Inhalt
Edin Melitzky ahnt nichts Böses, als er von der Schule nach Hause kommt. Dort findet er einen nicht abgestempelten Umschlag mit einer geheimnisvollen Briefmarke, auf der eine Kornelkirsche abgebildet ist. Als seine Mutter Ann den Inhalt des Briefes entdeckt, reagiert sie mit einem verzweifelten Aufschrei, obgleich das Schreiben nur zwei Worte enthält: Zu spät. Kurzerhand informiert Ann den überraschten Edin über seine Verwandtschaft, bestehend aus drei Tanten, drei Cousinen und einem Cousin. Denn auch für sie gilt die knappe Botschaft des Briefes.
Gemeinsam beziehen sie das Herrenhaus des gemeinsamen Großvaters Viktor Melitzky in Kamp-Cornell, das geprägt ist von den motivgebenden Kornelkirschsträuchern und verfallenen Gebäuden. Im Haus wird der gebrechliche Viktor merkwürdigerweise von Dorfbewohnern umsorgt. Nun nehmen die Jugendlichen Edin, die Schwestern Penelope und Gabrielle, die modeaffine Lu und der unter Zwangsstörungen leidende Johnny die häuslichen Aufgaben in die Hand und werfen die verschrobenen Nachbarn hinaus. Während die Cousins und Cousinen anfangs nur wenig miteinander anfangen können, vereint sie zusehends die merkwürdigen Vorkommnisse im Haus. An den Wänden entdecken sie mysteriöse Zeichen, auf den Tischen befinden sich eingeritzte Initialen, außerdem gibt es einen Raum, der nicht betreten werden darf. Obendrein sorgen Stromausfälle für weitere Fragen. Mit ihrer Kombinationsgabe wachsen sie zusammen, finden unter anderem in der Dorfbewohnerin Inge, die ein Nagelstudio besitzt, eine Person, die mehr über die Vergangenheit des Hauses weiß. Und auch weitere Außenstehende wie der Klempner Andasch erweisen sich als Schlüsselfiguren. Bald steht fest, dass sich in diesem Haus ein jahrzehntelang gehütetes Geheimnis verbirgt.
Kritik
Susan Krellers Mystery-Roman beginnt mit atmosphärischer Dichte: Im Detail beschreibt die Erzählinstanz die geheimnisvoll wirkende Briefmarke, die das künftige rätselhafte Abenteuer vorausdeutet. Edin, der bei genauerer Betrachtung einen Totenschädel im Muster der Kornelkirschsträucher auf der Briefmarke entdecken kann, erweist sich als ruhiger und bedächtiger Beobachter des Geschehens. Dagegen stehen Penelope und Gabriella sowie die modische Lu als gelungene Kontrastfiguren, ergänzt um den 13-jährigen Johnny, dem stillen Helden des Romans. Er hat den Zwang, alles, was weiß ist, berühren zu müssen. Sowohl die Charakterzeichnung von Johnny als auch Edin überzeugt. Über die beiden feinsinnigen und aufmerksam beobachteten Außenseiterfiguren hätte man gerne noch mehr gelesen.
Die eingangs vielversprechende Geschichte selbst entfaltet sich langsam und nimmt ungeahnte Wendungen. Dorfbewohnerin Inge steht beispielsweise in der Funktion, mit ihrem Wissen die Handlung zu beschleunigen. Auch wenn das Changieren zwischen auktorialem und personalem Erzählen sowie die Perspektivwechsel innerhalb der insgesamt 15 Kapitel dem Roman Dynamik verleihen, so geschieht auf Handlungsebene dennoch nicht allzu viel. Dies liegt zum einen an der großen Anzahl verschiedener Figuren, die die Autorin zu Wort bringt und überzeugend entwickelt, allen voran die im Fokus stehenden Jugendlichen. Zum anderen ist dies den ausführlichen Raumbeschreibungen geschuldet, die die mysteriöse Atmosphäre des Textes unterstreichen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der ebenso anspruchsvolle wie auch ästhetische Gebrauch der bildhaften Sprache:
„Das Licht hatte sich seinen Weg gesucht, und es hatte ihn gefunden. Es war ein lauwarmes Licht, in dem der Samstagnachmittag seinen leichten Bahnen schwamm.“ (S. 29)
Ohnehin sind die Personifizierungen des Hauses oder anderer Objekte wie der Toaster, der Brotscheiben ‚hochwürgt‘ (S. 57), sehr gelungen. So ansprechend die Ästhetik der mit zahlreichen Jugendliteraturpreisen ausgezeichneten Autorin auch ist, überzeugen in diesem Roman nicht alle Metaphorisierungen gleichermaßen:
„In der Nacht waren zwei Wege zu hören, die sich mit kleinen Bissen durch die Dunkelheit des Hauses fraßen, zwei schlaflose Wege, die einander beinahe verpasst hätten wie zwei Lächeln auf dem Bürgersteig, Wege, die sich lange nicht trafen und dann aber doch.“ (S. 44)
Fazit
Susan Krellers Jugendroman Das Herz von Kamp-Cornell besticht durch ästhetischen Sprach- und Erzählstil sowie durch die Zeichnung der insbesondere jugendlichen Figuren. Allen voran überzeugen die beiden Charaktere Edin und Johnny. Die Handlung entwickelt sich langsam und wirkt gegen Ende des Romans zum Teil konstruiert. Insgesamt gelingt Susan Kreller dennoch eine einfühlsame Geschichte, in der die Jugendlichen ein dunkles Familiengeheimnis auflösen. Aufgrund des ästhetischen Sprachgebrauchs und der verrätselten Spurensuche ist die Lektüre ab einem Alter von 14 Jahren geeignet.
- Name: Susan Kreller
