Inhalt
Mit forbidden hat sich die Autorin Tabitha Suzuma eines Themas angenommen, das von der Kinder- und Jugendliteratur bisher kaum aufgegriffen wurde: Inzucht zwischen Bruder und Schwester.
Lochan und Maya trennen nur 13 Monate Altersunterschied: Er ist 18 Jahre alt und steht kurz vor dem Schulabschluss und dem Wechsel an die Universität, während Maya die Klasse unter ihm besucht. Gemeinsam leben sie in sozial schwachen Verhältnissen in London und betreuen ihre drei jüngeren Geschwister Kit, der mitten in der Pubertät steckt, sowie die kleinen Kinder Tiffin und Willa, nachdem der Vater die Familie verlassen hat und die alkoholkranke Mutter nicht mehr im Stande ist, sich um ihre fünf Kinder zu kümmern.
Zu Beginn der Geschichte ist sie noch manchmal im Haus, wendet sich aber, verantwortungslos und ichbezogen, immer mehr von ihren Kindern ab und ihrem neuen Freund zu. Schließlich kommt sie nur noch sporadisch vorbei, was die beiden ältesten Geschwister Lochan und Maya mit allen Mitteln vor Lehren und Mitschülern zu vertuschen versuchen, aus Angst, der Rest ihrer Familie könne auch noch auseinander gerissen werden. So widmen sich die Teenager nach Schulschluss der Hausarbeit und Kinderbetreuung, getrieben von einem ausgeprägten Verantwortungsgefühl, das vor allem Lochan stark spürt. In dieser Konstellation verlieben sich Lochan und Maya ineinander, wohlwissend, dass dies gesetzlich verboten ist. Lochan, der eine soziale Verhaltensstörung aufweist, die ihn so hemmt, dass er nicht in der Lage ist, mit Menschen außerhalb seiner Familie zu sprechen, fühlt sich nur von Maya verstanden und bei ihr geborgen. Sie erwidert diese Liebe und weist für ihren Bruder den Mädchenschwarm der Schule ab.
Kritik
Obwohl der Leser tiefen Einblick in Gedanken – und Gefühlswelten beider Protagonisten bekommt, da der Roman abwechselnd aus den Perspektiven von Bruder und Schwester erzählt ist (je ein Kapitel aus Lochans Perspektive und eines aus Mayas), bleibt es doch schwer nachvollziehbar, warum Maya sich so sehr in Lochan verliebt. Sicherlich sind es die gestörten Verhältnisse, in denen die Figuren aufwachsen, welche die inzestuöse Beziehung evozieren, aber wirklich nahe legt der Text das nicht. Das Verhältnis von Lochan und Maya stellt sich als tiefe, unerschütterliche Liebesbeziehung dar, und die Autorin widmet sich an keiner Stelle der Frage, warum sexuelle Beziehungen unter Geschwistern eigentlich verboten sind. Dabei hätte die Anlage des Romans mit seiner personalen Erzählhaltung, die Einblick sowohl in Lochans als auch Mayas Perspektive gewährt, diesen Themenkomplex einfach aufgreifen können. In inneren Monologen sinnieren die Protagonisten über ihr inzestuöses Liebesverhältnis, in denen sie sich aber stets nur mit der Ungerechtigkeit der Gesellschaft konfrontiert sehen, die ihnen ihre große Liebe verbietet, hinterfragen aber an keiner Stelle die Gründe oder Motive. Es geht um die intensiven Liebesgefühle der Figuren.
Entsprechend suggeriert auch das Cover des Romans, regelrecht kitschig gestaltet mit einem von Dornen umrankten Herz und Rosenblättern, es handele sich um einen ergreifenden Liebesroman. Das ist die Geschichte von Maya und Lochan ohne Frage – jedoch versäumt die Autorin dabei, die gestörten, traurigen Verhältnisse, die sie für ihre Figuren entwirft, zu reflektieren. So drängt sich z. B. die Frage auf, wie ein intellektueller, als Schriftsteller tätiger Vater dazu kommt, mit einer unreifen, nur auf sich bezogenen und ungebildeten Frau, die "nur etwas Spaß haben will" (S. 63), fünf Kinder zu zeugen und dann die Familie zu verlassen. Und kann eine Mutterfigur so durch und durch schlecht sein und ihre allein gelassenen, vernachlässigten Kinder so durch und durch fröhlich und intelligent (der dreizehnjährige Kit ausgenommen, dessen rebellisches und provozierendes Verhalten im Text jedoch allein mit der Pubertät begründet wird)?
Das tragische und dramatische Ende des Buches legt nahe, dass diese Kinder keinen besseren Mutterersatz finden können als die noch nicht volljährige Schwester Maya und lässt die Fragen nach den Gefühlen der jüngeren Kinder völlig offen. Der Schluss ist nicht nur in seiner Botschaft äußerst bedenklich, sondern auch unangemessen melodramatisch, beispielsweise wenn Maya sinniert: "Er hat sein Leben hingegeben, um meines zu retten, um das der Kinder zu retten […] Wenn ich jetzt auch sterbe, wird sein Opfer umsonst gewesen sein" (S. 444).
Fazit
Ein Versuch, sich einem Tabuthema literarisch zu nähern, der spannend zu lesen ist und seine Leser zu ergreifen vermag, aber daran scheitert, dass die Autorin die Figurenkonzeption – und konstellation nicht konsequent zu Ende denkt und ihre Leser damit ratlos zurücklässt. Wünschenswert wäre auch ein Anhang gewesen, der über den rechtlichen Umgang mit sexuellen Beziehungen unter Geschwistern informiert, der von Land zu Land variiert.
- Name: Suzuma, Tabitha
- Name: Bernadette Ott