Inhalt

"Konstantin stotterte. Er wie-wie-wiederholte leise Laute. Er scheute sich vor großen Worten, weil er sie nicht beherrschte. Er traute sich keine langen Sätze zu, weil er nicht wusste, wo sie enden würden" (S. 7), so stellt Martin Heckmanns seinen jungen Helden vor. Als dieser das Lied eines Mädchens im weißen Kleid hört, macht er sich auf, um die Sängerin zu suchen. Auf Umwegen gelangt er schließlich zu jenem Ungeheuer, das sie gefangen hält. Nachdem er das Mädchen, das er O nennt, befreit hat, nimmt er sie mit nach Hause und stellt sie seiner Mutter vor. Zwar kann diese die Freundin ihres Sohnes nicht sehen, erkennt aber, dass sie ihm guttut: "Jedenfalls fallen mir die Worte ganz leicht, wenn O in meiner Nähe ist" (S. 74), bestätigt Konstantin. Seine Wanderung in den Wörterwald ist aber auch damit verbunden, dass er eine Geschichte schreibt, die zu seiner Geschichte wird; Sprache und Literatur haben in Heckmanns' Text eine exponierte Funktion.

Kritik

"Dies ist keine Pfeife", schreibt René Magritte unter sein Bild einer Pfeife, weil man eine gemalte Pfeife nicht rauchen kann. In der Literatur ist es genauso: Konstantin wundert sich, dass er, als er aus einem Fluss steigt, nicht nass ist. "Das Wort Wasser macht nicht nass, schrieb er in sein Buch, weil er die Erkenntnisse seiner Reise festhalten wollte" (S. 34). Solche Überlegungen sind es, die Martin Heckmanns' erstes Kinderbuch interessant machen und die wohl dazu geführt haben, dass es für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 nominiert wurde. Bekannt geworden ist Heckmanns als Dramatiker mit Stücken wie Schieß doch, Kaufhaus! (2002), Das wundervolle Zwischending (2005) oder Es wird einmal (2013), und auch in seinen Theatertexten geht er von der Sprache aus und untersucht Wörter auf ihren Klang, ihren Rhythmus, ihre Bedeutung und ihr wortspielerisches Potential. Diese Vivisektion der Sprache setzt Heckmanns in seinem ersten Kinderbuch fort, wenn er Konstantin in den Wörterwald schickt, wo "Lettern" zu "Leitern" werden und wo er seinen neuen Berufswunsch definieren kann: "Ein Schriftsteller stellt die Schrift. Er jagt Worte und fängt Einfälle auf" (S. 21).

Die Erzählung variiert das Schema jener Geschichten über Ritter, die Prinzessinnen vor Ungeheuern retten, dazu jeweils eine Prise modernes Märchen und Kinder-Mut-mach-Buch. Die Handlungsentwicklung ist nicht frei von stimmungsvoll-mäanderndem Dahinplätschern, und Formulierungen wie "Er fühlte sich aufgehoben in der Musik des Waldes" (S. 52) gehen nur haarscharf am Sentimentalitäts-Stigma vorbei. Was den Text hingegen auszeichnet, sind die literaturtheoretischen und sprachphilosophischen Betrachtungen. Konstantin stellt sich die Wirklichkeit wie einen Schulhof vor, bunt und grell. Und weil er sich sein Leben von der Wirklichkeit nicht vorschreiben lassen will, bricht er auf, nimmt sein weißes Notizbuch mit und schreibt sein Leben als Geschichte. Dabei macht er wie nebenbei sehr erhellende Beobachtungen über ganz grundlegende Fragen der Fiktionalität. Er bricht bewusst mit der Alltagslogik, wenn er nach der Begegnung mit einem Aal und einer Alge nun eine Bachstelze oder einen Bären erwartet, weil im Wörterwald die Fauna selbstverständlich alphabetisch sortiert ist. Und selbst das Böse lässt sich hier durch Sprache bannen:

Konstantin zähmte das Ungeheuer, indem er es beschrieb. Er machte es klein mit jedem Satz, in den er das Untier zerlegte. Seine Beschreibung teilte das Ungeheuer in Eigenschaften. Und so verlor es das Ungeheure (S. 49).

Mut gewinnt Konstantin, der unsichere und schmächtige Junge mit den großen Ohren, zunächst dadurch, dass er sich schreibend verdoppelt, er existiert gleichermaßen in der Binnen- wie in der Rahmenhandlung, in der Geschichte, die er erlebt, und jener, die er schreibt. Dass die beiden Erzählwelten dadurch verschwimmen und sich nicht immer eindeutig trennen lassen, macht einen weiteren Reiz des Textes aus. "Wer in einem Buch lebt, der hat ein Leben mehr, dachte sich Konstantin und schrieb seinen Namen erneut in das Buch, um sich sicher darin zu sein" (S. 16). Hin und wieder erinnert er an die literarischen Ästheten der Jahrhundertwende, die ihr Leben als Buch lesen und sich selbst beim Leben zuschauen. Außerdem erkennt Konstantin einen zentralen Unterschied zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit, der seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, zusätzlich anspornt: "Niemand würde später lesen können, wann er gestottert hatte beim Schreiben" (S. 21).

In der Absicht, Konstantin als Überwinder seiner Ängste vorzuführen, scheut sich Heckmanns auch nicht vor hehren Patenschaften, denn im Wörterwald schreibt Konstantin nicht nur seine eigene Geschichte, sondern wird auch mit Sentenzen aus der Literatur konfrontiert. "Dieser Eingang ist nur für dich bestimmt. Geh jetzt hinein, bevor er ihn schließt" (S. 60), flüstert die Fliege Namenlos, die offensichtlich eine profunde Kafka-Kennerin ist und die Türhüterparabel aus Der Process fast fehlerfrei wiedergibt. Die nicht unbedingt kafkaeske, aber dennoch bedrohliche Situation, in der sich Konstantin befindet, führt jedoch zu einem guten Ende. Allerdings bleibt unklar, ob es das singende Mädchen O und die Reise durch den Wörterwald wirklich gibt. Immer wieder fragt man sich, wie wirklich diese literarische Wirklichkeit ist. Und obwohl sich der Erzähler mit allen auktorialen Federn schmückt und sich am Schluss im Namen Konstantins bei den Leserinnen und Lesern für ihre Geduld bedankt, ist er alles andere als glaubwürdig. Denn von jener Figur, die im ersten Satz der Erzählung ganz selbstverständlich als Konstantin eingeführt wird, erfährt man kurz darauf ebenso selbstverständlich, dass sie keineswegs so heißt. "Aber von der Wirklichkeit wollte er sich seine Geschichte nicht vorschreiben lassen" (S. 13), sagt der Erzähler an anderer Stelle über die Titelfigur.

Auch Anne und Johann, das Paar in Heckmannsʼ Theaterstück Das wundervolle Zwischending, betrachten sich selbst als Kunstwerk und kommen zu dem Schluss: "Aufgabe der Kunst ist es, die Wirklichkeit unmöglich zu machen." Das gelingt in Konstantin im Wörterwald ganz ausgezeichnet, denn auch der Wörterwald ist – wenngleich völlig anders konnotiert als im Stück – ein Zwischending zwischen Kunst und Wirklichkeit, und Konstantin ist in beiden gleichermaßen beheimatet. "Und weil die Wirklichkeit ein Schulhof war und Konstantins Gedanken Gitter überwinden konnten und weil er selber bestimmen wollte, wohin es ging mit ihm, deshalb schrieb sich Konstantin eine eigene Geschichte" (S. 13).

In den Bildern, mit denen Stefanie Harjes den Text illustriert, haben Sprache, Wörter und Buchstaben dementsprechend eine zentrale Bedeutung, sie machen in Rot und Schwarz den Eintritt in die Kunstwelt des Wörterwaldes perfekt. Und wenn Konstantin auf einer der ersten Abbildungen in ein Reihenhaus mit qualmenden Schornsteinen und endlosen Treppen gezwängt dargestellt wird, sitzt schon ein Geiger auf dem Dach – offensichtlich eine Leihgabe aus der Bilderwelt Marc Chagalls – und weist ebenfalls auf die Kunst als möglichen Ausweg hin.

Fazit

Konstantin im Wörterwald ist keine leichte Kost, auch die Buchgestaltung im alternativen Papp-Design richtet sich eher an die (kaufenden) Eltern als an die (lesenden) Kinder. Gleichwohl können sich Kinder ab 10 – so die berechtigte Altersempfehlung des Verlags – mit Konstantin durchaus in die Welt der Wörter begeben, die sich am ehesten beim lauten Lesen oder Vorlesen erschließt. Es ist sicher nicht das Raffinement der Handlung, das dieses Buch heraushebt, sondern die Möglichkeit, sich der Phänomene Fiktionalität, Sprache und Literatur auf eine faszinierende und fantastische Weise anzunähern – nicht belehrend oder theoretisierend, sondern fantasievoll und mit großem spielerischem Vergnügen.

Titel: Konstantin im Wörterwald
Autor/-in:
  • Name: Heckmanns, Martin
Illustrator/-in:
  • Name: Stefanie Harjes
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2014
Verlag: Mixtvision Verlag
ISBN-13: 978-3-944572-11-6
Seitenzahl: 77
Preis: 17,90 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Heckmanns, Martin: Konstantin im Wörterwald