Inhalt

In Mannheim herrscht ein verregneter Sommer. Erst Mitte August scheint sich das Wetter zu bessern, so dass Alissa mit ihrem jüngeren Bruder Leon zu einem Campingausflug mit Freunden aufbricht. Ganz anders Kora: Sie fristet ihren Alltag in einer Jugendstrafanstalt und beklagt sich über ihre Zellengenossin Miriam. Unterdessen leidet der begeisterte BMX-Fan Hannes unter seinem proletenhaften Stiefvater Holger. Tamara hingegen beschäftigt die wahre Identität ihrer Mutter. Obgleich sie liebevolle Pflegeeltern hat, sucht sie nach Spuren, die zu ihrer Mutter führen. 

Zunächst erleben die fünf Jugendlichen unabhängig voneinander, dass mitten in dem sommerlichen Treiben die Zeit um 15.07 Uhr stehen bleibt. Zudem sind alle Menschen und Lebewesen plötzlich verschwunden. In dieser beunruhigenden Stille begegnen sich Kora, Hannes, Tamara und Alissa mit Leon. Was ist passiert? Warum sind ausgerechnet sie übrig? Während sie versuchen, diesem unerklärlichen Phänomen auf den Grund zu gehen, zieht ein bedrohlich wirkender Nebel auf, der sich als tatsächliche Gefahr entpuppt. Niemand kann ihnen helfen, sie sind auf sich alleine gestellt und versuchen, das Rätsel gemeinsam zu lösen. Auf einem Roadtrip lernen sich die Jugendlichen besser kennen, offenbaren einander blinde Flecken ihrer Vergangenheit, stellen sich ihren ureigensten Ängsten und wachsen über sich hinaus, um sich aus diesem titelgebenden Vakuum zu befreien. 

Kritik

Bereits 2012 erschien Vakuum – noch ohne Nebentitel Meide den Nebel – von Antje Wagner. Obgleich der Thriller u.a. mit dem „Lesekompass“ der Leipziger Buchmesse 2013 ausgezeichnet wurde, war der Roman in den vergangenen zwei Jahren trotz weiterer Auflagen vergriffen. Nun hat der Ulrike Helmer Verlag Vakuum. Meide den Nebel in überarbeiteter Fassung neu aufgelegt, um den Roman wieder einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen. 

Antje Wagner, die 2009 mit dem „Feuergriffel“ der Stadt Mannheim ausgezeichnet worden ist, lässt nicht zufällig den Thriller in der baden-württembergischen Stadt spielen, auch wenn die Ortschaften fiktionalisiert sind. Aufgeteilt ist der Roman in zwei Teile, wobei der erste Part Stille vor dem Sturm die ersten 215 Seiten umfasst. Dank der multiperspektivischen Erzählweise kommen alle fünf Hauptfiguren Kora, Hannes, Alissa, Tamara und Leon abwechselnd zu Wort, so dass die Leser*innen an ihren subjektiven Gedanken teilnehmen können und den rätselnden Jugendlichen auf ihrer Spuren- und Erkenntnissuche nie einen Schritt voraus sind: In den Kapiteln des ersten Teils stoßen die Hauptfiguren auf rätselhafte Spuren und Nachrichten, die erst in der Kombinationsfähigkeit der fünfköpfigen Gruppe am Ende des zweiten Teils Sinn ergeben. Es handelt sich dabei um geheimnisvolle Hinweise, die die Figuren zu ihrem gemeinsamen Roadtrip nach Erfurt veranlasst, wo sie auf Antworten hoffen. So vereint der Roman neben fantastischen Elementen auch kriminalistische Motive, die zum Miträtseln Anlass geben.

Die verschiedenen Handlungsstränge verlaufen zunächst parallel, bis sie geschickt miteinander verwoben werden. In der Beschreibung und Darstellung der Charaktere liegt die große Stärke des Romans. Antje Wagner nimmt sich für die Einführung und Zeichnung der Hauptfiguren viel Zeit, ohne langatmig zu werden. Durch die fünf verschiedenen Ich-Erzählinstanzen lässt sie nicht nur in die Psyche ihrer Protagonisten, sondern zuweilen auch in ihre Vergangenheit blicken, die – wie im zweiten Teil herausgestellt wird – von Relevanz für die Gesamthandlung ist. Durch den Einsatz von Rückblenden werden die Figuren zunehmend plastischer, indem ihre familiären Hintergründe, Probleme und Ängste beleuchtet werden. Umso wohltuender liest sich der Einsatz von Humor, wie er etwa im Schlagabtausch unter den Jugendlichen zum Ausdruck gebracht wird. Überdies sorgen insbesondere Hannes und Leon für Situationskomik. Die Freundschaft unter den Jugendlichen, die sich eben nicht – wie sie erst annehmen – rein zufällig begegnen, ist das eigentliche Herzstück des Romans. 

Gelungen ist auch der Spannungsbogen, der mit dem Einsatz des zweiten Teils Das Auge des Nebels an Fahrt aufnimmt. Ohne ins Horror-Genre abzurutschen, liefert der Roman in diesem Teil auch schauerartige und atmosphärisch dichte Szenen: 

Der Nebelfaden verdickte sich zu einem Seil, das Seil zu einem Strang und der Strang zu einem … oh nein, das konnte nicht sein, das konnte einfach nicht sein! Der Strang verformte sich zu einem … Arm!“ (S. 226).

Es ist ein raffinierter Zug der Autorin, dass erst am Ende des Romans sämtliche offenen Fragen beantwortet werden. So wird erst auf den letzten Seiten bekannt, aus welchem Grund Kora zum Beispiel im Gefängnis inhaftiert war und welche Ängste und Schuldgefühle Hannes bis zu diesem Zeitpunkt belastet haben. Allerdings werden zu viele Aspekte auf nur wenigen Seitenabgehandelt. Es wird genau austariert, warum sich ausgerechnet diese fünf Jugendlichen begegnet sind. Das mag einerseits für viele Leser*innen befriedigend sein. Andererseits hätte die eine oder andere Leerstelle oder offene Frage zu Mehrdeutigkeiten Anlass gegeben. Und doch bietet der Thriller kein klassisches Happy End, sondern ein Ende, das die Leser*innen auch noch nach der Lektüre beschäftigen wird.

Fazit

Antje Wagners Vakuum. Meide den Nebel ist ein spannungsgeladener Mystery-Thriller mit fünf überzeugend gezeichneten jugendlichen Charakteren. Als sie sich begegnen, stellen sie sich gemeinsam nicht nur dem immer dichter werdenden Nebel, sondern auch ihren Ängsten. 

Insbesondere aufgrund von Koras Hintergrundgeschichte und teils gespenstisch anmutenden Szenen ist der Roman ab einem Alter von 14 Jahren zu empfehlen. 

Titel: Vakuum. Meide den Nebel
Autor/-in:
  • Name: Wagner, Antje
Erscheinungsort: Sulzbach
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
ISBN-13: 978-3-89741-468-6
Seitenzahl: 350
Preis: 18,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Wagner, Antje: Vakuum. Meide den Nebel