Inhalt
Gut 5000 Menschen leben im Jahr 2057 abgeschlossen und unter einfachen, nicht der Zeit entsprechenden Lebensbedingungen im idyllischen Tal der Erweckten mitten in den Alpen, dort, wo sie in Erwartung der Wiederkunft Christi den allein wahren Glauben ausleben können und sicher sind vor den Armeen Satans, die die gesamte restliche Welt ringsum versklavt haben und alle anderen Menschen zu Verlorenen werden ließen. So jedenfalls behaupten es der Vikar und der 'Letzte Bischof'. Die 15-jährige Sophia ist hier aufgewachsen und stets bemüht gewesen, den Anforderungen eines frommen Lebens gerecht zu werden; denn jegliche Zweifel an der Richtigkeit der biblischen Lehre sind eine große Sünde und werden vom Inquisitor und den Gotteswächtern unnachsichtig verfolgt. Doch immer wieder scheinen sich für Sophia Ungereimtheiten zwischen Lehre und Leben zu ergeben, die sich nur mit größter Mühe unterdrücken lassen. Während eines Sportfestes trifft sie auf Mirko. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Mirko eröffnet Sophia, dass er anhand eigener Überlegungen und Beobachtungen, aber auch dessen, was er in verbotenen Büchern gelesen hat, die Gegebenheiten im Tal der Erweckten nicht weiterhin widerspruchslos hinzunehmen gedenkt. Als Sophia sich vehement gegen derartige 'häretische‘ Anwandlungen stellt, flüchtet Mirko eines Nachts nach München, in die Welt der vermeintlich Verlorenen. Ein Jahr wird es dauern, bis Sophia, die per Drohne eine Botschaft von Mirko erhalten und inzwischen doch einen neugierigen Blick in die verbotenen Bücher geworfen hat, nach einer Auseinandersetzung mit ihrer Mutter ebenfalls das Tal verlässt, um Mirko endlich wiederzufinden. Ein schwieriges Unterfangen, zumal sie angesichts der hochtechnisierten Welt, die sie außerhalb des Tales erwartet, zunächst völlig überfordert scheint. Alles ist dort vernetzt, alles wird dort akribisch überwacht und gesteuert von gigantischen Computersystemen, deren künstliche Intelligenz längst die Menschheit beherrscht. Mit Hilfe von Ricky und Paula, die sie unter Mirkos letzter bekannter Adresse trifft, macht sich Sophia auf die Suche nach dem Menschen, den sie noch immer innig liebt. Es wird ein Eintauchen in fantastische, digital generierte Welten, bei denen es nahezu unmöglich ist, zwischen Realität und Imagination zu unterscheiden. Und Mirko ist einer von vielen, die sich offenbar dauerhaft in diesen simulierten Sphären aufhalten, um nicht mit der Wirklichkeit konfrontiert zu werden. Aber Sophia gibt nicht auf; sie will Mirko, den sie nach langer Suche endlich wiederfindet, mit ihrer Liebe in die Realität zurückholen – koste es, was es wolle...
Kritik
Mit Girl in a Strange Land hat Karl Olsberg erneut einen spannenden Jugendroman vorgelegt, der das emotionale Auf und Ab einer ersten Liebe thematisiert, sich dabei zugleich in Science-Fiction-Manier mit den umwälzenden Veränderungen einer zunehmend hochtechnisierten Lebensweise beschäftigt. Der etwas irritierende englische Titel bezieht sich dabei auf einen Benutzernamen, den die Protagonistin für ein Computerspiel ausgewählt hat (S. 176/77). Erzählt wird der Handlungsverlauf in interner Fokalisierung und durchgängig im Präsens aus der Ich-Perspektive der zu Beginn 15-jährigen, später 16-jährigen Sophia Mahler. Das Konstrukt der Rahmenhandlung – Liebe, Flucht ins Ungewisse, intensive Suche nach dem verlorenen Partner in einem eigentlich unzugänglichen Umfeld – erinnert entfernt, wenngleich in umgekehrter Geschlechterkonstellation, an das Orpheus-und-Eurydike-Motiv:
'Ich muss Mirko retten', sage ich, und obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich das anstellen soll, habe ich noch nie etwas so ernst gemeint. 'Wenn er Satan verfallen ist, dann gehe ich eben in die Hölle und hole ihn zurück!' (S. 167)
'Sophia besitzt eine Kraft, gegen die selbst die Titanen machtlos sind.' 'Ach ja? Und was für eine Superkraft soll das sein?' 'Liebe.' (S. 168)
Der Plot spielt anfangs im weitestgehend abgeschlossenen Raum des Tales der Erweckten, in dem man sich dem technischen Fortschritt und den Verlockungen einer 'bösen' Außenwelt mit enger biblischer Argumentation verschließt. Die (zeitlich versetzte) Flucht von Sophia und ihrem Freund Mirko Kaminsky führt beide in eine für sie in vielerlei Hinsicht unbekannte und feindlich anmutende Außenwelt, in der gänzlich andere Gesetzmäßigkeiten herrschen. Dem vorausgegangen ist die zunehmende Erkenntnis, dass das scheinbar klar gefügte Weltbild, das in ihrem Heimattal propagiert wird, in mancherlei Hinsicht nicht stimmig zu sein scheint und ein frei bestimmtes Leben praktisch unmöglich macht. Die 'ketzerischen' Gedanken werden bestätigt und verstärkt durch 'verbotene' Bücher, die Mirko versteckt hält; es handelt sich um naturwissenschaftliche Abhandlungen über Erkenntnisse aus der historischen Geologie und der Evolutionstheorie sowie eine Beschreibung der Weltreligionen.
Das ebenfalls hier angeführte, 2009 erschienene Buch Die Schöpfungslüge von Richard Dawkins, eines kompromisslosen Atheisten, passt allenfalls bedingt dazu: Es ist eine populärwissenschaftliche, reißerisch-missionarisch argumentierende Schrift, deren Lektüre eine kritisch wertende Haltung erfordert, da sie prinzipiell jeden Leser, der Dawkins‘ 'Beweisen' nicht folgen mag, mehr oder weniger für dumm erklärt.
Olsberg stellt zwar ebenfalls viele angeblich biblisch begründete Weltsichten deutlich in Frage, auch durch die extrem kontrastierenden Lebenswelten im 'Tal der Erweckten' und der 'verlorenen' Welt außerhalb der alpenländischen Idylle: Er bezeichnet damit eine biblisch-religiöse Überzeugung zwar nicht grundsätzlich als überkommen, lässt sie aber durch Verortung in einer rückwärts gewandten Gesellschaft als (gewollt oder ungewollt?) unzeitgemäß, wenn nicht gar hinterwäldlerisch erscheinen. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine mehr als deutliche, aber unbedingt kritisch zu hinterfragende Polarisierung: Religion versus naturwissenschaftliche Erkenntnis. Immerhin gibt Olsberg jedoch keine 'Patentantworten' auf grundlegende Lebensfragen, sondern belässt den Lesenden die Möglichkeit, selber zu entscheiden, welcher Denkrichtung sie im Hinblick auf religiöse Tradition und technisch-wissenschaftlichen Fortschritt folgen möchten, ohne sie dabei zu diskriminieren.
'Aber was ist das für ein Leben in einer Welt, die immer menschenleerer wird, weil keiner mehr in der Realität sein will?' Rickys Stimme zittert. 'Was für eine Zukunft haben wir denn dann noch?' 'Wir haben die Zukunft, die wir uns machen', erwidert Paula kühl. (S. 200)
Entscheidend ist zudem, dass der Autor das erstellte Zukunftsszenario nicht als eine perfekte, quasi per se bessere Welt charakterisiert, da diese dem Einzelnen allenfalls in simulierten Welten, nicht aber real ein Mehr an Freiräumen zu bieten hat.
Einen weiten Raum nimmt die Beschreibung der technischen und digitalen Errungenschaften im Jahre 2057/58 ein; selbstfahrende Fahrzeuge sind eine Selbstverständlichkeit auf den Straßen, aber ebenso die permanente Angst vor der Kontamination mit gefährlichen Krankheitserregern und der ständige Versuch, sich davor zu schützen. Noch erheblich bedrückender ist die angedachte Ausweitung dessen, was sich im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz ergeben könnte. Nicht nur, dass die gigantischen Computersysteme, die sich aus menschengemachten Vorgaben selbst generiert haben und immer leistungsfähiger geworden sind, die Menschheit minuziös überwachen und deren gesamtes Leben beherrschen: Sie bieten daneben auch schier grenzenlose Möglichkeiten, zeitweise oder gar dauerhaft einzutauchen in sogenannte Crossroads, digital erstellte künstliche Szenarien, die so täuschend echt gemacht sind, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Allerdings wird es streckenweise allzu langatmig, wenn brutale Schlachtszenen mit Urweltmonstern oder ähnlich absonderlichen Schimären in allen Einzelheiten beschrieben werden. Es sei dahingestellt, ob der Autor damit vor allem jugendliche Leser ansprechen möchte, die sich bezüglich Nomenklatur und Ablauf derartiger Kampfhandlungen in virtuellen Szenarien nicht selten bestens zuhause fühlen. Die wiederholte Warnung vor ausufernder Beschäftigung mit computersimulierten Spielen sowie der deutliche Hinweis auf deren potenziellen Suchtcharakter sind hier allerdings unüberhörbar.
Was für manchen Leser allzu fantastisch erscheinen mag, muss jedoch als durchaus denkbare, in vielerlei Hinsicht ziemlich bedrohliche Zukunftsaussichten angesehen werden: Karl Olsberg hat über Künstliche Intelligenz promoviert und dürfte daher seine entsprechenden Vorstellungen nicht gänzlich aus der Luft gegriffen haben.
'Aber wie du ja wahrscheinlich schon mitbekommen hast, können wir den Computern heutzutage nicht mehr trauen. Sie sind intelligenter als wir und sie entwickeln sich selbstständig weiter. Wir haben keine Ahnung mehr, was sie wissen und was sie können.' (S. 207)
Im Zusammenhang mit den raffiniert gemachten Illusionen simulierter Welten stellt Olsberg im Roman wiederholt die komplexe philosophische Frage nach dem, was Realität überhaupt ausmacht, beziehungsweise, ob es eine solche überhaupt gibt. Oder ob nicht alles letztlich nur ein von den eigenen Sinnen vorgegaukeltes Hirngespinst ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass er keine endgültige Antwort darauf zu geben in der Lage ist. So wie es folgerichtig am Schluss heißt:
Und doch fühlt sich diese leichte Berührung gut an, so gut, dass ich vor Erleichterung und Freude weine. Bitte, Gott, flehe ich in Gedanken, lass es real sein! (S. 335)
Fazit
Girl in a Strange Land ist eine anrührende Liebesgeschichte, die sich in zwei völlig verschiedenen Umfeldern abspielt. Sie diskutiert zugleich auf sehr kritische Weise sowohl althergebrachte Weltanschauungen als auch möglicherweise höchst unerfreuliche Zukunftsszenarien, die sich aus den bislang noch viel zu unzureichend bedachten Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz ergeben könnten. Mit sachkundigen, ins Detail gehenden Schilderungen und vielen Fragestellungen bietet das Buch für Jugendliche ab 15 Jahren sowie gleichermaßen für interessierte Erwachsene eine spannende Lektüre, aber auch eine breite Diskussionsgrundlage darüber, wie den möglichen Errungenschaften einer überbordend von Computern beherrschten Welt und zudem gewissen religiösen Überzeugungen und Handlungsweisen mit der nötigen Skepsis und 'gesundem Menschenverstand' begegnet werden kann.
- Name: Olsberg, Karl