Inhalt
Salomé ist die Tochter eines Mannes aus Kamerun und einer Niederländerin. Ihr Haar und ihre Hautfarbe machen die unterschiedlichen Herkünfte ihrer Eltern sichtbar – Salomé wird im Dorf und in der Schule zur Außenseiterin. Für die Vielleserin stellt Lesen ein Hobby das, das ihre Mutter gerne fördert. Das Mädchen zieht sich lieber in die Beobachtung und Analyse sozialer Dynamiken zurück, als sich auszutauschen. Sie passt sich nicht an und fällt auf, obwohl sie gerne unsichtbar wäre – ihr gelingt nicht, am Schulleben teilzunehmen. Über Jahre wird Salomé von zwei Klassenkameraden gemobbt. Eines Tages wendet sie die Selbstverteidigung an, die sie von ihrem Vater gelernt hat: „Du musst bei jedem Schlag einen Schritt nach vorne machen, sagte Papa, als ob du ein Loch in deinen Feind schlagen willst.“ (S. 190) Ihr Gegenangriff richtet die beiden Klassenkameraden schlimm zu. Das hat Folgen: Salomé wird verurteilt und soll in einer Jugendstrafanstalt lernen, mit ihrer Wut umzugehen, während ihr Vater zu Hause mit einer Krebserkrankung kämpft.
In der Jugendstrafanstalt trägt ihr Therapeut tatsächlich dazu bei, dass sie sich anderen öffnet. Allerdings ist sein Einfluss eher unorthodox: Sie erkennt ihn aus einem Reiseprogramm wieder, das sie als rassistische Fernsehunterhaltung erlebt hat. In der Sendung werden weiße Tourist*innen unvorbereitet in afrikanische Dörfer gebracht, in denen traditionelle Lebensweisen bewahrt wurden. Die Tourist*innen verhalten sich durch ihre fehlende kulturelle Kompetenz oftmals rassistisch; die Programmverantwortlichen greifen nicht ein. Die westlichen Lebensstandards werden als den Lebensweisen in den Dörfern überlegen inszeniert.
Salomé ist empathisch und hat ein gutes Vorstellungsvermögen. Sie will nachvollziehen, wie es zu diesem Programm, zu der Reise kam. Denn – auch wenn sie es nicht formuliert – dieses Programm steht für genau jenen Rassismus, der auch dazu geführt hat, dass sie gemobbt wurde:
„Ich habe in der Fernsehshow nichts Rassistisches gesagt oder getan“, entgegnet Frits. […] „Im Gegenteil, ich habe großen Respekt vor deiner Kultur.“
„Welche Kultur?“, frage ich. (S. 46)
Ihre Klassenkameraden, die beide weiß sind, grenzen sich von Salomé ab, weil sie anders aussieht. Dass sie mit ihnen in einer Klasse ist und vermutlich auch schlauer ist als sie, passt nicht zu den Bildern, die im Fernsehen transportiert werden. Dadurch wird gleichzeitig die Frage nach Salomés Handlungsmöglichkeiten gestellt:
Papa ist der Ansicht, wenn jemand „Negerfotze“ zu mir sagt, soll ich mit guten Noten darauf reagieren. Nur dass eine Eins in Niederländisch bei mir noch nie die Euphorie ausgelöst hat, die manche Klassenkameraden zu haben scheinen, wenn sie mir nachrufen, dass ich ein Affe bin. Sich nicht beklagen. Vielleicht ist es aber nur ein Teil der Erziehung, das eigene Kind vor Fehlern bewahren zu wollen, die man selbst gemacht hat. Dass man seine Taten über den Umweg der Kinder zu korrigieren versucht.
Hart arbeiten und sich nicht beklagen.
Natürlich wäre es komisch gewesen, wenn Papa gesagt hätte: „Beim Zuschlagen tust du dir selbst weh, also: Wenn jemand Negerfotze zu dir sagt, dann wirfst du ihn durchs Kneipenfenster oder trittst ihm einen Spiegel vom Auto ab.“ Das war nämlich genau das, was Papa früher in solchen Fällen getan hat. (S. 51)
So muss Salomé lernen, mit dem falschen Versprechen ihrer Eltern umzugehen, dass alles gut wird, wenn sie sich anstrengt. Sie erkennt, dass ihre Tante die rassistischen Strukturen besser versteht:
Seit sie geschieden ist, spricht Tante Céleste nur noch von Feminismus und Kolonialismus, als wären es Götter, ein guter Gott und ein schlechter. […] Papa hält Tante Céleste für eine Wichtigtuerin. Er gehört zu den Leuten, für die nichts wichtiger ist als hart zu arbeiten und sich nicht zu beklagen. Sogar nachdem er arbeitslos geworden ist, zählen Begriffe wie Diskriminierung und Rassismus nicht zu seinem Wortschatz. (S. 45-46)
Denn es ist egal, wie gut Salomés Noten sind, wie viele Romane sie liest – in ihrer Welt wird sie nie weiß und damit gleichwertig sein.
Kritik
Mit Hilfe des Romans lässt sich Alltagsrassismus besprechen. Die Herausforderungen der Emigration von Salomés Vaters in die Niederlande, denen dieser durchaus auch gewalttätig entgegentritt, erleben auch seine Töchter. So zeichnet Bekono Salomés Lebenswelt als das Resultat eines intergenerationellen Traumas. Sie verdeutlicht aus der Sicht der Protagonistin: Der Alltag ist rassistisch. Damit konstruktiv umzugehen ist die Aufgabe aller. Bekono schafft es, Salomé aus der Opferrolle herauszuheben. Sie zeichnet eine nur zum Teil sympathische Figur. Salomés Weigerung, mit anderen in Kontakt zu treten, überträgt Bekono auch auf die Sprache des Romans. Nüchtern, fast emotionslos, beschreibt Salomé ihre Erfahrungen. Dennoch ist die Sprache lebendig, ähnelt an manchen Stellen gar Prosapoesie. Am nachdrücklichsten tritt dieses Stilelement auf, wenn Salomé den Kampf mit den Klassenkameraden erinnert:
mit zwei Arten von Kraft im Kuhfladen wie ein Tanz der Kampf im Schlamm und der Kuhmist macht keinen Krach es sind nur Nägel Knie und Scheiße Algen Zähne Haar das Bluten und das Fleisch aber das Allerwichtigste war, als der andere ihm zu Hilfe kam und sie anfingen zu treten und ich auf der Seite liegend und auf mich spuckten und sich dann umdrehten und weggingen, als wäre die Sache erledigt, dass ich in diesem Moment dachte nein
Motherfuckers, nein (S. 189-190)
Bekono hat sich intensiv mit der Jugendsprache, insbesondere in der Strafanstalt, auseinandergesetzt, die allerdings weitgehend nicht in die deutsche Übersetzung übertragen werden konnte. Doch auch in der Übersetzung bleiben authentische Sprachelemente erhalten, die sie so einzusetzen weiß, dass der Text verständlich bleibt und zeitlos wirkt:
„Hast du hier auch Therapie?“, frage ich. Sie runzelt die Stirn und nimmt einen Schluck Wasser und einen Happen Nudeln.
„Klar“, sagt sie mit einer tiefen, brummenden Stimme. „Warum fragst du?“
„Der Dude, der hier die Therapie gibt, der –“
„Es ist kein Unterrichtsfach oder so was.“
„Ja, nein, stimmt, weißt du, dass der…“
„Ja, Hello Jungle. Du bist nicht die Erste, Mann." (S. 24)
Bekono erhielt für den Roman 2022 den Anton Wachterprijs für das beste Prosadebüt. Die ursprünglich als Dichterin bekannt gewordene Autorin beweist in diesem Coming-of-Age-Roman Erzähltalent. Da man erst im Verlauf der Erzählung erfährt, was eigentlich passiert ist, entfaltet sich die spannende Geschichte einer Figur, die lernen will, aber nicht weiß, was sie lernen kann. Bekono überlässt die Frage nach Schuld und Unschuld den Lesenden.
Fazit
Der Roman ist aufgrund des Inhalts, aber auch der sprachlichen Dichte und den teils herausfordernden narrativen Strategien für das typische Young-Adult-Publikum geeignet. Lesende werden zu einem kritischen Blick in den Spiegel aufgefordert. Ebenso wie Salomé gezwungen ist, sich zu fragen, ob sie eigentlich Täterin oder Opfer ist, sollen sich das alle fragen, die den Roman zur Hand nehmen. Bekono zeigt, dass alle an Alltagsrassismus teilhaben – auch die, die nichts tun. In dieser Hinsicht ist der Originaltitel ebenso gut gewählt wie dessen Übersetzung; der Roman birgt unendlich viele „Konfrontationen“ (Confronaties).
- Name: Ira Wilhelm