Inhalt

Isaac verletzt sich nach einer Schlägerei mit Craig, dem Freund seiner Schwester Ivy, am Knöchel. Doch er will sich nicht schonen, sondern beim nächsten wichtigen Fußballspiel mit seiner Mannschaft auf dem Feld stehen. Da stößt er auf Roxy, die ihm das verheißungsvolle Versprechen gibt, rasch und effektiv Abhilfe zu verschaffen. Was Isaac als Betäubungsmittel banalisiert, ist eine im Labor hergestellte semisynthetische Droge mit dem Wirkstoff Oxycocdon. Erst als Isaac bemerkt, dass Roxy sein Leben auf den Kopf stellt, versucht er sich im Alleingang von der schier übermächtigen Droge vergeblich loszusagen.

Einzig seine Schwester Ivy scheint eine Hilfe zu sein. Allerdings leidet sie unter Erfolgs- und Leistungsdruck in der Schule. Sie lässt sich von Addison verführen, einem Aufputschmittel, das Ivy nahezu roboterhaft agieren lässt. Addison lässt sie auch hemmungslos auf Partys feiern, wo sie sich neuen Stoff besorgt. Erst zu spät bemerkt sie, dass ihr Bruder in Roxys Fängen steckt und sich alleine nicht mehr von ihr befreien kann.

Kritik

Die US-amerikanischen Autoren Neal und Jarrod Shusterman legen einen Jugendroman über Drogenkonsum vor, der in vielerlei Hinsicht unerbittlich mit seinem jugendlichen Protagonisten Isaac umgeht. Hilfreich ist, sich vor der Lektüre mit dem Schaubild der „Familienclans der Drogen“ zu beschäftigen, das direkt auf der Rückseite des aufklappbaren Covers abgedruckt ist.Die Drogen werden in verwandtschaftlichen Beziehungen wie Mafia-Clans dargestellt. Heroin etwa gilt als Familienoberhaupt der Schmerzmittel, während Morphium eine Cousine von Roxy ist.

Es mag zunächst befremden, dass das erste Kapitel aus der Sicht eines Schmerzmittels geschildert wird. „Naxolon“, so der Name, berichtet vom verzweifelten Kampf, einem in Lebensgefahr schwebenden Menschen zu reanimieren. „Dein Herz beginnt zu flimmern. Dann krampft es sich zusammen, wie eine wütende Faust … und schließlich lässt es los.“ (S. 11). Nach weiteren Zeilen ist zu erahnen, dass die Vorblende das Sterben der jugendlichen Hauptfigur Isaac auf teilnahmslose Weise beschreibt, bevor im folgenden Kapitel die eigentliche Handlung um Isaac zwei Monate zuvor einsetzt.

Die Erzählperspektiven wechseln fortan innerhalb der weiteren 35 Kapitel zwischen den Geschwistern Isaac und Ivy sowie den Drogen Roxy und Addison. Letztere werden nicht nur personifiziert, sondern nehmen auch den Status von homodiegetischen Figuren ein. Insbesondere Roxy erhält einen dominanten Erzählpart. Dadurch, dass die Autoren der Droge eine Ich-Erzählstimme verleihen, während Isaac und Ivy aus der personalen Perspektive fokalisiert sind, fällt es zu Beginn schwer, Zugang zum Roman zu finden. Roxy und Addison erreichen in ihrer destruktiven, antagonistischen Rolle keineswegs den Status von Identifikationsfiguren. Vielmehr bleiben sie weitgehend eindimensionale Gegenspieler, die zum einen ihre Opfer nicht mehr loslassen und zum anderen Wettbewerbsdenken zum Ausdruck bringen. Denn als Drogen fürchten sie auch die Präsenz anderer Drogen.

Die Tatsache, dass Roxy kein Mensch ist und trotzdem im Gewand einer femme fatale in Szene gesetzt wird und überdies subjektive Empfindungen äußert, wirkt an einigen Stellen befremdlich:

 Ich spürte Elektrizität. Neuronale Ladungen, die über Synapsen zu Anschlussterminals rasen. Drei Komma fünf Billionen Volt im menschlichen Körper. Das sind Tausend Blitze. Das ist Nuklearsprengstoff. (S. 249).

Erst gegen Ende des Romans wird allmählich eine Art „Psyche“ der Antagonistin erkennbarer: Auch wegen anderer, konkurrierender Drogen steht Roxy unter enormen Druck und klammert sich krampfhaftan Isaac, indem sie seine schwachen Momente ausnutzt, um ihn zu verführen. 

Wie zahlreiche Antagonisten aus Literatur und Film verfügen auch Roxy und Addison über eine gewisse Faszinationskraft. Zugleich sind sie durch ihren Zynismus nachgerade unerträgliche Widersacher von sympathisch gezeichneten Hauptfiguren. Insofern gehen die Shustermans mit der Erzählperspektive ein Wagnis ein. Allerdings ist die antagonistische Drogenstimme im buchstäblichen überdosiert und in den letzten Kapiteln hat Roxy auch nichts mehr Neues hinzufügen, außer ihre zerstörerischen Absichten in neue Worte zu kleiden: „Ich bin das Feuer, das sich durch die Welt frisst.“ (S. 423)

Dennoch schaffen es die Autoren, auf die Gefahr von vermeintlich harmlosen Schmerzmitteln und synthetischen Drogen ohne pädagogischen Zeigefinger aufmerksam zu machen. Besonders gelungen ist die Darstellung der schleichenden Abhängigkeit, die in einer Sucht endet. Zugleich geben die Shustermans Einblick in die Schattenseiten der US-amerikanischen Jugendkultur. Die Autoren greifen mit dem Suchtpotenzial semisynthetischer Opioide ein Thema auf, das vor allem gegenwärtig in den USA viele Todesfälle verursacht.

Fazit

Lässt sich man sich bei dem beschriebenen Erzählperspektivwechsel als Leser:in auf die zynische Sichtweise insbesondere Roxys ein, die schlussendlich das Leben des sympathisch gezeichneten Protagonisten allmählich zerstört, ist eine spannende Lektüre garantiert. Aufgrund der finsteren, aber wichtigen Thematik und der Verfallsgeschichte Isaacs ist der Roman frühestens für Jugendliche ab 14 Jahren zu empfehlen.

Titel: Roxy. Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz.
Autor/-in:
  • Name: Shusterman, Neal
  • Name: Shusterman, Jarrod
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Roxy
Übersetzung:
  • Name: Pauline Kurbasik
  • Name: Kristian Lutze
Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Fischer Sauerländer
ISBN-13: 978-3-7373-6120-0
Seitenzahl: 448
Preis: 16,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Shusterman, Neal; Shusterman, Jarrod: Roxy. Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz.