Inhalt

Raven ist ein ganz normales, aufgewecktes Mädchen im Alter von 16 Jahren. Ihre Eltern leben in Scheidung. Während ihr Bruder beim Vater aufwächst, lebt Raven bei ihrer strengen Mutter, die – vor allem zum Schutz ihrer blinden Tochter – konsequent auf die Einhaltung von Regeln besteht. Doch durch die Freundschaft mit May-Lin entzieht Raven sich dem strengen Reglement ihrer Mutter, denn May-Lin ist unangepasst und mutig. Sie nimmt Raven vorbehaltlos an, zieht sie hinein in ein jugendliches, freiheitliches Leben, in dem auch durchaus mal ein Ladendiebstahl vorkommt. Die Ich-Erzählerin Raven beschreibt ihre Welt mit Farben, wobei das titelgebende Grün ihre absolute Lieblingsfarbe ist. Eines Tages erlebt sie jedoch etwas Schreckliches: May-Lin kommt bei einem Autounfall ums Leben. Ravens Trauer ist unermesslich groß, so groß, dass sie sich jedes Glück verwehrt, auch ihre aufkeimende Liebesbeziehung zu dem sensiblen und freundlichen Roan. Und es kommt noch schlimmer: Raven erfährt, dass Roans depressiver Vater den Unfall verursacht hat, durch den May-Lin ums Leben gekommen ist. Formal trifft ihn keine Schuld, denn May-Lin ist ihm mit dem Fahrrad vors Auto gefahren. In einem schmerzhaften Prozess lernt Raven, zu verzeihen und den Weg zurück ins Leben zu finden.

Kritik

Der Adoleszenzroman, der von der blinden Raven und ihrem harten Schicksal erzählt, findet seine poetische Sprache durch die intern fokalisierte Darstellung der Farbsymbolik, die den Text leitmotivisch durchzieht. Dies geschieht von der ersten bis zur letzten Seite, denn auch die Kapitel tragen die Namen von Farben. Das titelgebende und zentrale Grün ist für Raven „die Farbe des Neuanfangs.“ (S. 11) Die Welt, die Raven zeichnet ist...

„[…] das ROT, wenn man Schmetterlinge im Bauch hat

-nicht die, die vorsichtig flattern, das ist Rosa, sondern die, wenn man nur noch an den einen denken kann.

...das ist das KNALLROSA von Jugenderinnerungen, eingehüllt in Zuckerwattewolken und süße Kaugummiblasen, die nach dem Platzen das ganze Gesicht mit einer klebrigen Schicht bedecken.

...das ist das GRAU, das langweilig sein kann, aber auch die Farbe des Alters ist, der Geschichten, die wir unseren Kindern erzählen, wenn wir einmal alt sind.“ (S. 233)

Durch diese Farbanalogien erhält der Text eine beeindruckend poetische Dichte bzw. eine eigene Farbe, die den Grundton von Ravens eindringlicher Erzählstimme ausmacht, die Christiane Burkhardt sorgsam vom Niederländischen ins Deutsche übertragen hat. Nicht die Auseinandersetzung mit ihrer Blindheit steht im Zentrum der Narration, sondern vielmehr ihr inneres Erleben, ihre Trauer, ihre Liebe und ihr Selbstfindungsprozess. Durch diese Mixtur besticht der Roman mit seiner eindrücklichen Authentizität, glaubwürdigen Figuren und einer ergreifenden Erzählung aus Ravens Perspektive. Die Protagonistin überwindet ihre Trauer und kann die Liebe annehmen, obwohl der Weg hart und steinig ist. Grün bleibt also die Farbe des Neunanfangs, die einen Duft verströmt, der als Hoffnungsperspektive am Ende steht.

Statt eines Nachworts ist das Braille-Alphabet gelistet, auch das Cover zeigt den Titel des Romans in Blindenschrift, eine Kontextualisierung, die Leser*innen einmal mehr zur Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsmodi blinder Menschen einlädt.

Fazit

Durch die gelungene Farbsymbolik und die daran gebundene, besondere Erzählstimme erreicht Pamela Sharons eine wunderbare Poetizität, die auch noch im Anschluss an die Lektüre nachhallt. Die Themen Trauer, Verlust, erste Liebe und Ablösung von den Eltern werden glaubwürdig und sensibel verarbeitet und durch die Sicht eines blinden Mädchens perspektiviert – ein empfehlenswerter Roman für Jugendliche ab 14 Jahren.

Titel: Der Duft von Grün
Autor/-in:
  • Name: Pamela Sharon
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2024
Verlag: Freies Geistesleben
ISBN-13: 978-3-7725-3116-3
Seitenzahl: 234
Preis: 20,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Sharon, Pamela: Der Duft von Grün