Inhalt
Mari und ihre Cousine Bri sind am selben Tag geboren. Zu Kinderzeiten sind die beiden unzertrennlich, doch im Teenageralter gehen ihre Wege auseinander. Während Bri sich in ihrer Freizeit als Outdoor-Freak auf extreme Wandertouren begibt und mit dem Rucksack quer durch Europa reist, bastelt Mari an einer virtuellen Identität, deren Inszenierungen sie auf Facebook und Instagram postet. Sie selbst spricht von ihrem "gefakten Leben“, bemisst ihren Selbstwert an der Zahl ihrer Follower und inszeniert sich und ihren Körper in Yoga-Posen auf den geposteten Fotos. Der plötzliche Tod ihrer Cousine trifft Mari jäh und hart. Mit einem Mal stellt sie ihr gesamtes Tun und Lassen in Frage, erst recht, als an ihrem 18. Geburtstag ein Paket von Bri eintrifft, das einen Rucksack, Wanderschuhe und ein Trailtagebuch für den Yosemite-Nationalpark in Kalifornien enthält. Trotz der bestehenden Distanz hatte Bri vor ihrem Tod die gemeinsame Wanderung des John Muir Trails für sich und ihre Cousine geplant und vorbereitet. Mit einer melodramatischen Videobotschaft verabschiedet sich Mari von ihren Followern in den sozialen Medien und läuft tatsächlich los: ganz allein, durch das Gebirge, obwohl sie als Hikerin völlig unerfahren ist. Die Blasen an den Füßen sind vorprogrammiert, doch letztlich wird die Wanderung zu einem intensiven Selbsterfahrungstrip für Mari, indem sie wortwörtlich in die Fußstapfen der verstorbenen Cousine tritt. Unterwegs lernt sie eine Gruppe wandernder Jugendlicher kennen, mit denen sie sich anfreundet. Insbesondere zwischen Josh und Mari entwickelt sich eine enge Beziehung, aus der zum Ende hin eine zarte Romanze erwächst. Dem Drang, alles zu fotografieren und zu posten, widersteht Mari erfolgreich. Das Handy bleibt aus, zumal es in den Bergen meistens ohnehin kaum Empfang gibt. Und so steht am Schluss die Erkenntnis:
Wenn wir den Mut finden, uns auf die Reise zu begeben, werden Einsamkeit und Verlorenheit sich ins Gegenteil umschlagen und von Leben, Wahrheit und klarer Schönheit überstrahlt werden. (S. 331).
Kritik
Sicher, das vorangegangene Zitat deutet es an: Der Roman enthält reichlich Pathos und kritisiert vielleicht etwas zu plakativ das Leben mit sozialen Medien. Das klingt schon in dem ungünstig gewählten programmatischen deutschen Titel an: Offline ist es nass, wenn’s regnet. Die amerikanische Originalausgabe heißt Other side of lost – und das trifft es deutlich besser, denn es handelt sich hier um einen überraschend gut erzählten und spannenden Reiseroman, in dem es vor allem um die Trauerarbeit der Protagonistin geht, die ihre Cousine verloren hat, um Entwicklungsfragen und Naturerlebnisse. Mari begreift auf dem John Muir Trail, dass, "wenn man in die Welt hinausgeht, man eigentlich nach innen geht." (S. 198). Und eben von dieser inneren Reise erzählt Jessi Kirbis Roman und nicht etwa davon, wie schädlich die sozialen Medien sind, wie es der deutsche Titel fälschlicherweise suggeriert.
Zugegebenermaßen wirkt die Handlung ein bisschen konstruiert. So hat sich die verstorbene Bri selbst Briefe geschrieben und Pakete an verschiedene Stationen der Wanderung geschickt, die Mari nun sukzessive abholen kann. Wenn sie nahe daran ist, aufzugeben und zusammenzubrechen, so macht Bri ihr Mut mit den Briefen, die sich auch paratextuell mit Zeichnungen und unterschiedlichen Schrifttypen vom Fließtext absetzen. Das hilft bei der Trauerarbeit und beim Weg ins Innere, etwa wenn Bri schreibt:
"Dieser Hike ist eher zu Ende, als du denkst, also erlebe achtsam jeden Augenblick, der dir bleibt, bevor du nach Hause fährst und das nächste Abenteuer planst. Denn wie Muir schon sagte: Die Welt ist groß. Und ich möchte möglichst viel anschauen, bevor es dunkel wird. Alles Liebe, Bri (S. 309)"
Zudem nimmt die Liebesbeziehung zwischen Mari und Josh der Handlung ein Stück weit die Glaubwürdigkeit, was schade ist, denn man fragt sich, ob sie sich nun unbedingt auch noch verlieben muss, um zu sich selbst zu finden. Allerdings nehmen die Liebesgefühle in der histoire nicht allzu großen Raum ein.Alles in allem liegt hier ein spannender Jugendroman vor, der Lust auf Outdoor-Erfahrungen macht und eine Hommage an das Leben in der Natur darstellt. Ganz bestimmt lesenswert!
Fazit
Ein schöner Reiseroman, der sensibel den Trauerprozess eines jungen Mädchens nachzeichnet, eine Ode an das Leben und die freie Natur. Er liest sich leicht, hat Tempo und sei lesefreudigen Jugendlichen ab 15 Jahren empfohlen, die das Thema Selbstfindungsphase interessiert. Mitunter greift das Buch Klischees auf und kann auch auf eine Liebesgeschichte nicht verzichten, die es nicht gebraucht hätte. Trotzdem: Ein schönes Leseerlebnis, nach dem man am liebsten sofort das Handy ausschalten und loswandern möchte.
- Name: Kirby, Jessi
- Name: Anne Brauner