Inhalt
Die Wiener Kulturjournalistin und -kritikerin Katja Gasser hat den ersten Corona-Lockdown 2020 zum Anlass genommen, den Spagat zwischen Home-Office und Home-Schooling, zwischen Care-Arbeit und Karriere, der so viele Familien, Eltern und Kinder in existenzielle Krisen stürzte, zwischen zwei Buchdeckel zu packen. In Form von Dialogen zwischen einer Mutter und ihrer Tochter bündelt sie den Corona-Blues in ihrem neuen Buch mit einem Titel, der sicher vielen Heranwachsenden (nicht nur) während der Corona-Pandemie aus der Seele spricht: Von Erwachsenen habe ich mir mehr erwartet. Dabei kann der Untertitel „Erfundene und gefundene Dialoge“ als Ratespiel aufgefasst werden, zu ergründen, welche Dialoge denn nun erdacht und gemacht oder tatsächlich gefunden wurden. Sie ergeben eine Sammlung zusammenhangsloser Gesprächsfetzen einer Mutter und ihrer Tochter. Angereichert und verstärkt werden diese durch witzige Illustrationen von Maria Frenay. Die Gespräche offenbaren eine ebenso unaufgeregte wie innige Beziehung von Mutter und Tochter, die sich zuweilen gegenseitig ganz schön auf die Nerven gehen:
Mutter: Wenn du dich so langweilst, dann komm doch
mit zu meinem Termin jetzt!
Kind: Mama! Alles, nur das wirklich nicht! (S. 80)
Dabei geht es – wie der Buchrücken verrät – um „Angst und Liebe, Lesen und Lümmeln“, um „Erwartungen, Familie, Arbeit, Alltag“ – und um die „Trostlosigkeit einer Welt ohne Katzen“. Es ist ein Austausch von Gedanken, denen man nicht immer folgen kann oder muss.
Dabei ist das Buch in drei ungleiche Teile gegliedert: Der Hauptteil ist mit ‚Das Kind‘ überschrieben, es folgen ‚Die Katzen‘ und ‚Die Welt‘. Die Mutter erhält also kein eigenes Kapitel, sodass bereits die Struktur deutlich macht: Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Kind; ihm wird hier der meiste Platz eingeräumt.
Kritik
Auf dem Vorsatzpapier Von Erwachsenen habe ich mir mehr erwartet illustriert Maria Frenay daher auch eine „Signierstunde zum Bestseller Gemeine Mama“: Die Bestsellerautorin – das Kind aus den folgenden Dialogen – signiert fleißig den neusten Band aus ihrer Romanreihe „Gemeine Mama nach wahren Begebenheiten“. Hier zeigt sich zum einen der Fokus auf die kindliche Perspektive und zum anderen das Spiel mit der Fiktionalität von Literatur. Zudem spiegelt das Vorsatzpapier die vielen ‚Gemeinheiten‘ der Erwachsenen, die in den Pandemie-Jahren durch Lockdown, Verbote und Einschränkungen sicher noch verstärkt wurden. Das erlaubt der jungen Generation, Fortsetzungen über Fortsetzungen zu schreiben: Von „Schon wieder gemein“ zu „Gemein Teil III“.
(Selbst-)Ironisch thematisiert sich das Buch auch in den ersten Dialogen, in denen die Entstehungs- und die Schreibsituation geschickt aufgegriffen wird, das Kind skeptisch und immer etwas genervt auf die Fragen der Mutter antwortet und als harte Kritikerin auftritt: Als Mise en abyme wird Von Erwachsenen habe ich mir mehr erwartet sowohl auf Text- als auch Bildebene eingeführt, wobei das Kind erklärt, die Publikation des Buches wäre „total peinlich“ (S.6 und 7)
und ein erfundener Dialog sei „grauenvoll, aber nehmen wir ihn trotzdem.“ (S. 9). Diese bissigen Kommentare ziehen sich konsequent durch den ersten Teil ‚Das Kind‘, wirken jedoch teilweise recht gewollt und enervierend.
Die durchgängige Frage-Antwort-Struktur der Dialoge ist ebenso auffällig wie die Kürze der Gespräche, die meist nur vier bis fünf Zeilen umfassen und die Zuschreibung ‚Dialog‘ selbst in Frage stellen. Darüber hinaus wirkt vor allem der kindliche Duktus an manchen Stellen doch zu sehr konstruiert und teilweise inkonsistent, um sich darauf einzulassen, beispielsweise wenn das Kind (un-?)gewollt hochgestochen spricht oder auf die Frage „Liest du noch?“ antwortet: „Ja! Aber zu deiner Enttäuschung nicht Karl-Markus-Gauß.“ (S. 50) – Was soll das für ein Kind sein, das so spricht und zugleich fragt:
Kind: Was heißt „Probetisch“?
Mutter: Wie?
Kind (schon leicht aggressiv): Pro-be-tisch!??
Mutter: Keine Ahnung. Zeig mal her!
Kind: Da steht „Probetisch“!
Mutter: Da steht „prophetisch“!
Kind: Du musst auch wirklich immer das letzte Wort haben! (S. 100)
Nach dem bissigen Kind-Teil folgt ein recht beliebiger Katzen-Teil, bevor es in ‚Die Welt‘ bedeutungsvoller und politisch wird. In diesen leider auffällig wenigen Dialogen arbeitet Gasser u.a. mit konkreten Zeitangaben, die die Dialoge im politischen Weltgeschehen verorten. Bereits der erste Dialog im ‚Welt-Teil‘ sticht heraus, sowohl inhaltlich als auch formal: Hier bleibt die Frage sprachlich unbeantwortet, Maria Frenays Illustration gibt jedoch einen Ausblick und reichert diesen Dialog im besonderen Maße an:
Kind und Mutter bummeln durch die Mariahilfer Straße.
Kind: Mama, wird die Welt kaputt sein,
wenn ich groß bin? (S. 146)
In der Illustration finden sich die zentralen und drängenden Probleme unserer Zeit, denn ein Riss geht durch die schöne heile Konsum-Welt, der einen Abgrund mit Coronaviren, Atommüll, Umweltverschmutzung und Naturkatastrophen offenbart. Neben Konsum- und Gesellschaftskritik ist es der russische Überfall auf die Ukraine seit 24.02.2022, den die Welt und das Kind beschäftigt: ‚Warum machen die Soldaten das?‘ Und ‚Warum geht Putin nicht einfach in Pension?‘ sind Fragen, die gestellt, aber nicht beantwortet werden können (vgl. S. 152–153). So ist es jener kurze Welt-Teil, der Einblicke in ein kindliches Denken gibt, dem man in den Dialogen gern etwas öfter gefolgt wäre.
Fazit
Dem Buch von Katja Gasser liegt ein wichtiger Impuls zugrunde, nämlich jene Verlierer*innen der Corona-Zeit und -Politik ins Zentrum und Gespräch zu bringen, denen in der Pandemie am wenigsten Gehör geschenkt wurde: Kinder (und Mütter). Doch bleiben die kurzen Dialoge und Themen hinter diesem zentralen Anliegen zurück, wirken größtenteils belanglos oder beliebig. Das ist insofern schade, da einige Dialoge und kindliche Fragen Potenzial zum Nachdenken liefern und nachklingen, doch in der Zusammenstellung auch wieder schnell verklingen. Auf die Frage ‚Was ist oder will dieses Buch?‘, die beim Lesen daher unweigerlich aufkommt, gibt es leider keine Antwort.
So trifft auf die Publikation auch das zu, was im letzten Dialog besprochen wird:
Kind (kurz vor dem Einschlafen): Irgendwie habe ich mir […] mehr erwartet.
Mutter: Was genau meinst du?
Kind: Insgesamt so.“ (S. 156).
Der tolle Titel, der viel verspricht, lässt sich auch auf dieses Buch übertragen: Ich habe mehr erwartet.
- Name: Katja Gasser
- Name: Maria Frenay