Inhalt

Der Inhalt des Romans lässt sich sehr knapp zusammenfassen, ist aber umso schwerwiegender: Es geht um Will, der um die 16 Jahre alt ist, und der in einem Fahrstuhl in seinem Wohnblock nach unten fährt. Während dieser Fahrt nach unten – und daran lehnt sich der doppelsinnige Titel u.a. auch an – rasen seine Gedanken, denn er ist kurz davor, einen Mord zu begehen. Der Text nimmt sich viel Zeit, um ausführlich Wills Innensicht, sein Hadern und Verzweifeln darzustellen. Fast die gesamte Handlung spielt sich allein in dem Fahrstuhl ab, der an jedem der sieben Stockwerke hält. Dort steigt immer wieder eine neue Person zu, mit der Will ins Gespräch kommt und die auf dem Weg nach unten bei ihm bleibt. Schnell wird jedoch deutlich: Die Zusteigenden sind Geister aus Wills Vergangenheit, die ihn nicht zufällig jetzt heimsuchen. Sein Vater, sein Onkel und seine beste Freundin wurden alle getötet bzw. erschossen. Der Text endet mit Wills Ankunft im Erdgeschoss und lässt klugerweise offen, wie Wills Weg weiter verläuft.

Kritik

Reynolds' Roman, der eigentlich kein herkömmlicher Roman ist, zeichnet sich in mehrfacher Hinsicht aus. Zunächst sind die formale Gestaltung und die gebundene Sprache, in der er schreibt, zu nennen. Verfasst ist der gesamte Text in Versform und in dieser reduzierten sowie dadurch ebenso verdichteten Weise entwickelt sich ein enormer erzählerischer Sog. Reynolds gelingt es überzeugend, seine Hauptfigur dennoch mit viel Tiefe zu versehen und zeigt einen Jungen, der zerrissen ist von den ihm auferlegten Zwängen des Viertels und den ihm eingeimpften Ehrvorstellungen. Der Text kreist permanent um die Frage, ob er Rache üben muss oder ob er der erste sein kann, der nicht mit Gewalt auf Gewalt antwortet. Der Roman schafft dabei zweierlei: Zum einen wird der Mikrokosmos eines ‚Brennpunktviertels‘ in seinen Mechanismen der Gewalt gezeichnet, ohne dies zu brandmarken. Zum anderen wird im Kammerspiel des Fahrstuhlsettings auch von den familiären Bindungen innerhalb von Wills Familie erzählt. Dass diese, durch unzählige Todesfälle, maßgeblich durch das Miteinander und das gewaltvolle Sterben im Viertel geprägt ist, verdeutlicht das unauflösliche Wechselverhältnis zwischen Dazugehörigkeit und Ablösung, aus dem auch Will sich kaum lösen kann. Bestechend ist an dem Text außerdem die Konstruktion der Zeit: Denn die Zeit, die innerhalb der Handlung vergeht, die sogenannte erzählte Zeit, beträgt allein 90 Sekunden. Dies ist in den Kapitelüberschriften typographisch markiert, die wie in einem Countdown die verstreichende Zeit angeben. Daraus entsteht eine interessante Spannung zwischen der Dauer des Erzählens und der erzählten Zeit, denn diese Zeitdehnung macht es möglich, so ausführlich vom Innenleben der Hauptfigur zu berichten:

DER MAGEN HÜPFTE
mir ins Herz
oder das Herz
rutschte mir
in den Magen.

Oder beides.
Ich kannte ihn. (S. 88)

Fazit

Long way down ist ein vielschichtiger und wohl konstruierter Versroman, der sowohl in seiner Form als auch der inhaltlichen Ausrichtung voll überzeugen kann. Reynolds gelingt ein komplexes Psychogramm seiner Hauptfigur, die sich kaum aus den Zwängen des Viertels lösen kann. Für alle Lesenden ab 14 Jahren ein mitreißender, aber auch nachdenklich machender Text.

Titel: Long way down
Autor/-in:
  • Name: Reynolds, Jason
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Long way down
Übersetzung:
  • Name: Petra Bös
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: dtv
ISBN-13: 978-3-423-65031-1
Seitenzahl: 320
Preis: 14,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Reynolds, Jason: Long way down