Inhalt
In seinem letzten Jahr an der Zauberschule sollte Simon Snow sich eigentlich komplett auf seine Unterrichtsfächer konzentrieren. Doch der junge Zauberer hat wichtigere Probleme: Laut einer Prophezeiung ist er der mächtigste Zauberer, den es je gab, und somit ist es seine Aufgabe, die Welt der Zauberer vor dem bösartigen Schatten zu retten. Allerdings kann Simon kaum einen brauchbaren Zauber wirken und tendiert zu unkontrollierten Magieausbrüchen, die sein gesamtes Umfeld gefährden. Auf die bisherige Unterstützung seines Schulleiters kann er plötzlich nicht mehr zählen, dafür steht ihm jedoch seine beste Freundin Penelope zur Seite und, zu Simons eigener Überraschung, auch sein Zimmergenosse Baz, der aufgrund eines langjährigen Streits zwischen seiner Familie und dem Schulleiter eigentlich eher Simons Feind als Freund ist. Doch auch Baz braucht Simons Hilfe, um den Mörder seiner Mutter ausfindig zu machen, und so werden aus bloßen Zimmergenossen Verbündete.
Als sei die Suche nach einem Mörder und der Kampf gegen die dunkelste Macht der magischen Welt nicht Beschäftigung genug, muss sich Simon auch noch Beziehungsproblemen stellen: Seine langjährige Freundin Agatha verhält sich komisch und scheint mehr Interesse an Baz zu haben als an ihm. Und auch Simon fühlt sich mit einem Mal zu seinem einstigen Feind hingezogen. Nicht zuletzt aufgrund der geheimnisvollen Aura, die diesen umgibt: Simon ist sich sicher, Baz ist ein Vampir. Wenn dieser es nur endlich zugeben würde…
In einem Moment der Gefahr gelingt es Simon, ausgerechnet mit Baz’ Hilfe, endlich, seine Magie gezielt einzusetzen.
Während Simon versucht, seine Gefühle zu ordnen und zu verstehen, kommen immer mehr Zusammenhänge zwischen dem Mord an Baz’ Mutter und dem gefährlichen Schatten ans Licht und am Ende stellt sich heraus, dass Simon sein Vertrauen der falschen Person geschenkt hat, denn die eigentliche Gefahr lauert in den eigenen Reihen.
Kritik
Die Hauptfigur in Rainbow Rowells neuestem Roman, Simon Snow, ist kein Unbekannter. In ihrem vorangegangenen Werk Fangirl ist die Protagonistin Cath begeisterte Leserin der bis dato fiktiven Romanserie rund um den jungen Zauberer Simon Snow. Cath verfasst sogar eigene Geschichten über ihn und veröffentlicht diese Fanfiction im Internet. Fangirl beinhaltet neben der Rahmenhandlung auch Ausschnitte aus den Romanen der fiktiven Autorin Gemma T. Leslie, sowie Ausschnitte aus Caths Fanfiction. In Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow schreibt Rowell weder als Gemma T. Leslie noch als Cath, sondern verfasst ihre eigene Geschichte über Simon Snow wie sie im Nachwort erläutert:
Ich hatte in diesen anderen Stimmen so viel über ihn geschrieben und überlegte immer wieder, was ich mit ihm anfangen würde, wenn er in meiner Geschichte wäre, anstatt in Caths oder Gemmas. (Rowell: S. 507)
Inhaltlich scheint die Handlung von Simon Snow eher der Fanfiction-Version von Cath zu ähneln als der fiktiven Romanreihe, da auch Cath die von Leslie erdachte heterosexuelle Beziehung des Protagonisten beendet und stattdessen eine homosexuelle Beziehung zwischen Simon und Baz in ihre Version integriert.
Rowell selbst bezeichnet Simon Snow als "eine Art Amalgam aus und ein Nachkomme von hundert anderen ausgedachten Auserwählten" (S. 507). Der wohl bekannteste Auserwählte der Kinder- und Jugendliteratur ist Joanne K. Rowlings Harry Potter. Auch ihm obliegt laut einer Prophezeiung die Rettung der Zauberwelt, er ist derjenige, der den Kampf gegen eine böse Macht letztendlich gewinnen muss. Bei der Lektüre von Rowells Roman fallen, neben diesen offensichtlichen Gemeinsamkeiten, weitere Parallelen zwischen den beiden jungen Zauberschülern auf. Während Harry als Waise bei seinen Verwandten aufwächst, lebt auch Simon nicht bei seinen Eltern, sondern besucht in den Sommerferien immer ein Heim und wird dort von Sehnsucht nach der Schule geplagt. Wie bereits Rowlings Vernon Dursley über Harrys Schule zu sagen pflegte, besucht auch Simon laut den Heimleitern "eine Schule für schlimme Kinder" (S. 11).
Sowohl Harry als auch Simon stehen unter dem Schutz ihres jeweiligen Schulleiters, werden jedoch während eines Schuljahres konsequent von diesem ignoriert. Doch während Harrys Schulleiter Albus Dumbledore stets für das Gute kämpft, verführt der Wunsch nach Macht Simons Schulleiter zu skrupellosen Taten.
In der Welt der Fanfiction gibt es eine Vielzahl sogenannter Slash-Geschichten. Dabei wird aus zwei, im Originaltext heterosexuellen, Figuren von den Verfassern der Fanfiction ein homosexuelles Liebespaar erschaffen. Im Fall von Harry Potter ist es meist dessen eigentlicher Feind Draco Malfoy, zu dem er sich plötzlich hingezogen fühlt. Derartige Liebesgeschichten über Harry und Draco finden sich unzählige im Internet und ihre Existenz ist längst über die Grenzen der Fanfiction-Welt hinaus bekannt. Dass auch Cath in Rowells Fangirl eine Liebesgeschichte über einen Zauberschüler, der als der Auserwählte gilt, und dessen verfeindeten Mitschüler schreibt, kann daher ebenso wenig originell genannt werden, wie die Übernahme dieser Liebesgeschichte in Rowells neuen Roman.
Grundsätzlich ist die Thematisierung einer homosexuellen Beziehung als positiv zu betrachten, denn deren weitere Normalisierung in den Kinder- und Jugendmedien ist enorm wichtig. Ein bisschen mehr Originalität wäre jedoch wünschenswert.
Wenn man sich an Rowells Roman Fangirl orientiert, dann ist Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow an letzter Stelle einer achtteiligen Romanserie einzuordnen. An einer derartigen Stelle erwartet man vielschichtige Charaktere und Beziehungen zwischen diesen. Doch Tiefe gibt es in Rowells Roman keine, alles wirkt sehr oberflächlich und es fällt schwer, Sympathie für die flachen Charaktere zu entwickeln. Daran können auch die verschiedenen Erzählperspektiven nichts ändern. Insbesondere die Beziehung zwischen Simon und Baz leidet unter der fehlenden Tiefe, sie wirkt unglaubhaft und unnatürlich. Die Feindschaft, die die beiden Zimmergenossen ihre gesamte Schulzeit lang begleitet hat, wird von Simon wie folgt beschrieben:
Baz und ich haben sieben Jahre damit verbracht, Grimassen zu schneiden und den anderen anzuknurren. […] Wenn wir wissen, dass der andere da ist, meiden wir möglichst das Zimmer, und wenn wir uns nicht aus dem Weg gehen können, sehen wir den anderen möglichst nicht an. Ich rede nicht mit ihm. Ich rede nicht in seiner Anwesenheit. (S.168)
Demnach sind die beiden sich sieben Jahre lang aus dem Weg gegangen und kennen sich eigentlich gar nicht wirklich. Als Baz zu Beginn des achten Schuljahres jedoch verschwunden ist, scheint für Simon nichts wichtiger zu sein, als ihn zu finden. Und auch Simons Reaktion beim Wiedersehen passt nicht zu dem Hass, den er angeblich Baz gegenüber verspürt: "Ich möchte ihn über den Haufen rennen, ihn festhalten und alles erfahren. Was mit ihm los ist. Wo er war…" (S. 165). Während Leserinnen und Leser in den Passagen des Romans, die aus Baz’ Sicht erzählt werden, erfahren, dass dieser schon seit langer Zeit Gefühle für Simon hegt, die er jedoch versucht zu unterdrücken, scheint Simon eher seiner langjährigen Freundin hinterher zu trauern und verschwendet keinen romantischen Gedanken an Baz. Ab irgendeinem Punkt fängt er an auf Baz’ Aussehen zu achten, so stellt er zum Beispiel fest, dass dessen Jeans "perfekt [sitzt], von der Taille bis zu den Knöcheln" (S. 294). Kurz danach kommt es zum Kuss und die Liebesbeziehung beginnt. Wirklich fesselnde oder romantische Momente gibt es auch dann nicht, ebenso wenig wie glaubhafte Emotionen. Stattdessen kommentieren die beiden gegenseitig ihr Verhalten, wodurch Rowell vergeblich versucht, die Gefühle zwischen ihnen zu verdeutlichen:
Snows Tischmanieren sind grauenhaft – als würde man einem wilden Hund beim Fressen zusehen. Einem wilden Hund, dem man am liebsten die Zunge in den Mund stecken möchte. (S. 300)
Eigentlich passiert in Rowells Roman viel: Die Jagd auf den bösartigen Schatten, die Suche nach dem Mörder von Baz’ Mutter und die Liebesgeschichte zwischen Baz und Simon. Dennoch zieht sich die Erzählung sehr lang hin und über weite Strecken passiert kaum etwas, das zum Fortschritt der Handlung beiträgt. Erst zum Ende des Romans kommt für einen kurzen Moment tatsächliche Spannung auf. Nichtsdestotrotz lässt sich der Text flüssig lesen, wobei die in der wörtlichen Rede verhältnismäßig häufig auftretende Vulgärsprache mit Ausdrücken wie "scheiße" (S. 245), "beschissen" (S. 265) und "Arsch" (S. 277) etwas stört.
Die Leserinnen und Leser erfahren, dass Simon und seine Mitschüler während ihrer Schulzeit immer neue Zauber erfinden und kreieren sollen, was wie folgt funktioniert:
[Man muss] eine neue Wendung in der Sprache finden, die häufig benutzt wird, oder eine alte, die nicht mehr in Gebrauch ist, und herausfinden, wie man sie anwenden kann. (S. 121)
Sätze wie "Beeil dich" (S. 12) oder "Sesam öffne dich" (S. 155) werden somit zu Zaubersprüchen. Wenn die Zauberer jedoch "Schubi-dubi-duh, wo bist du" (S. 111) oder "Have a break, have a Kit-Kat" (S. 439) durch die Gegend rufen oder sogar anfangen Queens "Bohemian Rhapsody" zu singen, um eine Person wiederzubeleben, fällt es schwer, überhaupt irgendeinen Teil des Romans ernst zu nehmen.
Fazit
Schon in Rainbow Rowells Roman Fangirl waren die Abschnitte über Simon Snow keine Bereicherung, sondern wirre und störende Unterbrechungen der eigentlichen Handlung. Dann einen ganzen Roman über den Zauberer zu schreiben, war vermutlich nicht Rowells beste Idee, denn diesem fehlt es an Spannung, sympathischen Charakteren und vor allem Originalität. Aufgrund vereinzelter gruseliger Stellen, ist der Roman erst für Jugendliche ab 13 Jahren geeignet.
- Name: Rowell, Rainbow
- Name: Jakobeit, Brigitte