorstellungen überschreitet, die sich Miguél je gemacht hat. Bald erkennt er, dass sie ohne Fernando tatsächlich verloren wären: Es sind nicht nur Hunger, Kälte und der beschwerliche Weg mit den Zügen, sondern vor allem die vielen Banditen, auf die die Jugendlichen treffen. Sie werden zusammengeschlagen und misshandelt – die Strapazen spitzen sich gewaltig zu, als der Indio Emilio von Banditen aus dem Zug geworfen wird. Die Jugendlichen, die sich emotional immer stärker aneinander binden und tiefe Freundschaften entwickeln, finden Emilio nicht wieder. Doch es kommt noch schlimmer, als sie von den sogenannten Zetas, den "allermiesesten Typen im Drogengeschäft" (S. 214), gefangen genommen und gefoltert werden. Sie können sich befreien, aber nachfolgend merkt Angel, der Jüngste unter ihnen, dass er den grausamen Bedingungen dieser Flucht nicht gewachsen ist und geht zurück zu seinen Großeltern. Doch die Protagonisten treffen auch auf warmherzige, mildtätige Leute, die ihnen helfen, z.B. einen Padre in Tapachula, der sie vor der Verhaftung bewahrt oder die Herbergsmutter La Santa in San Luís Potosí, weit oben im Norden Mexikos, die Miguél in einem seiner Briefe an Juanita als "nettesten Menschen, den er je kennengelernt hat"  (S. 233) beschreibt. Am Ende sind es noch Fernando, Miguél und das einzige Mädchen Jaz, die es bis in die USA schaffen. Insbesondere zwischen Miguél und Jaz hat sich eine enge Beziehung entwickelt, die Züge eines Liebesverhältnisses trägt. Fernando hilft den beiden, einen sogenannten Kojoten zu engagieren, der ihnen hilft, die Grenze zu den USA zu passieren. Er selbst lässt sich dabei verhaften - Miguél und Jaz erkennen, dass Fernando eigentlich nur unterwegs sein will. Auf ihn warten keine Verwandten. Miguél aber kommt bei seiner Mutter an. Ob die beiden sich aneinander annähern können und ob sie die kleine Schwester Juanita nachholen, bleibt offen.

Am Ende steht ein Nachwort, in dem der Autor über die Situation an den Bahnstrecken Mexikos, seine Recherchen vor Ort und die realen Vorbilder über die Figuren informiert.

Kritik

Ina Brendel-Perpina hat in einer Studie über die Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises festgestellt, dass die Jugendlichen vor allem realistische Bücher nominieren (vgl. Brendel-Perpina/Stumpf 2013, S. 162). Dafür ist Train Kids ein neues und aktuelles Beispiel. Es handelt sich um einen Flucht-Roman, der dem Leser die harte Realität der Migration vor Augen führt. Bei der Lektüre lernt man ungeheuer viel über die dramatische Situation der Migranten in Mexiko. Dirk Reinhardt hat für diesen Jugendroman exzellent recherchiert, indem er vor Ort mit Flüchtlingen sprach. Vermutlich speist sich aus diesen Gesprächen die sagenhafte Authentizität der Figuren, die Reinhardt, an realen Vorbildern orientiert, für seinen Roman konzipiert hat. Die Lektüre des Romans verspricht atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Seite, die einerseits durch die authentischen Figuren begründet ist, andererseits durch die abenteuerliche Struktur der Handlung. Der Leser fiebert mit Miguél und seinen Freunden und ist so eingenommen von der Spannung und den erzählten Ereignissen, dass man es als schier unglaublich und unsäglich erleichternd empfindet, als die Figuren die USA erreichen, was mit den Worten des bezahlten Begleiters, dem sog. Kojoten, eingeleitet wird: "Da ist es." "Was?" fragt Jaz. "Na, das Land", sagt El Anfibio. "Das Land, in das ihr wollt." (S. 296)

Vom Anfang bis zum Ende des 319 Seiten starken Romans ist der Leser in die Handlung hineingezogen und erlebt die Ereignisse unmittelbar, was auch daran liegt, dass im Präsens erzählt wird. Durch die Beschäftigung mit dem Einzelschicksalen werden hier "kollektive Fluchtereignisse individualisiert", wie es Dieter Wrobel (2016, S. 4) für die Fluchtliteratur allgemein festhält. Zentriert ist die Handlung in Train Kids auf eine Reihe von Transit-Orten (vgl. ebd., S. 11), über Heimat-und Ziel-Ort hingegen erfährt der Leser fast nichts. Schauplatz sind vor allem die Züge und die Bahnstrecke in Mexiko, auf der die Migranten sich von Mittelamerika in die USA durchschlagen. Der Leser hofft und bangt mit den Figuren und am Ende wird fühlbar, dass es hier eigentlich kaum eine Verbesserung der Lebenslage geben kann, wenn Jaz über Fernando sinniert:

"Aber vielleicht will er ja einfach unterwegs sein. Verstehst du? Weil er sich dann immer einreden kann, dass es da, wo er hinfährt, besser ist als da, wo er herkommt. Sobald du einmal angekommen bist, ist es vorbei damit. Dann siehst du, dass es kein Stück besser ist. Eigentlich ist es nirgendwo besser. Aber solange du unterwegs bist, kannst du´s dir immerhin vormachen." (S. 280)

Fazit

Train Kids ist ein unglaublich spannender, gut erzählter und überzeugend recherchierter Jugendroman über Migranten in Mexiko, dem zahlreiche Leser zu wünschen sind. Ein Buch, das zu Tränen rührt und dass man aufgrund der spannenden Abenteuerstruktur und der authentischen Figuren mit hohem Identifikationspotenzial am liebsten in einem Rutsch durchlesen möchte und nicht mehr aus der Hand legen mag. Empfohlen sei es sowohl jugendlichen als auch erwachsenen Lesern ab 14 Jahren, die sich mit der harten Realität des Flüchtlingsalltags auseinandersetzen wollen (und können).

Literatur

  • Brendel-Perpina, Ina/ Stumpf, Felix: Leseförderung durch Teilhabe. Die Jugendjury zum Deutschen Jugendliteraturpreis. München: kopaed 2103.
  • Wrobel, Dieter: Flucht-Texte – Flucht-Orte. In: Praxis Deutsch 257/2016. S. 4-12.
Titel: Train Kids
Autor/-in:
  • Name: Reinhardt, Dirk
Erscheinungsort: Hildesheim
Erscheinungsjahr: 2015
Verlag: Gerstenberg Verlag
ISBN-13: 978-3-8369-5800-4
Seitenzahl: 320
Preis: 14,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Reinhardt, Dirk: Train Kids