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Die Tribute von Panem: L - Der Tag bricht an ist das Prequel zur dystopischen Romantrilogie Die Tribute von Panem der amerikanischen Schriftstellerin Suzanne Collins und erzielte großen kommerziellen Erfolg. Die Verfilmungen trugen ebenfalls zur Popularität der Reihe bei und inspirierten eine Vielzahl dystopischer Jugendromane. Der Roman spielt 24 Jahre vor der Originalreihe und folgt einem bereits bekannten Charakter, Haymitch Abernathy. In der Trilogie fungierte er als Mentor der Protagonistin, Katniss Everdeen.

Die Handlung spielt in dem fiktiven Staat Panem, der vom autoritären Kapitol aus regiert wird und seine Rohstoffe aus den zwölf unterdrückten Distrikten zieht. Als jährliche Erinnerung an den fehlgeschlagenen Aufstand der Distrikte 50 Jahre zuvor, finden die sogenannten Hungerspiele statt. Diese dienen als unterhaltsames Showspektakel für das Kapitol, bei dem pro Distrikt jeweils ein Junge und ein Mädchen im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren als sogenannte Tribute in einem gewaltvollen Kampf ums Überleben gegeneinander antreten müssen. Die Spiele finden in einer gefährlichen, vom Kapitol kontrollierten Arena statt und werden in jedem Distrikt ausgestrahlt. Im Jubiläumsjahr müssen sogar doppelt so viele Jugendliche an den Hungerspielen teilnehmen. Einer davon ist Haymitch Abernathy, der jedoch nicht durch das übliche Losverfahren gezwungen wird als Tribut für Distrikt 12 anzutreten. Als der ursprünglich gezogene Kandidat bei einem Fluchtversuch erschossen wird, kommt es zu einem Aufruhr. In dessen Folge wird Haymitch als Ersatz bestimmt, nachdem er versucht hatte, seine Geliebte, Lenore Dove, vor sogenannten Friedenswächtern zu schützen.

Gemeinsam mit den Tributen seines Distrikts wird Haymitch ins Kapitol gebracht, wo sie trainieren und an Interviews teilnehmen, um Sponsoren zu gewinnen. Bei der Streitwagen-Parade stirbt die junge Louella aus seinem Distrikt, woraufhin Haymitch öffentlich Präsident Snow dafür verantwortlich macht – sein erster Rebellionsakt. Danach ist ihm klar, dass er in der Arena kaum eine Überlebenschance hat, was Snow in einem privaten Gespräch bestätigt.

Während der Vorbereitungen auf das Spiel schließen sich die Tribute aus den schwächeren Distrikten zu einer großen Allianz zusammen. Diese agieren als Gegenstück zu den „Karrieros”, Tributen aus Distrikten, die meist ihr Leben lang für die Hungerspiele trainieren. Gleichzeitig plant Haymitch, seine Zeit für einen Akt des Widerstands zu nutzen und während der Spiele die Arena zu sabotieren. Dieses Vorhaben nimmt durch die heimliche Unterstützung von Gewinnern vorheriger Spiele sowie dem Kapitol-Kameramann, Plutarch Heavensbee, zunehmend an Gestalt an.

Mit diesem Widerstand im Hinterkopf positioniert sich Haymitch innerhalb der Arena zunächst als Alleingänger, um seine Verbündeten zu schützen und seinen Plan zu verfolgen. Der weitere Verlauf der Spiele bringt jedoch unvorhergesehene Entwicklungen – und am Ende steht Haymitch vor den Konsequenzen einer Realität, die das Kapitol bestimmt.

Kritik

Ein zentraler Fokus des Romans liegt auf der staatlich manipulierten medialen Übertragung der Hungerspiele, die bereits früh im Text deutlich wird. Propaganda fungiert im weiteren Verlauf nicht nur als Instrument zur Machterhaltung, sondern etabliert sich zugleich als zentrales Thema, das die Figuren fortwährend unmittelbar betrifft und ihr Verhalten steuert.

Die teils detaillierten Darstellungen von Gewalt – wie etwa die Beschreibung des gewaltvollen Todes der Tribute, der Missbrauch von Kindern durch Drogen und die Erwähnung von öffentlichen Erhängungen und Suiziden – könnten auf junge Lesende verstörend wirken. Zwar werden diese Elemente auch als schockierend und grausam von den Figuren aufgefasst, gleichzeitig scheinen einige Szenen die Brutalität unnötig zu betonen und mehr zu einem Schockeffekt beizutragen als einer reflektierten Auseinandersetzung mit Gewalt. Hierbei stellt sich die Frage, ob solche drastischen Inszenierungen immer notwendig sind und nicht vom eigentlichen Anliegen des Textes ablenken. Manche traumatischen Erfahrungen werden von den Figuren zudem vergleichsweise zügig verarbeitet, als hätten sie kaum nachhaltige Wirkung. Am Ende jedoch wird die Gesamtwirkung dieser Erlebnisse durch Haymitchs Verhalten und seinen Alkoholmissbrauch deutlich.

Der Roman lässt sich zwar der Unterhaltungsliteratur zurechnen, ermöglicht jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen. Zwar mag die Darstellung des politischen und gesellschaftlichen Systems zunächst extrem wirken, ist jedoch in sich logisch geschlossen und zeigt eine Welt, die – abgesehen von den Sci-Fi Elementen – nicht komplett realitätsfern erscheint. Mit dem zusätzlichen Blick aus der Perspektive unterdrückter Protagonisten ist eine unkritische Auseinandersetzung mit dieser Welt fast unmöglich, wozu auch die intertextuellen Elemente wie Zitate von George Orwell beitragen.

Die Übersetzung ins Deutsche ist grundsätzlich gelungen und fängt die Atmosphäre und den Stil des Originaltextes konsistent ein. Nur gewisse Textstellen wirken in ihrer Übersetzung teils aufgesetzt und untypisch für Jugendliche. So fallen einige Formulierungen aus dem Rahmen des restlichen Sprachstils dieser Charaktere. Dies fällt beispielsweise beim wiederholten Liebesversprechen zwischen Haymitch und Lenore Dove auf: "Ich lieb dich lichterloh" – "I love you like all-fire" (S. 43). Auffällig sind zudem die kaum unterscheidbaren Sprechweisen zwischen erwachsenen und jugendlichen Charakteren.

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Liebesbeziehung zwischen Haymitch und Lenore Dove. Durch den Mangel an Interaktionen zwischen den beiden Charakteren innerhalb der Handlung wirkt die Darstellung ihrer Beziehung nicht komplett glaubhaft. Lenore Doves Charakterisierung ist hauptsächlich auf Haymitchs Erzählungen limitiert, wodurch sie eher einem romantisierten Handlungstreiber ähnelt, welcher Haymitch zu einer Rebellion inspirieren soll. Dabei wirkt sie für die Lesenden trotz der zahlreichen Beschreibungen seitens Haymitch nicht greifbar. Insgesamt liegt somit ein überhöhter Fokus auf der romantischen Beziehung, was jedoch konventionellen Genre-Merkmalen des Jugendromans entspricht und ggf. einer emotionalen Identifikation dienen soll.

Im Gegensatz dazu wirken andere relevante Figuren in ihrer Charakterisierung komplex und greifbar, wodurch die Beziehungsentwicklungen vor allem zwischen Haymitch und den anderen Tributen ebenfalls nachvollziehbar sind. Vor allem die Figur des Plutarch bietet durch ihre Position als wohlhabende einflussreiche Person des Kapitols eine Bereicherung für die komplexe Darstellung des autoritären Systems. Er steht symbolisch für den potenziellen Umsturz, muss sich jedoch den Regeln des Systems unterwerfen, was seine Rolle als heimlicher Verbündeter des Widerstands ambivalent erscheinen lässt. Ein besonders aufschlussreicher Moment ist eine Diskussion zwischen Plutarch und den Tributen, die die komplexe und widersprüchliche Dynamik von Widerstand unter einer repressiven Macht deutlich macht:

"Ich finde nicht, dass wir uns alles gefallen lassen", sage ich.
"Indirekt schon. Ihr akzeptiert die Bedingungen des Kapitols."
"Weil wir nicht sterben wollen!", sage ich wütend. "Kapieren Sie das nicht?"
"Doch, schon. Ich sehe, wie sie euch hängen, erschießen, aushungern, und ich sehe die Hungerspiele", sagt Plutarch.
"Trotzdem. Die Angst, die sie schüren, rechtfertigt doch nicht, dass wir alle diese Ordnung akzeptieren. Oder?" Wir starren ihn an. Er will uns nicht verspotten oder verhöhnen, die Frage ist ganz ernst gemeint. "Warum macht ihr da mit? Warum mache ich mit? Warum eigentlich haben alle immer mitgemacht?" Als keine Antwort kommt, zuckt er die Achseln. "Tja, darüber könnte man mal nachdenken."
(S. 134 - 135)

Diese Diskussion bringt zentrale Fragen zur Unterwerfung und Akzeptanz von Herrschaft auf den Punkt. Dabei zeigen sich jedoch in der deutschen Übersetzung einige Bedeutungsverschiebungen: Zum Beispiel suggeriert das englische Wort "submit" eine bewusste Unterwerfung, während "sich alles gefallen lassen" eher passives, beinahe alltägliches Nachgeben impliziert – fast so, als ginge es um weniger ernste Konflikte. Diese feinen Unterschiede in der Übersetzung mildern die politische Dimension der Unterdrückung ab. In der ursprünglichen Trilogie wirkte Plutarchs Rolle als Widerstandskämpfer aus den Reihen des Kapitols mitunter wenig überzeugend. Die erweiterte Beziehung zwischen ihm und Haymitch in diesem Roman liefert daher wichtiges Kontextwissen und verleiht dieser Handlungsebene deutlich mehr Plausibilität. Vor diesem Hintergrund erscheint sein Verhalten jedoch mitunter zu offensichtlich und riskant (wie im o.g. Zitat) – insbesondere, wenn man bedenkt, dass Plutarch noch weitere 24 Jahre unentdeckt bleiben konnte.

Mit Blick auf die Originalreihe wirken einige Charaktere eher konstruiert und führen zu narrativen Unstimmigkeiten, vor allem hinsichtlich der Beziehung zwischen Haymitch und Effie Trinkett. Im ersten Band scheint es so, als hätten sie kaum eine persönliche Beziehung zueinander. Das macht es überraschend und etwas befremdlich, da das Prequel nun eine seit 24 Jahren bestehende Bekanntschaft zwischen beiden Figuren behauptet, die so nicht im Original angelegt ist. Tatsächlich hätte die Handlung auch ohne die explizite Nennung von Effie kohärent funktioniert oder mit einer anderen Namensgebung vergleichbare Wirkung erzielt. Außerhalb der Originalreihe gewinnt ihre Figur jedoch in diesem Roman an Bedeutung, da sie die widersprüchliche Haltung der Kapitol-Bürger verkörpert: einerseits ein gewisses Maß an Empathie, andererseits die Rechtfertigung der Hungerspiele als Resultat erfolgreicher Propaganda – sie steht exemplarisch für das Leben innerhalb eines autoritären Regimes und bildet damit einen Kontrapunkt zu Plutarch.

Was die weiteren Charaktere betrifft, erscheint deren Einbindung mitunter etwas zu praktisch und zweckorientiert. Kleine "Easter Eggs" zu Katniss' und Peetas Familien wirken hingegen akzeptabel und realistisch eingebunden als nette Ergänzung für Fans.

Grundsätzlich ist das Buch auch ohne Vorkenntnisse weitgehend verständlich und funktioniert als eigenständiger Band gut. Der Epilog hingegen richtet sich primär an Fans der Reihe und kann für Neueinsteiger verwirrend sein. Gleichzeitig wirkt der Roman als Einzelband eher unvollständig, da das offene Ende ohne den erweiterten Kontext der Reihe als zu düster und wenig befriedigend empfunden werden könnte.

Fazit

Wie bereits die vorherigen Bände der Reihe, positioniert sich auch dieser Roman zwischen Jugend- und All-Age-Literatur. Während die politische Propaganda des Kapitols als zentrales Thema klar und durchgehend aufgearbeitet wird und somit eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragen ermöglicht, ist die Darstellung oft wenig subtil. Obwohl der Roman für Fans der Reihe interessante Einblicke in Haymitchs Vergangenheit bietet, bleibt der inhaltliche Mehrwert für die Gesamtentwicklung des Panem-Universums insgesamt begrenzt und geht somit nicht über das hinaus, was bereits in der ursprünglichen Trilogie behandelt wurde. Die Darstellung von Gewalt bleibt weiterhin ein kritischer Punkt. Die vom Verlag angegebene Altersempfehlung von 14 Jahren scheint angesichts der intensiven Gewaltszenen gerechtfertigt.

Titel: Die Tribute von Panem - L Ein Tag bricht an
Autor/-in:
  • Name: Suzanne Collins
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Sunrise on the Reaping
Übersetzung:
  • Name: Sylke Hachmeister
  • Name: Peter Klöss
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2025
Verlag: Verlag Friedrich Oetinger
ISBN-13: 978-3751207164
Seitenzahl: 464
Preis: 26,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 14 Jahre
Collins, Suzanne: Die Tribute von Panem - L