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Köln im März 2021: Der Frühling zieht auf, und die Stadt liegt im Lockdown. Das bedeutet offiziell Kontaktbeschränkungen, Homeschooling und abendliche Ausgangssperre. Für die jugendlichen Protagonist*innen von Manfred Theisens neuem Roman ist das unglaublich hart. Im Zentrum der Narration stehen Lilu und Leon, die seit Kindesbeinen eine enge Freundschaft verbindet, die aber nun vor großen Problemen steht. Denn Leon ist in Lilu verliebt, sie aber nicht in ihn. Und während Lilu in einem behüteten Elternhaus aufwächst mit sich sorgenden Erziehungsberechtigten, ist Leons Mutter gestorben. Sein Bruder ist ein Pflegefall, womit der alleinerziehende Vater überfordert ist. 

Mit einer Clique von Freundinnen und Freunden trotzen die Jugendlichen den Einschränkungen und Verboten, indem sie sich immer wieder nachts aus dem Haus schleichen, E-Scooter knacken und mit diesen durch die Nacht rauschen, Polizei und Ordnungsamt immer dicht auf den Fersen. Bei einer dieser Touren werden sie verhaftet. Auf der Wache lernt Lilu den geheimnisvollen Summer kennen, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Summer erwidert ihre Gefühle, bleibt aber seltsam unnahbar und verstrickt sich in offenbare Lügengebäude. Denn in dem Tattoo-Studio, in dem er angeblich arbeitet, kennt ihn keiner, und seine genaue Heimatadresse erfährt die schwer verliebte Lilu auch nicht. Für Leon spitzt sich das innere Drama zu, und er platzt beinahe vor Eifersucht. Aus diesem Grund lässt er sich auf ein illegales Autorennen mit Summer ein, um Lilu seine Stärke zu demonstrieren. Das endet in einer Katastrophe.

Kritik

Manfred Theisen ist bekannt für seine dynamisch und spannend erzählten Politthriller für Jugendliche (z.B. Die Trollfabrik). Auch dieser mit 236 Seiten relativ schmale Jugendroman überzeugt durch schnelle Handlungsabläufe und ein sensibles Gespür für seine jugendlichen Figuren. Auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene gelingt es dem Autor, die innere Not der Jugendlichen im Lockdown einzufangen, obwohl er das Thema nicht in der Breite darstellt oder reflektiert, sondern eng auf seine individuellen Figurenprofile konzentriert bleibt. Im Zentrum steht vor allem Lilu, deren überbordende Verliebtheitsgefühle die Narration sehr authentisch einfängt. Es erscheint schmerzhaft glaubwürdig, wie sehr sich die Jugendliche auf den geheimnisvollen Jungen fokussiert und sich von ihm abhängig macht. So wirft das vernunftbegabte Mädchen alle Bedenken über Bord und lässt sich von Summer öffentlich tätowieren, obwohl das furchtbar schmerzhaft ist. Und wenn Summer sagt, dass er Familie wichtig finde, gibt sie den Widerstand gegen ihre fürsorglichen Eltern auf, die sie eigentlich nerven, wenn sie beispielsweise auf die Teilnahme am digitalen Unterricht pochen:

Lilu nötigte ihre Mutter, ihr nicht zu helfen. "Nein, den Kaffee mache ich." ‚Nein, den Tisch decke ich schon.‘ ‚Nein, nein, nein, ich mache das.‘ Summer fand Familie gut, deshalb brauchte Lilu auch ihre Dosis Familienglück. Freund plus Familie, das war wie Parmesan mit Spaghetti Bolognese. (S. 119)

Es ist ebendiese Detailtreue und der sensible Blick ins Innere der jugendlichen Figuren, die Theisens Roman stark machen. Zwar ist die Handlung in der Corona-Zeit angesiedelt, aber es geht nicht um die Pandemie in der Breite, sondern um die individuellen Entwicklungen der Protagonist*innen, die mit den damit verbundenen Einschränkungen zurechtkommen müssen. Eben darum geht es um Grenzüberschreitungen, vor allem aber um die erste Liebe in der Jugend. So gesehen handelt es sich primär um einen Adoleszenzroman. Die Lockdown-Geschichte wird von einem heterodiegetischen Erzähler vorgetragen, der vorrangig Einblick in die Gefühle und Gedanken von Lilu und Leon gibt. Summer bleibt bis zum Ende hin das große Mysterium, so ungreifbar und geheimnisvoll, dass man sich am Ende beinahe fragt, ob es ihn tatsächlich gegeben hat oder ob er nur der Phantasie von Jugendlichen entsprungen ist, die in der Pandemie alle vergessen haben und die darum Nacht für Nacht Grenzen überschreiten mussten.

Fazit

Ein spannender und hochaktueller Roman, der sich schnell liest und durch klare und einfache Sprache und einen hohen Anteil an Figurendialogen gut zugänglich ist. Er sensibilisiert für die Nöte, die Jugendliche im Lockdown ausstehen mussten, bleibt aber auf die individuellen Figurenkonzeptionen bezogen. Sehr lesens- und empfehlenswert für Leserinnen und Leser ab 14 Jahren.

Titel: Crossing the lines. Uns gehört die Nacht.
Autor/-in:
  • Name: Theisen, Manfred
Erscheinungsort: Bindlach
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Loewe
ISBN-13: 978-3-7432-1213-8
Seitenzahl: 237
Preis: 8,95
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Theisen, Manfred: Crossing the lines. Uns gehört die Nacht.