Inhalt
Der 17-jährige Phoenix Zander, seine Freundin Sarah mit russlanddeutschem Hintergrund und der aus Syrien stammende Hacker und Computerfreak Khalil betreiben in Berlin den politischen YouTube-Kanal Uncover; ihr Ziel ist es, mittels recherchierter Tatsachen Falschnachrichten und Verschwörungstheorien als solche zu entlarven. Als ihnen durch einen Mittelsmann vertrauliche Topsecret-Dokumente aus Syrien zugespielt werden, die detailliert die dortigen menschenverachtenden russischen Machenschaften, Machtspiele und Interessen belegen, lässt dies den russischen Geheimdienst nervös werden. Mittels einer geheimen "Trollfabrik" – einer im estnischen Narva agierenden Agentur, die im russischen Geheimdienstauftrag bedarfsgerechte Fake News erstellt und ins Internet bringt – soll versucht werden, von den brisanten Aussagen von Uncover abzulenken und diese zu konterkarieren. Da kommt das spurlose Verschwinden eines sechsjährigen syrischen Jungen in Berlin gerade recht; es wird in einem entsprechenden Beitrag als die verabscheuungswürdige Tat syrischer Flüchtlinge und Kinderhändler gedeutet. Als Phoenix mit einem neuen Video kontert und beweist, dass es sich dabei um eine plumpe Verfälschung des tatsächlich stattgefundenen Geschehens handelt, bekommt der Blog Millionen zustimmender Klicks von Followern, aber auch massenhaft Hass-Mails russlandtreuer Fanatiker und Verschwörungstheoretiker. Phoenix lässt sich davon nicht einschüchtern, selbst dann nicht, als ein Bombenanschlag auf ihn verübt wird, der jedoch glücklicherweise misslingt. Jetzt will er erst recht genau wissen, was hinter den Kulissen gespielt wird. Er sieht seine einzige Möglichkeit darin, die Trollfabrik zu finden und deren gefälschte Daten in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Fahrt nach Narva und die Konfrontation mit den russischen Agenten werden für ihn, Sarah und Khalil zu einem lebensgefährlichen Abenteuertrip, dessen Ende nicht absehbar ist...
Kritik
Mit Uncover - Die Trollfabrik hat der Politologe und gelernte Medienredakteur Manfred Theisen einen spannenden, locker geschriebenen Thriller für Jugendliche vorgelegt, der sich mit einem höchst aktuellen Thema befasst. Es geht um mediale Faktenvermittlung, aber mehr noch um deren Verfälschung durch Fake News und daraus entstehende Verschwörungstheorien.
Die Handlung wird zum einen aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Phoenix Zander, zum anderen auktorial und durchweg im Präsens erzählt. Orte des Geschehens sind Berlin und die estnische Stadt Narva unmittelbar an der Grenze zu Russland. Die korrekt beschriebenen geografischen Verhältnisse lassen den fiktiven Plot als durchaus mögliche reale Ereignisse erscheinen. Dass wird auch verstärkt durch diverse Romanfiguren (wie etwa den russischen oder amerikanischen Präsidenten), deren Namen zwar frei gewählt wurden, die aber deutlich erkennbar entsprechenden Personen der Zeitgeschichte nachempfunden wurden.
Als Ben Crank Präsident (der U.S.A.) geworden ist, hatte Myasnik (ein russischer Oligarch) auch seine Finger im Spiel. Im Bericht dieses Sonderermittlers zur vergangenen US-Präsidentenwahl wurde Myasniks Name ebenfalls erwähnt. Und selbst beim Brexit waren seine Trolle aktiv. Man kann ihm nur nie etwas nachweisen. Der Typ ist wie ein Stück nasse Seife. Aber jetzt haben wir Dokumente, die eindeutig gegen Myasnik und den russischen Präsidenten Komarow sprechen. (S. 69)
Zudem sind im Roman unzählige Hinweise und Bezüge auf aktuelle politische Ereignisse zu finden, die dem Geschehen einen nachvollziehbar authentischen Rahmen geben.
"Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass die Syrer zwar Asyl erhalten, aber nach dem Krieg zurück nach Syrien müssen, um ihr Land wieder aufzubauen." "Dafür gibt es doch die iranischen Söldner in Syrien", spottet Khalil. "Die bauen künftig mit EU-Hilfen ihren kleinen Iran an Israels Grenze auf. Und die Russen schöpfen mit Myasniks Hilfe das Öl ab." (S. 112/113)
Es bleibt bei der Komplexität dessen, was laut Theisen in den Medien passiert, nicht aus, dass manche Textaussagen im Roman von den Lesenden auch nicht einfach als Fakten akzeptiert, sondern unter Umständen ebenfalls als Fake News eingeordnet werden könnten. Entscheidend ist indes, dass der Autor seinen Lesern einprägsam vermittelt, dass das gedruckte Wort selbst in demokratischen Systemen mit einer freien und unabhängigen Medienlandschaft nicht per se die Wahrheit darstellt, sondern immer ein kritischer, hinterfragender Blick wichtig ist. Damit leistet er – gerade auch für Jugendliche – einen äußerst wichtigen Beitrag zum Umgang mit den Medien und fordert zugleich zu klarer Stellungnahme auf.
Wahrheit bedarf des Verstandes. Der Mob steht am Brandenburger Tor und hat Amer Tallak (ein syrischer Flüchtling) schon verurteilt. Diese Rückwärtsgewandten nehmen Oberhand. Politiker in Deutschland müssen Angst davor haben, erschossen zu werden, und es existieren Todeslisten für Journalisten – diese ganze Hetze muss aufhören. Und du hast die Chance, zumindest für etwas Besonnenheit zu sorgen. (S. 145)
Theisen scheut auch nicht Klartext, wenn er immer wieder zu Zivilcourage und gegen Fremdenfeindlichkeit aufruft. Es muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass er gelegentlich deutlich übers Ziel hinaus geht, wenn er etwa Phoenix‘ Eltern allzu populistisch und unreflektiert behaupten lässt:
"Sich nicht beeindrucken lassen, behauptet meine Mutter. 'Das ergibt Sinn. Die wollen uns doch nur einschüchtern.' 'Das haben die Juden auch gedacht und stillgehalten', meint mein Vater. Wie das ausging, wisst ihr. Zuerst haben sie deren Geschäfte beschmiert und dann die Menschen an den Laternen aufgehängt." (S. 65)
Ungeachtet der vielen gut recherchierten, in den Text integrierten Informationen zu politischen Ereignissen und Hintergründen ist ein durchweg spannendes Buch entstanden. Wenn dabei die vor allem im letzten Drittel zweifellos reichlich blauäugigen Alleingänge von Phoenix, Khalil und Sarah gegen einen solch gewieften Gegner wie den russischen Geheimdienst als eher unwahrscheinlich anzusehen sind, so ist dies im Rahmen erzählerischer Freiheit dennoch vertretbar und schmälert keineswegs die grundsätzliche Brisanz der Thematik.
Fazit
Manfred Theisens Uncover – Die Trollfabrik ist ein Politthriller, der einprägsam und packend die Problematik kritiklos akzeptierter Medienaussagen und die bisweilen dahinter verborgenen Machenschaften und Interessen beleuchtet. Das darin vorgestellte fiktive Szenario liefert dazu ein spannendes, dabei durchaus realistisch vorstellbares Beispiel. Das Buch kann allen jugendlichen Leserinnen und Lesern ab 16 Jahren, aber auch jedem politisch und zeitgeschichtlich interessierten Erwachsenen empfohlen werden als Hilfe und Aufruf zu einem grundsätzlich kritischen Umgang mit allen heute agierenden Medien.
- Name: Theisen, Manfred