Inhalt
Die Handlung von Der beste Beweis bist du selbst ist im kanadischen High School-Milieu angesiedelt und stellt die aktive, sportliche und leistungsstarke Protagonistin TJ Powar in den Fokus. Sie engagiert sich im Debattierclub der Schule, ist beliebt, hat viele Freundinnen und einen Freund. Als eines Tages ihre Cousine Simran in einem öffentlichen Meme wegen ihrer Körperbehaarung gemobbt wird, ist TJ unfassbar wütend. Sie beschließt, eine ganz persönliche Debatte zu initiieren und sich nicht mehr zu rasieren. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ihr Freund Liam wendet sich wegen ihrer Körperbehaarung von ihr ab und will keinen Sex mit ihr, was TJ enorm verletzt. Zudem gerät sie selbst an ihre inneren Grenzen und merkt, wie stark sie den öffentlich propagierten Schönheitsidealen verhaftet ist. Ausgerechnet ihr bislang stärkster Konkurrent und Gegner Charlie aus dem Debattierclub avanciert zu ihrem Fürsprecher und plötzlich hegt TJ Gefühle für ihn. Die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Charlie und TJ eröffnet einen zweiten Handlungsstrang des Romans, in dem es um das (klassische) Hin und Her von widerstreitenden Gefühlen geht.
Kritik
Mit dem Fokus auf das Phänomen Körperbehaarung und dem weiblichen ‚Zwang‘ zur Rasur bearbeitet Jesmeen Kaur Deo ein bislang noch nicht beachtetes Thema der Jugendliteratur (ausgenommen vom sehr empfehlenswerten Sachbuch Hairy Queen. Warum Körperbehaarung politisch ist von Franziska Setare Koohestani (Ullstein 2024)). Dies gelingt ihr auf mitreißende und vor allem sehr differenzierte Weise, da sie mithilfe interner Fokalisierung auf ihre sympathische Protagonistin viele Facetten des Themas beleuchtet. Geschickt gewählt ist die Verschränkung von TJs subjektiver Beteiligung und äußerer Argumentation, die an die Teilnahme der Hauptfigur im Debattierclub gebunden ist. Dadurch ist die Erzählanlage vielschichtig, die Figuren komplex und mehrdimensional, die Figurendialoge bilden zahlreiche Meinungen und gesellschaftlich gestützte Konstrukte ab, die reflektiert werden. Das illustriert der folgende Ausschnitt aus einer Debatte zwischen TJ und Charlie:
„Dann würdest du also zustimmen, wenn ich behaupten würde, dass manche Menschen eine Vorliebe für die Entfernung ihrer Körperbehaarung haben?‘“ hakt Charlie nach. „Auch wenn sich diese Vorliebe nicht sauber von den gesellschaftlichen Erwartungen trennen lässt?“
TJ mustert ihn neugierig. „Hast du jemand Bestimmtes im Sinn?“
Charlie nickt. „Ja. Eine Freundin meiner Mom ist trans und hat mir einmal erzählt, wie glücklich sie war, als sie zum ersten Mal von einer Kassiererin mit Miss angesprochen wurde. Kurz davor hatte sie sich einer Laserbehandlung unterzogen. Für sie fühlte sich der haarige Zustand richtig an. Im Einklang mit deinem Gender wahrgenommen zu werden, ist meiner Meinung nach etwas sehr Wichtiges. Aber ich glaube, viele von uns nehmen das als eine Selbstverständlichkeit hin.“
Über diesen Punkt hat TJ noch gar nicht nachgedacht. „Das ist wahr,“ gibt sie zu – wenn auch sehr zögerlich. Denn eigentlich hasst sie es, mit Charlie einer Meinung zu sein. „Ich schätze, wir haben einfach die Wahl, von welcher Firmenpropaganda wir uns beeinflussen lassen.“ (Kaur 2023: 210)
Ob es zusätzlich zu diesem literarisch feinsinnig geführten Diskurs um Schönheitsideale die klassisch inszenierte Liebesbeziehung zwischen Charlie und TJ, deren Darstellung auf typische Erzählmuster des Liebesromans setzt, gebraucht hätte, sei dahingestellt. In diesem Handlungsstrang geht es ausschließlich um die Frage, ob sie sich am Ende kriegen oder nicht bzw. ob sie Verletzungen und Missverständnisse überwinden können, um zueinander zu finden. Das liest sich etwas abgegriffen, verleiht dem Jugendroman vielleicht aber auch zusätzliche Würze. Spannung ist aber allein durch TJs Kampf und ihre tiefsinnigen Reflexionen gegeben. Muss sie sich als indischstämmiges Mädchen dem Druck beugen und ihrer natürlichen Körperbehaarung den Kampf ansagen? Ist sie dann noch attraktiv und beliebt und wer bestimmt eigentlich darüber? Der Roman regt zum Nachdenken an und beschert darüber hinaus ein mitreißendes Leseerlebnis, das einen vollkommen in den Bann zu ziehen vermag.
Fazit
Großartig! Dass die Jugendjury 2024 diesen Roman auf die Nominierungsliste gesetzt hat, ist absolut stimmig und nachvollziehbar. Er entwirft eine vielschichtige und reflektierte Handlung und präsentiert glaubwürdige und authentische Figuren, dabei nimmt er ein wichtiges Thema auf, das gesellschaftlich brisant ist und alle angeht. Ein durch und durch empfehlenswerter All-Age-Text ab 14 Jahren.
- Name: Jesmeen Kaur Deo
- Name: Meritxell Piel