Inhalt
Lisa ist in einem bayerischen Dorf aufgewachsen und hat nie gegen ihre Eltern rebelliert. Auf Drängen ihrer Mutter hat sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau begonnen. Seit Jahren ist sie mit dem gleichaltrigen Max liiert, der im selben Dorf wohnt und nun BWL studiert. Die Handlung setzt in medias res ein. Als ihr Vorgesetzter in der Bank die Protagonistin sexuell bedrängt, schmeißt Lisa spontan alles hin. Fluchtartig verlässt sie die Bankfiliale und setzt sich in einen Bus nach Köln – ohne Handy, denn das liegt noch in ihrem Spind in der Bank. So bricht sie buchstäblich alle Zelte ab und beginnt ein neues Leben. Als Couchsurferin findet sie in Köln eine Bleibe in der WG der Tätowiererin Karla. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse. Nicht nur, dass Lisa nach sich selbst und ihren Zielen sucht, sie verliebt sich Hals über Kopf in Karla, die/der sich selbst als genderfluid bezeichnet. Lisa hadert mit sich und ihren Gefühlen, weiß weder vor noch zurück, was dazu führt, dass sie Karla immer wieder vor den Kopf stößt und verletzt. Zu sehr hat sich Lisa in den letzten Jahren in ihrer Heterobeziehung mit Max eingerichtet, obwohl sie gar nicht glücklich war. Soll sie das nun alles hinschmeißen? Und was soll sie mit ihrem Leben anfangen? Sicher ist nur: In die Bank und nach Bayern will sie nicht zurück. Über ihre neue WG-Freundin Maja findet sie einen Babysitter-Job, der ihr große Freude macht. Ob sie Erzieherin werden soll? Die Berufswahl bleibt unklar, aber das ist nicht das größte Problem. Denn: Was ist mit ihren Eltern? Lisa versucht in den Dialog mit ihnen zu treten, doch die blocken mit völligem Unverständnis ab, wollen nur, dass die Tochter sich wieder ins kleinbürgerliche Leben einfügt. Lisa wird klar, dass sie in Köln bleiben möchte und trennt sich von Max. Bis sie es aber schafft, sich von ihren inneren heteronormativen Imperativen zu lösen und sich Karla zu öffnen, muss noch reichlich Wasser den Rhein runterfließen und die Leser*innen einige Buchseiten des Haderns, Zauderns und Zögerns hinnehmen, bis es dann in intermedialer Referenz auf den gleichnamigen Song heißt: We fell in love in october!
Kritik
Sicher, Lindberg operiert in diesem Coming-of-Age-Roman mit einigen Klischees und greift auf einfache Erzählmuster zurück. Insbesondere die Figurenkonzeption der „bösen“ Mutter wirkt holzschnittartig und eindimensional. Dasselbe gilt für Lisas emotionslosen BWL-Freund Max, der sein Leben nach Plan organisiert und an den Gefühlen und Gedanken seiner langjährigen Freundin kaum Interesse zeigt. Doch jetzt kommt das große Aber: Jenseits der einfachen Erzählweise gelingt dem Roman eine sehr sensible Beschreibung der inneren Konflikte, die Lisa während ihres Outings durchlebt. Feinsinnig und behutsam eröffnet sich den Leserinnen und Lesern ein Blick ins Innere dieses Prozesses, der alles andere als leicht ist:
"Wie es wohl wäre, wenn die Frau beim Tierfutter und ich zusammengehörten? Ich verzog den Mund. Nein, das wollte ich ganz bestimmt nicht. Die Fremde, die vermutlich jenseits der vierzig war, gehörte definitiv nicht zu meinem Datingpool. Andererseits...
Der Kerl mit der Fischermütze, der wie ein Filmstudent aussah und seinen Einkaufswagen mit Bier belud, gehörte auch nicht zu den Personen, mit denen ich mir vorstellen konnte, zusammen zu sein.“"(S. 168)
Wenig später heißt es:
"'Bin ich lesbisch Test' tippte ich, doch ich drückte nicht auf Enter. Das Blut pochte in meinen Schläfen. Ich löschte die Frage und schloss den Browser wieder. Dann sprang ich auf, öffnete das Fenster und suchte nach meinem Notizbuch, um Majas Worte festzuhalten: Es geht ums Verliebtsein, nicht um Labels." (S. 169)
Das ist die zentrale Botschaft des jugendliterarischen Textes, deren Kölner Figuren sich allen Genderstereotypen entziehen, während jene aus der bayerischen Kleinstadt – wie oben schon erwähnt – sich nur einseitig als konservative Antagonistinnen und Antagonisten profilieren dürfen. In Köln tobt das Leben, und Protagonistin Lisa gerät in diesen Großstadt- Sog, umgeben von wunderbaren neuen Freund*innen. Das liest sich einnehmend und spannend. Die innere Sinnsuche wirkt in ihrer Darstellungsweise sehr authentisch – Lisa sucht nach ihrer Sexualität, ihrem Platz im Leben und nach dem passenden Beruf. Am Ende schafft sie die Trennung von Max und die Hinwendung zu Karla, welche ihren Höhepunkt auf dem Kölner Dom findet. So ist der Roman auch eine Hommage an die Stadt Köln, welche hier symbolisch für Freiheit und Toleranz steht. Hier möchte Lisa bleiben, an Karlas Seite. Welchen beruflichen Weg sie letztlich einschlagen wird, lässt der Text offen.
Fazit
Trotz der Dominanz einfacher Erzählmuster ein lesenswerter Jugendroman, der Genderstereotypen überwindet und für Toleranz und Vielfalt wirbt, sensibel in der Darstellung seiner Protagonistin, etwas grob im Umgang mit den konservativen Elternfiguren. Aber die muss und will die Fokalfigur ja auch zurücklassen. Empfehlenswert als Freizeitlektüre für jugendliche Leserinnen und Leser ab 15 Jahren.
- Name: Lindberg, Inka