Inhalt

Die 15-jährige Furia Salamandra Faerfax lebt zurückgezogen mit ihrem Bruder Pip und ihrem Vater Tiberius sowie einigen Bediensteten in einer alten Residenz in England. Die kleine Familie hütet ein Geheimnis: Sie ist Teil einer magischen Welt der Bibliomantik, die von lebenden Origami, kämpfenden Schnabelbüchern und Bibliomanten bewohnt wird. Diese Zauberer speisen ihre Magie aus der Liebe zu Büchern und jeder einzelne besitzt ein Seelenbuch, aus dem er seine Kraft schöpft. Kontrolliert von der adamitischen Akademie haben sich die Menschen der bibliomantischen Gesellschaft in Refugien zurückgezogen, in denen sie, abgeschottet von der restlichen Welt, existieren.

Doch eine große Gefahr droht den Bibliomanten: Wenn Furia und ihr Vater nicht die Entschreibung aller Bücher verhindern, bedeutet dies das Ende der Büchermagie. Und als ob diese Bürde nicht groß genug wäre, sind ihnen die Agentin Isis Nimmernis, die "Umgarnte“ und Mater Antiqua auf den Fersen. Und was hat es mit den Exlibri auf sich, die als Figuren aus Romanen in die reale Welt stürzen?

Kritik

Dass Kai Meyer das Talent besitzt, fantastische Welten aus dem Nichts zu schaffen, ist keine Neuheit: Seit den 1990er Jahren verfasst der Schriftsteller Romane für Jugendliche und junge Erwachsene – meist als Teil größerer Reihen. Und dies gilt auch für die Seiten der Welt. Eine sprechende Leselampe hier, eine Teleportation von einer Seite der Erdkugel auf die andere mithilfe eines Sprungbuchs dort: Anstatt die fantastische Welt der Bibliomantik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart hin zu erklären und die Leserschaft dann in das beschriebene Setting hineinzuführen, präsentiert der Autor stattdessen mit konkreten Bildern einzelne Phänomene der unbekannten Welt. So sieht man beispielsweise Auszüge aus Furias Lieblingsroman in Bildern auf ihrer bibliomantischen Tapete erscheinen, während das Mädchen in ihrem lebendigen Lesesessel die entsprechenden Kapitel liest – ohne dass irgendetwas an dieser Szene als unnormal dar- oder gar in Frage gestellt wird. Durch diese Erzählweise erlebt der Leser, bevor er sich versieht, ein Universum, das sich einerseits allem Bekannten entzieht und andererseits doch vertraut wirkt.

Neben all der Fantasie und dem elaborierten Hintergrund der Romanwelt bleibt der Spannungsbogen jedoch auf der Strecke: Protagonisten werden über mehrere Kapitel eingeführt, bevor sie dann plötzlich aus der Geschichte verschwinden. So besitzen die Hausangestellten, wie der Hausmeister Wackford oder das Hausmädchen Pauline, für den weiteren Verlauf der Geschichte scheinbar eine tragende Rolle. Doch bevor sie diese Rolle in irgendeiner Weise ausüben können,  sterben sie, ohne dabei eine besondere Funktion erfüllt zu haben. Ebenso unausgearbeitet wirken die Beziehung zwischen Furia zu ihren Widersacherinnen, deren Konflikt die Handlung vorantreiben soll: Die Hauptfigur begegnet einige Male ihren Antagonistinnen Isis Nimmernis und Mater Antiqua, ohne dass hierbei die Spannungskurve nach oben ansteigt. Ziemlich unvermittelt findet dann der finale Showdown statt, der den bis dahin kaum ausgearbeiteten Konflikt zwischen den Akteuren auflöst.

Die Mängel der Dramaturgie macht Kai Meyer jedoch durch seinen Ideenreichtum wieder wett. Immer wieder schafft der Autor es, die Leser mit innovativen Plot-Twists zu überraschen: Dies ist nicht zuletzt durch die Figur des Severin Rosenkreuz und dessen Fähigkeiten möglich, mit Furia über die Grenzen der Zeit hinweg zu kommunizieren und durch seine Magie die Realität zu beeinflussen. Auch die Tatsache, dass sich Isis Nimmernis im Laufe der Geschichte durch Furias Einwirken in die Vergangenheit in eine Exlibra verwandelt, die sogar ihr eigenes Seelenbuch ist, verleiht den Seiten der Welt an einigen Stellen schon fast philosophische Züge: 'Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Und was ist eigentlich der Mensch?' Jene philosophischen Gedanken machen das Buch aber auch zu einer Lektüre, die ihren Lesern einiges an mentaler Energie abverlangt, die einige jedoch wahrscheinlich (noch) nicht aufbringen können. Der vorliegende Doppelsinn macht diese Geschichte zu einem "All-Age"-Roman, der verschiedene Lesergruppen auf unterschiedlichen Niveaus anspricht.

Der Roman endet, indem es Furia gelingt, die Antagonisten zu besiegen und die Entschreibung aller Bücher (vorerst) zu verhindern. Die Handlung ist damit abgeschlossen und dennoch ist klar, dass lange noch nicht alle Geheimnisse der bibliomantischen Welt gelüftet sind. Damit macht die Geschichte Lust auf Fortsetzungen und darauf, das Abenteuer von Furia Salamandra Faerfax weiter zu begleiten.

Fazit

Die Seiten der Welt ist ein klassischer Fantasy-Roman, der vielen Lesern des Genres gefallen wird. Auch wenn das Geschehen an der einen oder anderen Stelle schleppend voranzuschreiten scheint, vermag der Autor die Leser durch überraschende Handlungsmomente zu überzeugen. Da die Geschichte in ihrer Kontinuität relativ schlicht gehalten ist, aber neben vielen actionreichen Szenen auch komplexe Ideen beinhaltet, ist das Buch nicht für Leseanfänger, jedoch aber für Kinder ab 10 Jahren geeignet. Insgesamt ein gelungenes Werk für Freunde der Phantastik und jene, die es werden wollen.

Titel: Die Seiten der Welt
Autor/-in:
  • Name: Meyer, Kai
Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Erscheinungsjahr: 2014
Verlag: Fischer
ISBN-13: 978-3-596-19852-8
Seitenzahl: 556
Preis: 10,99€
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Meyer, Kai: Die Seiten der Welt (Bd. 1)