Inhalt
Die Handlung setzt fünf Jahre nach den Ereignissen, die in Tintentod geschildert werden, ein. Meggie und ihr Freund Doria wollen zusammen eine längere Reise in ihnen bisher unbekannte Teile der Tintenwelt unternehmen und treffen dafür entsprechende Vorbereitungen. Gleichzeitig wird erzählt, wie Orpheus einen Plan schmiedet, um sich an Staubfinger, von welchem er sich zurückgewiesen und betrogen fühlt, zu rächen. Für seine Rache entsendet er den Auftragsmörder Baldessare in Begleitung seines Glasmanns Eisenglanz von Grunico (Orpheus derzeitiger Aufenthaltsort, eine reiche Stadt nördlich des bisherigen Handlungsgebiets der Tetralogie) in Richtung Ombra. Dort platzieren die beiden geschnitzte Figuren aller Menschen, die Staubfinger wichtig sind, in eben deren Zimmern. Nach drei Tagen bringen Baldessare und Eisenglanz die Figuren zu Balbulus (dem Illuminator Violantes), welcher mit einer verzauberten Farbe einer Schattenleserin Bilder von diesen Menschen nach dem Vorbild der Figuren malen soll. Diese Farbe bewirkt, dass die Figuren in dem Buch, in welches Balbulus mit ihr hineinmalt, gefangen werden und gleichermaßen aus der Tintenwelt verschwinden. Dabei verlieren Orpheus und Eisenglanz jedoch die Holzfigur des schwarzen Prinzen, weswegen dieser nicht im Buch gefangen wird. Nachdem Balbulus seine Aufgabe erledigt hat, wird er von Baldessare ermordet.
Staubfinger versucht nun mit Hilfe des schwarzen Prinzen, den Fluch zu brechen und sich gleichermaßen an Orpheus zu rächen. Dafür reisen sie gemeinsam mit Jehan (Staubfingers Stiefsohn) und Lilia (eine Freundin von Jehan) Richtung Norden nach Grunico. Orpheus wird durch eine besondere Feder ermächtigt, die Geheimnisse aller Menschen zu erfahren, deren Namen er mit ihr schreibt. Mit diesen Geheimnissen kann er die betreffenden Menschen erpressen.
Staubfinger wird auf dem Weg nach Grunico von Baldessare gefangengenommen und zu Orpheus gebracht, welcher Baldessare daraufhin aber kündigt, weil er damit offenbart hat, dass Orpheus seine ‚Zauberzunge‘ verloren hat und somit nicht selbst für Staubfingers Erscheinen sorgen kann. Staubfinger wird von seinen Begleiter*innen befreit. Gemeinsam kommen sie hinter das Geheimnis des Buchs mit den Portraits, welches unter anderem Meggie, Mo und Roxane gefangen hält. Um zu erfahren, wie der Zauber gebrochen werden kann, besuchen sie die Schattenleserin, bleiben dort aber erfolgslos. Bei dem Kampf gegen die Schattenleserin entdeckt Lilia jedoch, wie mächtig sie ist und dass sie mit ihren Kräften Pflanzen so beeinflussen kann, wie es Staubfinger mit dem Feuer vermag. Orpheus hat sich inzwischen aus Angst vor Staubfinger und dem schwarzen Prinzen durch einen weiteren Besuch bei der Schattenleserin einen Doppelgänger engagiert, welcher ihn beschützen soll. In dem darauffolgenden Kampf kann Lilia durch ihre magischen Kräfte den Doppelgänger besiegen. Schließlich gelingt es den Protagonist*innen, Orpheus zu überlisten.
Kritik
Nachdem die Tinten-Reihe zunächst als abgeschlossen galt, setzt Cornelia Funke nun ca. 15 Jahre später die Geschichte fort. Damit geht ein Wechsel der Protagonist*nnen einher. Während in der bisherigen Trilogie vor allen Dingen Meggie und Mo im Zentrum der Erzählung standen, liegt in Die Farbe der Rache der Fokus auf Staubfinger und dem schwarzen Prinzen sowie dem Antagonisten Orpheus. Der Jugendroman hat einen ähnlichen Aufbau wie seine Vorgänger: Die Kapitel sind teilweise recht kurz und haben jeweils eigene Kapitelüberschriften, die Auskunft über den Inhalt des Kapitels geben. Zudem ist jedem Kapitel als Rahmung ein Motto vorangestellt.
Der Einstieg des Buchs wirkt wie ein 'Update' der bisherigen Ereignisse, welche sich vorerst wenig spannend lesen. Sie erweisen sich jedoch z. B. als relevant, weil Staubfinger (Nardo) und der schwarze Prinz (Nyame) nun Vornamen bekommen und im gesamten Buch auch vorrangig mit diesen statt mit ihren Pseudonymen bezeichnet werden. Auch erfahren die Leser*innen mehr über Orpheus‘ (Enricos) Hintergrund, welcher hier ebenfalls mit einem Vornamen ausgestattet wird. Auch gibt es neue Figuren wie z. B. Lilia, welche eine neue weibliche Identifikationsfigur ist und zudem zeitgemäß gestaltet ist: Sie hat keine Eltern, wuchs im Wald auf und könnte Mädchen mögen, wie Jehan vermutet. Funke geht hier also mit der Zeit und gibt einer neuen Figur eine queere Identität, welche aber für die Geschichte nicht weiter relevant ist. Vielmehr spielen die Kräfte der Protagonist*innen jeweils eine entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung der Geschichte und die Lösung des Dilemmas. Insofern kann die Tinten-Trilogie nach wie vor für sich stehen und Die Farbe der Rache entsprechend als eigenständigeres Buch gesehen werden, welches zwar im gleichen Universum spielt, jedoch eine neue Geschichte erzählt.
Sprachlich wird der Stil der Trilogie in etwa beibehalten: die Beschreibungen liefern durch Adjektive wie "unverholen" (S. 65) oder "zornverzerrt" (S. 291) ein mystisches Gefühl. Durch Vergleiche wirkt der Text sehr anschaulich und bildhaft: "Ihr Haar… Als hätte sich das Feuer ihres Vaters darin verfangen. […]" (S. 312) durch die sich nicht selten auch ein gewisser Witz ausmachen lässt. Das Buch ist daher sprachlich an jugendliche Leser*innen angepasst, ohne dabei jedoch flach zu wirken. Die Sprache fesselt und nimmt die Leser*innen gleichermaßen mit auf eine Reise, auf welcher sie mit unterschiedlichen Figuren mitfiebern können. Funke erzählt hier aus einer hauptsächlich auktorialen Erzählperspektive, wobei die Orte und damit auch die Figur(en) teilweise schnell wechseln. Dadurch wirkt die Erzählung sehr persönlich, was dadurch verstärkt wird, dass Gedanken oder Gefühle verschiedener Figuren mit kursiver Schrift markiert werden. Funke gelingt es hier, sich sowohl in die guten Figuren als auch den bösen Orpheus hineinzuversetzen, sodass die Gefühlswelten plausibel wirken.
Nicht alle Geschehnisse werden jedoch detailliert erklärt: Beispielsweise wird nicht deutlich, warum Orpheus zum Ende hin doch wieder in der Lage ist, seine Gabe als 'Zauberzunge' zu nutzen. Insbesondere im letzten Drittel des Buchs wird es sehr märchenhaft gestaltet. Die Geschichte ist im Vergleich zu den vorherigen Bänden weniger detailverliebt und endet abrupt. Inhaltlich lassen sich einige durchaus brutalere Szenen ausmachen, beispielsweise die Ermordung von Balbulus.
Fazit
Cornelia Funke liefert mit Die Farbe der Rache einen neuen Jugendroman, welcher durch ein großes Figureninventar und wechselnde Handlungsorte an High Fantasy erinnert. Ihr gelingt die Balance zwischen einem durchaus komplexen, sprachlich anspruchsvollen und interessanten und dabei nicht zu brutalen Erzählstil. Aufgrund der Textlänge von etwa 400 Seiten, den Perspektivwechseln sowie einer komplexen Figurenkonstellation ist der Text für Kinder (je nach Reife und Lesekompetenz) ab der weiterführenden Schule, also ab ca. zwölf Jahren geeignet.