Inhalt

Eine Fähre mit Urlaubern ist auf dem Weg nach Borkum und findet plötzlich keinen Hafen mehr zum Anlegen. Grund dafür ist der plötzliche Ausbruch eines tödlichen Vogelgrippe-Virus, das von einem Tag auf den anderen ganz Ostfriesland in den absoluten Ausnahmezustand versetzt. Das Virus ist vom Tier auf den Menschen übergesprungen und verfügt über eine erschreckend hohe Mortalitätsrate und ist zudem hochgradig ansteckend. Es überträgt sich rasend schnell durch Tröpfcheninfektion. Das Robert-Koch-Institut rät zum sofortigen Lockdown, was zur Folge hat, dass sowohl die Nordseeinseln als auch die Stadt Emden komplett abgeriegelt werden. Die Menschen geraten in Panik. Nicht nur auf der Fähre, die nun ziellos über die Nordsee treibt, kommt es zu Ausschreitungen mit tödlichen Folgen. In der Nähe von Emden wird eine Legebatterie überfallen und angegriffen, schließlich werden Vögel für das Virus verantwortlich gemacht. Die Arztpraxen und Krankenhäuser sind am Limit und brechen unter der Krankheitswelle zusammen. Doch am Ende deutet sich ein kleiner Hoffnungsschimmer an: Diejenigen, die eine normale Grippeimpfung hinter sich haben, haben gute Chancen, das Virus zu überleben – und das gilt zumindest für einige der Figuren, die in Wolfs Thriller auftreten.

Kritik

Der typischen Thriller-Machart folgend jagt der Ostfriesenkrimi-Autor Klaus-Peter Wolf seine Leserinnen und Leser von Station zu Station. Keine der Figuren hat wirklich Tiefe, sie alle sind nur Statisten, um die rasante Handlung am Laufen zu halten. Aber diese hat es in sich, denn ebendas, was Wolf 2010 als Horrorszenario entworfen hat, ist zehn Jahre später tatsächlich eingetreten, mit dem einzigen Unterschied, dass SARS-COV 2 nicht ganz so tödlich ist wie das Vogelgrippe-Virus aus dem Roman. Dennoch ergeben sich erschreckende Parallelen: In Todesbrut sinniert nun etwa ein Schulleiter im Radio über die mangelnden Hygienevoraussetzungen in deutschen Schulen, was sich liest wie eine in den aktuellen Medien fortwährend formulierte Klage von zeitdiagnostischer Qualität:

"Ich soll unsere Schüler dazu veranlassen, sich mindestens dreißig Sekunden lang mit warmem Wasser die Hände zu waschen. Dabei sollen sie sich auch zwischen den Fingern einseifen und für ordentlich Schaum sorgen. Ja, klasse Idee, aber meine Schule hat auf den Toiletten weder warmes Wasser noch Seifenspender. Natürlich auch keine Papierhandtücher, sondern so ein Warmluftgerät, unter dem die Hände abgetrocknet werden sollen. Eine bessere Virenschleuder gibt es gar nicht. Fast muss ich sagen, zum Glück fiel das Ding der Zerstörungswut meiner Schüler zum Opfer. Sechs Wochen lang habe ich Anträge an die Kreisverwaltung gestellt, ich brauche Seifenspender, Seife und Papiertücher. Von warmem Wasser wollte ich gar nicht erst anfangen. Bei uns in der Lokalzeitung standen Leserbriefe: Die Schüler sollten sich die Hände desinfizieren. Ja, verdammt, womit denn? Natürlich hätte man damit die Schweinegrippe an unserer Schule verhindern können. Das ist die primitivste, simpelste, billigste Seuchenvorkehrung. Aber keiner konnte mir helfen, keiner war zuständig." (S. 133)

Ist das tatsächlich 2010 geschrieben worden? Unwillkürlich fragt man sich angesichts dieser messerscharfen unterhaltungsliterarischen Prognose: Wie konnte man noch im Januar 2020 naiv annehmen, das sich in Wuhan ausbreitende neuartige Coronavirus betreffe nur China?

Zwar sind Pandemien als Thema von Dystopien nicht neu, dennoch sind dem Autor fast prophetische Fähigkeiten zuzusprechen, eben, weil die entworfene Situation der derzeitigen Realität so ähnlich ist – und gerade aus diesem Grund ist die Lektüre von Todesbrut erschreckend aktuell. Viel mehr ist nicht zu sagen – in seiner Erzählweise ist der Text konventionell und folgt einem stereotypen Zutatenmix für einen einfach zu lesenden Thriller aus dem Unterhaltungssektor: Viele, oberflächlich gezeichnete Figuren agieren (nahezu reißerisch) in kurzen Kapiteln an verschiedenen Schauplätzen und geraten auf unterschiedliche Weise in Panik. "Skript 5" vermarktet den Roman als All-Age-Thriller, der sich sowohl an Jugendliche als auch an Erwachsene richtet.

Wer dies in Zeiten von Corona liest, der blättert sich fassungslos von Seite zu Seite und fragt sich unentwegt: Wieso konnte man die Pandemie, die die Welt nun lahmlegt und die meisten von uns völlig unvorbereitet getroffen hat, schon vor zehn Jahren so kleinschrittig ausbuchstabieren? Besonders erschreckend ist, dass sie hier als Kulisse für einen Horrorthriller dient. Zum Glück aber, so muss man hinzufügen, reagieren die meisten Menschen in der Realität aktuell doch weit besonnener als die oberflächlich gezeichneten Figuren, von denen ein Großteil versucht, sich gegenseitig umzubringen. Da bleibt nur zu hoffen, dass diese trivialliterarische Prophezeiung nicht auch noch wahr wird!

Fazit

Unglaublich! Ein Roman, der die Corona-Pandemie vorwegnimmt; das ist schon eine Lektüre, die einen in Zeiten wie diesen stark angeht und berührt. Jedoch ist anzunehmen, dass er ohne den Ausbruch von SARS-COV 2 in Vergessenheit geraten wäre, denn es ist nur der Inhalt, der ihn besonders macht. In erzähltechnischer Hinsicht arbeitet er nur mit konventionellen Mitteln und ist auf schnelle Handlungsabläufe ausgerichtet. Nun ist er plötzlich zu einem Thriller mit apokalyptisch-prophetischer Kraft avanciert. Gelesen werden sollte er wegen der vielen brutalen Szenen, die teilweise in allen Einzelheiten geschildert werden, erst ab 16 Jahren.

Titel: Todesbrut
Autor/-in:
  • Name: Wolf, Klaus-Peter
Erscheinungsort: Bindlach
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Script 5
ISBN-13: 978-3-8390-0141-7
Seitenzahl: 480
Preis: 14,35 €
Altersempfehlung Redaktion: 16 Jahre
Wolf, Klaus-Peter: Todesbrut