Inhalt

Marlene lebt mit ihren Hippieeltern in einer Art Kommune auf einer Kanadischen Insel. Das Mädchen ist anders als die anderen Kinder: Anstatt zu Hause unterrichtet zu werden, besucht sie lieber eine öffentliche Schule, zu der sie einen langen Schulweg auf sich nimmt, sie repariert kaputte Glühlampen und arbeitet seit ihrem 10. Lebensjahr als Kellnerin im "Café zur glücklichen Ziege", um Haushaltsgeld zu verdienen, mit dem sich die Familie über Wasser halten kann, wenn der Verkauf von selbstgebasteltem Schmuck der Eltern einmal nicht so gut läuft. Das Geld geben die Eltern aber lieber für nutzlose Sachen aus, statt Marlene z. B. weiße Schuhe zu kaufen, damit sie Prinz Charles treffen kann, der ihre Schule besuchen und Preise für gute schulische Leistungen, u.a. auch an Marlene, überreichen wird.

Beim Lichterfest Luminara, das in der Kommune gefeiert wird, werden Marlenes Eltern von kriminellen Füchsen entführt, die die Fabrik "Fanny Fuchs' Dosenhasen und Nebenerzeugnisse" eröffnen wollen, um Hasen in Dosen zu verkaufen. Da die Rezepte in einer Geheimschrift verfasst und die Autorin der Rezeptkarten verstorben ist, brauchen die Füchse jemanden, der die Geheimschrift entziffern kann. Und da Marlenes Onkel Runyon als Codeknacker für die kanadische Regierung arbeitet, wollen die Füchse aus Marlenes Eltern dessen Adresse herauspressen. Als sich diese jedoch nicht erinnern können, entführen sie sie und lassen eine Notiz für Marlene zurück.

Zeitgleich leben nicht weit entfernt Herr und Frau Hase eingeführt, die sich gerade ein neues Häuschen in Rabbitville gekauft haben, und die auf Frau Hases Initiative beschließen, Detektive zu werden. Als Marlene die Notiz von der Entführung ihrer Eltern und eine der Rezeptkarten findet, macht sie sich auf den Weg zu ihrem Onkel Runyon und zeigt ihm die verschlüsselten Nachrichten. Doch bevor er die Rezeptkarte entschlüsseln kann, fällt er krankheitsbedingt in Ohnmacht. Glücklicherweise treffen Herr und Frau Hase im Garten des Schlosses von Runyon auf Marlene und bieten ihr sofort ihre Hilfe an. 

Ein turbulentes Abenteuer beginnt, bei dem ein Knoblauchbrot liebendes Murmeltier die drei böse austrickst und auch noch Marlene entführt, die Hases einen Anschlag der Füchse auf die Hasenpopulation von Rabbitville aufklären können, schließlich Marlene und ihre Eltern befreien und schlussendlich noch Marlenes größten Wunsch erfüllen: Sie bekommt weiße Schuhe – von Frau Hase aus gebrauchter Zahnseide gestrickt –, damit sie Prinz Charles treffen und ihren Preis entgegennehmen kann.

Kritik

Die Geschichte von Polly Horvath, die im Bereich der Fantastik anzusiedeln ist, und die sowohl durch schrullig-sympathische Charaktere als auch durch sprachliche Raffinesse besticht, lässt einen ernsten Hintergrund erkennen. Das Eltern-Kind-Verhältnis wird hier offensichtlich umgekehrt: Marlene ist die Vernünftige, die, die immer aufpasst, die Geld für den Haushalt verdient und eigentlich ein ganz normales Leben will, während ihre Eltern als Tagträumer geschildert werden, die die Wünsche ihrer Tochter missachten oder gar als unwichtig abtun. Der Verantwortungslosigkeit der leiblichen Eltern wird das Verantwortungsbewusstsein von Herrn und Frau Hase gegenübergestellt, die sogar für Marlene ein kleines Haus in ihrem Garten bauen, da Marlene nicht durch die Tür des Hasenhäuschens passt, und die sich wirklich um Marlene sorgen, als diese verschwunden ist. Erst durch das Behütetwerden von Herr und Frau Hase erfährt Marlene was es heißt, wenn sich jemand um sie sorgt und kümmert und selbst Freiheiten entdecken kann, die ihr bei ihren Eltern (noch) verwehrt bleiben.

Damit einhergehend findet eine Umkehrung statt zwischen dem Leben der Menschen und dem der Tiere: Während Marlene mit ihren Eltern abgeschieden in einer Art Hippiekommune lebt, sind Herr und Frau Hase ganz bürgerlich in eine kleine Stadt gezogen und haben ein Häuschen samt dazugehörigem Auto erworben, so dass sie damit auch Marlene durch Rabbitville kutschieren können. Besonders Frau Hase erscheint herrlich spießig, wenn sie dem örtlichen Hutclub beitritt und an der Hutparade teilnehmen will, die alljährlich stattfindet und in diesem Jahr nach Comox verlegt wird, um Prinz Charles zu beehren, der dort Marlenes Grundschule besucht.

Die Normalität, die Marlene in ihrem eigenen Elternhaus nicht hat, findet sie in einer Welt voller Tiere, mit denen sie sprechen und reden kann. Die gegenseitige Kommunikation, die hier gelingt, ist mit ihren Eltern nicht möglich, da diese nicht auf Marlene eingehen und sie nicht verstehen, wie Marlenes Mutter auch freimütig zugibt, als Marlene sagt, sie möge Onkel Runyon: "'Ich auch', sagte ihre Mutter kopfschüttelnd. 'Aber verstehen tu ich euch beide nicht.'" (S. 19)

Polly Horvaths Kinderbuch besticht neben den skurrilen Figuren v.a. durch intertextuelle Bezüge, die das Buch auch für einen erwachsenen Leser unterhaltsam machen. So wird beispielsweise auf Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil hingewiesen, den sowohl Marlene gelesen hat – immerhin zwei Mal, wie sie stolz betont –, der aber auch in der Hasenwelt bekannt sein muss, immerhin ist hier ein Autor bzw. eine Autorin namens Mümmel Austen bekannt, "wo Hasen in großen Parks von großen Schlössern wohnen" (S. 29). Auch Agatha Christies Romane werden zitiert: Marlenes Onkel bescheinigt ihnen "praktische, lebensnahe Tipps" (S. 54). Auch Humphrey Bogart und dessen Hüte spielen eine Rolle, wie er "sie als Privatdetektiv getragen hat!" (S. 63) und implizit auch die Star Wars-Filme, wenn Herr Hase sich sein Plastik-Laserschwert wünscht, als sie das Gelände um das Schloss erkunden, wo Runyon lebt (vgl. S. 75). Das macht die Bücher nicht nur lesenswert für Kinder, denen neue Anreize geboten werden, sondern auch für Erwachsene, die diese intertextuellen Referenzen wohl eher erkennen, als es ein kindlicher Leser vermag.
Auf einer metareferenziellen Ebene wird zudem Bezug genommen auf die Gattung der Kinderbücher selbst, die v.a. von Herrn und Frau Hase gelesen werden: "Und wir lesen viel. Vor allem Kinderbücher, denn da steht viel mehr Wahres drin als in Erwachsenenbüchern. Außerdem sind sie lustiger […]" (S. 82). Und auch Märchen- und Sagenmotive lassen sich finden, z. B. mit dem listigen Fuchs oder dem sprechenden Hasen.

Eingeflochten werden zudem Begrifflichkeiten aus dem Geschäftsleben Erwachsener. So beschließen Herr und Frau Hase z. B., für Marlene "pro bono […] [,also] kostenlos" (S. 91) zu arbeiten und es wird auch erzählt, dass Herr Hase in seiner Zeitschrift Waldtierwissen Artikel liest über "archäologische Ausgrabungen auf den Spuren altrömischen Hasenlebens oder [über] die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Genomforschung" (S. 104). Auch hier wird ersichtlich, dass die Hasenwelt nach den Mechanismen der Menschenwelt funktioniert und dem Leser somit wesentlich vertrauter erscheint, als das Leben, das Marlene bei ihren Eltern führen muss.

Erwähnung finden muss auch die sprachliche Gestaltung der Geschichte. So sind es nicht nur die sprachlichen Eigenheiten der Protagonisten, die herrlich skurril sind – so drohen die Hases immer wieder von Hölzchen auf Stöckchen zu kommen, nur um dann wieder zum eigentlichen Gesprächsthema zurückzukommen –, auch die Formulierungen selbst sorgen für Humor: "Wenn die mich in dem hübschen schwarzen Kleid und meinen feinen High Heels sehen, kommen sie gar nicht mehr dazu, dich zu verhaften – vor lauter Grübeleien, warum so eine elegante Häsin so einen Penner wie dich geheiratet hat" (S. 185), wie Frau Hase trocken feststellt, als beide vor den Hasenrat müssen, da sie angeklagt werden, mit einem Murmeltier und einem Menschen in Kontakt gestanden zu haben.

Fazit

Mit Herr und Frau Hase – Die Superdetektive ist Polly Horvath ist ein fantastischer Roman für Kinder ab ca. 8 Jahren gelungen. Trotz der amüsanten Geschichte beinhaltet sie einen ernsten Kern, der sich um das Verantwortungsbewusstsein dreht, das Eltern ihren Kindern gegenüber haben, um Kindern Freiräume zu ermöglichen, damit Kinder Kinder sein können.

In der Nominierung zum Jugendliteraturpreis 2014 in der Sparte "Kinderbuch" heißt es von der Jury zu Herr und Frau Hase – Die Superdetektive: "Polly Horvath hat hier einen überaus vielschichtigen phantastischen Kinderroman vorgelegt, der kräftig von ihrer Virtuosität als realistische Erzählerin profitiert. Das überbordende Spiel mit Sprachvarietäten, die zahlreichen Sprachspiele und Wortschöpfungen stellen eine Herausforderung für dessen Übersetzung dar, die Christiane Buchner bravourös gemeistert hat. In ihrer skurrilen Detailfreude tragen die ganzseitigen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Sophie Blackall das Ihre zum Lesevergnügen bei – auch indem sie den ohnehin schon beträchtlichen intertextuellen Horizont des Buchs erweitern."

Literatur/Quellen

http://www.djlp.jugendliteratur.org/kinderbuch-2/artikel-herr_und_frau_hase-3903.html

Titel: Herr und Frau Hase – Die Superdetektive. Von Frau Hase
Autor/-in:
  • Name: Horvath, Polly
Originalsprache: Englisch
Originaltitel: Mr. and Mrs. Bunny - detectives extraordinaire!
Übersetzung:
  • Name: Christiane Buchner
Illustrator/-in:
  • Name: Sophie Blackall
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Aladin
ISBN-13: 978-3-8489-2019-8
Seitenzahl: 254
Preis: 12,90 €
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Horvath, Polly: Herr und Frau Hase – Die Superdetektive. Von Frau Hase