Inhalt

Cora erwacht inmitten einer rotsandigen Wüste, an die direkt ein Meer und eine schneebedeckte Tundra grenzen. Eine künstliche Stadt, deren Gebäude ganz unterschiedliche Epochen und Baustile widerspiegeln, rundet die neue Umgebung ab, in der sie sich zurechtfinden muss. Doch sie ist nicht allein. Nachdem sie ein totes Mädchen am Ufer des Meeres gefunden hat, stößt sie als erstes auf den gleichaltrigen Lucky, dessen Schicksal eng mit dem ihrigen verwoben ist, wie Cora später feststellen muss. Als dann noch Leon, Nok und Rolf auftauchen, scheint die Gruppe komplett. Alle rätseln, warum man sie in diese seltsame Umgebung gebracht hat und wer überhaupt für ihre Entführung verantwortlich ist.

Eine Antwort erhalten sie schnell, als Cassian auftaucht und ihnen emotionslos erklärt, dass er von nun an ihr Hüter sei. Sie seien vom astralen Volk der Kindred gerettet worden und befänden sich nun auf einem Raumschiff in einer für sie künstlich angelegten Umgebung, in der die Kindred auf sie achten würden. Es gibt jedoch drei Regeln, die sie befolgen müssten: Die Rätsel zu lösen, die ihnen an den unterschiedlichen Orten dieser künstlichen Welt gestellt werden; sie sollen auf ihre Gesundheit achten; und sie sollen "den Weiterbestand [der eigenen] Spezies durch fortpflanzende Aktivitäten sichern." (S. 79)

Cora ist erschüttert und sucht mit den anderen nach einer Fluchtmöglichkeit aus dieser Welt, in der sie alle wie Zootiere zur Belustigung und zum Ergötzen der Außerirdischen gehalten werden. Die zunehmende Rebellion der Protagonistin steht der ebenfalls zunehmenden Assimilation der restlichen Gruppenmitglieder in die neue Welt gegenüber und kann auch nicht gestoppt werden, als sie alle erfahren, dass es die Erde nicht mehr gibt. Cora ist verzweifelt – und ahnt noch nicht, dass Cassian speziell auf sie ein Auge geworfen hat.

Während die anderen Gruppenmitglieder immer mehr Gefallen an der Umgebung finden, separiert sich Cora und wird mehrmals von Cassian aus der unwirklichen Welt in die Welt der Kindred gebracht, wo er ihr seine Welt zeigt – und selbst zunehmend emotionale Regungen aufblitzen lässt, so dass sich Cora zu ihm hingezogen fühlt. Cassian eröffnet ihr, dass er selbst es war, der sie ausgewählt hat und auf das Raumschiff hat bringen lassen. Bei einer weiteren Begegnung der beiden in Coras neuer Welt kommt es zum Kuss, der Cora bestätigt, in Cassian einen Verbündeten gefunden zu haben, zumal er ihr schließlich einen Weg zur Flucht aufzeigt.

Doch die sich in der Gruppe entwickelnde Dynamik hat die Mitglieder zunehmend entzweit und belässt Cora zusehends in ihrer Rolle als Außenseiterin. Kann sie die anderen doch noch von ihren Fluchtplänen überzeugen? Und was verbirgt Cassian wirklich vor ihr?

Kritik

Megan Shepherd greift in ihrem Roman The Cage (1) – Entführt  ein Thema auf, das in Europa zwischen ca. 1870 und 1940 seine Blütezeit hatte: die Völkerschauen, die besonders außereuropäische Menschengruppen in Zoos, auf Jahrmärkten und in Theatern vorführten und zur Schau stellten. Es war das Fremde in seiner Andersartigkeit, das in möglichst naturgetreuer Kulisse dargeboten werden und für Unterhaltung sorgen sollte. Dass hierbei doch nur Klischeevorstellungen bedient wurden, zeigt die oftmals theatrale – und oftmals erniedrigende – Darstellung und Bekleidung der einzelnen Völker, so dass rassistischen Vorstellungen und Glaubenshaltungen Vorschub geleistet wurde.

Shepherd greift dieses Konzept auf: Sie lässt eine intelligente außerirdische Spezies, die Kindred, Menschen, genauer Jugendliche, entführen und in ein künstliches angelegtes Habitat/Gehege bringen, das in der kleinen künstlich angelegten Stadt unterschiedliche Architekturstile kombiniert, während die Landschaft, die die Stadt umgibt, aus unterschiedlichen Klimazonen besteht. Die Jugendlichen selbst werden in fremde Kleidung gesteckt und wie Tiere in einem Zoo gehalten, als Spezies werden sie als bedroht und – im Gegensatz zu den astralen Völkern – als minder intelligent gesehen. Die Jugendlichen sollen sich amüsieren, sich fortpflanzen und auf sich und ihre Körper achten. Nach und nach findet Cora, Protagonistin des Romans, heraus, dass sie nicht die einzigen sind, die in künstlich gestalteten Szenerien gehalten und mitunter dressiert werden, sondern dass es noch andere Menschen gibt, die marionettengleich Kunststückchen vorführen oder in nachgebildeten musealen Räumen leben.

Shepherd kombiniert diese Idee – natürlich – mit einer sich anbahnenden Beziehung zwischen dem 'einfachen' und hier zusätzlich noch unschuldig im Jugendknast gesessenen Mädchen mit dem bildschönen und für Cora nahezu unerreichbaren Außerirdischen Cassian, der sie lange auf der Erde beobachtet und für seinen Zoo ausgewählt hat. Während sie ihre Emotionen quasi laut herausschreit, verbirgt er seine Gefühle und lässt Cora nur langsam spüren, wie sehr er sie mögen muss. Als sein Gegenpart – und damit für Cora erreichbar – wird Lucky etabliert, der sich in Cora verliebt hat und ihr in dem künstlichen 'Paradies' ein Partner sein will.

Die Zerrissenheit zwischen zwei Männern, von denen einer unerreichbar scheint und sich dennoch in die Protagonistin verliebt, während der andere erreichbar ist, den die Protagonistin aber nicht genug begehrt, ist ein Motiv, das schon in zahlreichen anderen Jugendbüchern aufgegriffen wird, so z. B. in Twilight (Stephenie Meyer, 2005-2008), The Hunger Games (Suzanne Collins, 2008-2010), oder auch der Matched-Trilogie (Ally Condie, 2011-2013). Zudem findet sich das Motiv der Liebe zwischen einer Menschenfrau und einem Außerirdischen in Rick Yanceys Buch Die fünfte Welle (The fifth Wave, 2013), ebenfalls dem Auftakt einer Trilogie.

Während Idee und Gedankenspiels eines Menschenzoos vor fremder/außerirdischer Kulisse spannend und interessant anmuten, fallen jedoch zahlreiche intertextuelle Verweise auf, die den Roman in zahlreiche literarische und filmische Traditionen setzen und daher nicht ganz so innovativ sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Das Aussetzen von Jugendlichen in einem labyrinthischen System und ihre Bewährungsproben und Fluchtversuche aus dem Labyrinth finden sich in James Dashners Trilogie The Maze Runner (2009-2011) ebenso wie in Rainer Wekwerths Labyrinth-Trilogie (Das Labyrinth erwacht, Das Labyrinth jagt dich, Das Labyrinth ist ohne Gnade, 2013-2014). Das Aufwachen auf einem Raumschiff ist aus Beth Revis‘ Godspeed-Trilogie (2013-2015) bekannt, der Schockmoment, dass es die Erde nicht mehr geben soll, findet sich bereits in Douglas Adams' The Hitchhiker's Guide to the Galaxy (Per Anhalter durch die Galaxis, 1979-1992).

Es scheint, als habe Shepherd einzelne Versatzstücke  zu einer neuen Geschichte zusammengefügt, die zwar spannend, jedoch auch ziemlich vorhersehbar ist und bekannten Mustern folgt. Einige Aspekte wirken zudem zu konstruiert, etwa, wenn Cora einen menschlichen Knochen im Sumpf findet, Cassian damit konfrontiert und er ihr ohne Gefühlsregungen berichtet, dass es menschliche Knochen seien, schließlich sei die Welt der Menschen aus Kohlenstoff erbaut, weshalb u. a. sterbliche Überreste voriger Bewohner dieses Geheges als Kohlenstoffquellen genutzt werden müssen, um diese Welt erst zu ermöglichen.

Die Protagonisten kommen in Shepherds Roman alle zu Wort: Der Erzähler berichtet aus heterodiegetischer Perspektive mit interner Fokalisierung in den einzelnen Kapiteln des Buches jeweils aus der Sicht der unterschiedlichen Protagonisten, wobei Cora deutlich im Mittelpunkt steht. Ihre Handlungen sind es, die fokussiert werden und an denen sich die anderen Akteure reiben. Spannend sind die Gruppendynamiken, die Shepherd eröffnet und die sich nicht allein aus Coras Handlungen ergeben, sondern auch durch die Verbindungen einzelner Akteure untereinander. So ist Coras Leben eng mit dem Luckys verknüpft, war es doch seine Mutter, die bei dem Autounfall ums Leben kam, für den Cora in den Jugendknast musste. Nok und Rolf waren in ihrer 'alten' Welt Außenseiter und abhängig von anderen, während sie hier frei sein und das Leben führen können, das sie sich imaginiert  haben. Lediglich Leon bleibt sehr seiner alten Rolle verhaftet und damit ein Einzelgänger, der sich auch mit der später neu hinzukommenden Mali nicht anfreunden kann, die später Cora folgt und die bei der Flucht begleitet.

Cassian als Hüter scheint zwar als unberechenbare Figur konzipiert, die ihre Gefühle zu verbergen sucht, sich aber zunehmend Cora öffnet – und sich auch wieder verschließt, dessen Absichten jedoch irgendwann deutlich werden. Die Zerrissenheit, die immer spürbarer wird, hätte jedoch noch stärker betont werden können. Das Oszillieren zwischen der Rolle des Beschützers/Hüters/Kommandanten auf der einen Seite und der des Verliebten auf der anderen Seite gelingt nicht immer ganz und lässt schon am Ende des ersten Bandes der Trilogie anklingen, dass sich Cassian gegen sein Volk und für Cora entscheiden wird – wenn er die Entscheidung nicht schon längst getroffen hat.

Das Setting einer anderen Welt, die künstlich erschaffen wurde, lässt – und das sagen die Protagonisten selbst – Assoziationen an Laborexperimente mit Ratten zu, die auf bestimmte Verhaltensweisen hin konditioniert werden. Genau dies versuchen die Außerirdischen auch mit den Menschen, die sie nicht nur durch Einwegglasscheiben beobachten, sondern auch schauen wollen, ob in ihnen nicht doch telekinetische Fähigkeiten vorhanden sind, die die Menschen auf eine neue Intelligenzstufe erheben könnten.

Fazit

Megan Shepherd ist mit The Cage (1) – Entführt ein kurzweiliger Roman gelungen, der Lesern ab 14 Jahren zwar eigentlich nicht viel Neues bietet, aber dennoch Kurzweil und unterhaltsame Stunden verspricht. Auch wenn viele Elemente aus anderen Geschichten und Trilogien bereits bekannt sind und die ganze Geschichte vorhersehbar  werden lässt, ist es doch spannend, die sich entwickelnden Gruppendynamiken zu beobachten und die Protagonisten dabei zu verfolgen, wie sie ihrem künstlichen Käfig entkommen können. Ob und wie das gelingt und ob die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Cora und Cassian positiv endet, löst sich in Band 2 und 3 der Trilogie auf..

Quellen

  • Blanchard, Pascal u.a.: MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Hamburg: Éd. du Crieur Public 2012.
  • Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde: Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen in Deutschland 1870–1940. Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2005.
  • Kirschnick, Sylke: "Koloniale Szenarien in Zirkus, Panoptikum und Lunapark." In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.) "… Macht und Anteil an der Weltherrschaft." Berlin und der deutsche Kolonialismus. Münster: Unrast-Verlag 2005.
  • Lewerenz, Susann: "Völkerschauen und die Konstituierung rassifizierter Körper." In: Schwarz, Werner Michael: Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung "exotischer" Menschen, Wien 1870–1910. Wien: Turia und Kant 2001.
Titel: The Cage (1) – Entführt
Autor/-in:
  • Name: Shepard, Megan
Originalsprache: Amerikanisches Englisch
Originaltitel: The Cage
Übersetzung:
  • Name: Beate Brammertz
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2016
Verlag: heyne fliegt
ISBN-13: 978-3-453-26893-7
Seitenzahl: 462
Preis: 12,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Shepherd, Megan: The Cage (1) – Entführt