Inhalt

Hamburg, 1961. Die dreizehnjährige Karin erlebt einen unbeschwerten Sommer. Besonders freut sie sich über den neuen Fernseher, welcher ihr eine unbekannte Welt eröffnet. Karins einziges Problem ist, dass ihre Eltern nicht mit ihr über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sprechen wollen, obwohl ein großer Prozess gegen den Kriegsverbrecher Adolf Eichmann im Fernsehen gezeigt wird.

Karins Paradies wird zerstört, als ihr Wohngebiet im Februar 1962 durch eine Sturmflut verwüstet wird. Fast auf sich allein gestellt, nur mit einer älteren Nachbarin, muss Karin auf dem Dach ihres Behelfsheimes auf Hilfe warten. Auch in einer provisorischen Notunterkunft findet sie zunächst keine ihrer Angehörigen. Als sie jedoch die mitgebrachte Tasche auspackt und ein altes Fotoalbum mit Bildern ihrer Familie findet, ist sie völlig ratlos, als sie darin auch Bilder von der Wehrmacht findet, von deren Verbrechen ihre Eltern nichts mitbekommen haben wollen.
Die Flutnacht hat Karin verändert. Auch wenn sie nur kurze Zeit in der Notunterkunft auf ihre Familie warten musste, ist Karin dennoch erwachsener geworden. Dies zeigt sie nun mit einer modernen Frisur, aktueller Kleidung und Schminke, auch wenn dies zu Konflikten mit ihren Eltern führt. Karin betrachtet diese Auseinandersetzungen eher gleichgültig, da sie immer noch über die Erlebnisse ihrer Eltern im Zweiten Weltkrieg rätselt, über die niemand mit ihr spricht. Auch ihr Leben verändert sich: Karins Familie lebt nun in einer großzügigen Wohnung in einem anderen Stadtteil, ihre Klassenkamerad*innen und Nachbar*innen aus der Zeit vor der Sturmflut sieht Karin nur noch selten. Dennoch besucht Karin die Beerdigung der Nachbarin, mit der sie auf dem Hausdach in der Sturmflutnacht auf Hilfe gewartet hat. Hier fällt Karin umso mehr auf, dass nicht nur sie sich verändert hat.

Kritik

Das Buch ist in drei Teile unterteilt, welche jeweils einen Zeitraum abbilden. Der erste Teil "Das Paradies" erzählt Karins Erlebnisse im Sommer 1961, der zweite Teil "Die Vertreibung" beschreibt die Flutnacht im Februar 1962, der dritte Teil "Asche zu Asche" ist im Sommer 1963 angesiedelt und thematisiert die Veränderungen nach der Sturmflut. Diese Aufteilung in drei Teile passt sehr gut zur Handlung, da diese Karins Entwicklung vom Kind zur Jugendlichen erzählt. Rezipient*innen wird so das Verständnis der Handlung erleichtert.

Mit der Beschreibung der Sturmflut sowie des Eichmannprozesses werden wahre Begebenheiten thematisiert, was insbesondere historisch interessierten Jugendlichen Anknüpfungspunkte zu weiterer Recherche bietet. Diese wahren Begebenheiten sind dabei gelungen mit der Handlung und den Figuren verknüpft, sodass keine Brüche entstehen.

Eine Besonderheit des Buches besteht darin, dass versucht wird, Rezipient*innen ein Lebensgefühl der frühen 1960er Jahre zu vermitteln, was durch viele Handlungselemente und detailreiche Beschreibungen ermöglicht wird. Leider werden jedoch keine zusätzlichen Erklärungen, weder in einem Glossar noch in Fußnoten, angeboten. Dies ist zu kritisieren, da es sich um ein Buch für Jugendliche handelt, welche ohne zusätzliche Erklärungen Schwierigkeiten haben könnten, die Handlung einzuordnen. Für Jugendliche des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist es unvorstellbar, dass der Wunsch einer Fünfzehnjährigen nach kinnlangen statt schulterlangen Haaren einen Familienstreit bedeutet. Eine kurze Einführung in die Zeitgeschichte fehlt in diesem Buch. Dies verdeutlicht das folgende Zitat, wo eine kurze Erklärung zum Holocaust fehlt.

Regina kramt in ihrer Schultasche. Das ist gar nicht so einfach, weil sie sie auf dem Gepäckträger festgeklemmt hat wie morgens immer, wenn sie zur Schule fahren. Karin hat die Einkaufstasche an den Lenker gehängt.
„Sternkinder“, sagt Regina und hält es hoch. Das Buch ist gelb und zwei Kinder sind in schwarz darauf getuscht. Das sieht ganz komisch chinesisch aus. „Ich hab es mitgenommen, weil es so schön klingt irgendwie. Aber es hat gar nichts mit Sternen zu tun. Es ist, weil die Juden immer so einen Stern auf ihre Jacken nähen mussten. Und Mäntel.“
Karin überlegt, was sie davon schon mal gehört hat. „Das war im Krieg, oder?“, sagt sie. (S. 26)

Im Buch sind Passagen mit Alltagshandlungen und Reflexionen der Hauptfigur, unter anderem zum Verhalten ihrer Eltern im Zweiten Weltkrieg, stimmig miteinander verwoben, was das Zitat zeigt. Immer neue Ereignisse in Karins Alltag erzeugen dabei Spannung, die kürzeren Kapitel gliedern das Buch auch für Rezipient*innen mit geringer Lesefluidität in kurze, leicht zu bewältigende Abschnitte.

Die Figur Karin ist dabei Identifikationsfigur für Lesende, wobei es nur wenige Parallelen zur Lebenswelt Jugendlicher im einundzwanzigsten Jahrhundert gibt. Auch wenn sich Rezipient*innen möglicherweise gut in Auseinandersetzungen zu den Themen Mode und Make-up hereinversetzen können, sind doch viele Themen wie Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges, der Mauerbau in Berlin oder der Eichmann-Prozess für Lesende vom Alltag entrückt. Hier kann die Erzählung für Rezipierende durch die Identifikationsfigur Karin die Rolle dieser Ereignisse im Alltag der 1960er Jahre verständlicher machen.

Dennoch bietet Ringel, Rangel, Rosen eine ästhetisch interessante und lesenswerte Geschichte aus den 1960er Jahren, die Lesende auch zu eigenen Reflexionen anregen kann. Gerade für historisch interessierte Jugendliche verspricht das Buch eine spannende Lektüre, wobei Jugendliche mit wenig Geschichtsbewusstsein durch den fehlenden Kontext stellenweise Verständnisschwierigkeiten haben könnten.

Fazit

Das Buch ist für Lesende ab einem Alter von zwölf Jahren gut geeignet, da die Handlung mit vielen Impulsen des Lebens in den 1960er Jahren geschickt mit Reflexionen der Hauptfigur aufbereitet ist. Kürzere Kapitel stellen spannende „Lesehappen“ dar, sodass Jugendliche sich in kleinen Portionen mit einer ihnen fremden Lebenswelt auseinandersetzen können. Vielseitige historische Themen bieten insbesondere geschichtsinteressierten Jugendliche viele Möglichkeiten zur weiteren Beschäftigung mit den Themen der Erzählung.

Titel: Ringel, Rangel, Rosen
Autor/-in:
  • Name: Kirsten Boie
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Oetinger
ISBN-13: 978-3-8415-0149-3
Seitenzahl: 190
Preis: 7,95
Altersempfehlung Redaktion: 12 Jahre
Boie, Kirsten: Ringel, Rangel, Rosen