Inhalt

Das 108-seitige Kinderbuch dreht sich um den sechsjährigen Erstklässler Anton, der mit seiner Mutter in der Margaretengasse 56 irgendwo in Deutschland lebt. Anton verfügt genau wie seine Freunde über sehr viel Zeit. Seine Mama allerdings hat – aus Antons Sicht – so gut wie nie Zeit, was besonders morgens vor der Schule regelmäßig für Probleme sorgt. Obwohl Anton versucht, alles richtig zu machen, wird seine Mutter von Tag zu Tag gereizter: Am ersten Tag knabbert er sein Frühstücksbrot wie ein Kaninchen zurecht, weil er ganz ordentlich aufessen soll. Am zweiten Tag seift er beim Duschen seinen kompletten Körper mit Schaum ein, damit er ganz und gar sauber ist. Am dritten Tag möchte er einen Farbtag machen und sucht sich alle Kleidungsstücke sorgfältig in genau derselben Farbe heraus. Alles Dinge, die sehr viel Zeit benötigen - am Ende jedoch die Mutter wütend machen, weil Anton mal wieder die Zeit vergessen hat. Nebenfiguren wie die Mutter von Antons bester Freundin Marie hetzen hingegen von einem Termin zum anderen: Chinesisch-Unterricht, Turnen und Diskussionsklub sind nur einige der Dinge, die Marie in ihrer Freizeit erledigen muss, sodass kaum mehr Zeit zum Spielen mit Anton bleibt. Seine Horterzieherin möchte in kurzer Zeit ganz viele Aufräumarbeiten auf einmal erledigen und der Busfahrer ist sehr ungeduldig mit den Schulkindern.

Nach und nach häufen sich bei Anton so einige Fragen rund um das Thema Zeit an: Warum haben Erwachsene nie Zeit? Haben Menschen mit wenig Zeit, immer schlechte Laune? Oder: Warum hat man weniger Zeit, obwohl man sich mehr Zeit nimmt? Anton bemerkt, dass sein Opa der einzige Erwachsene ist, der genauso viel Zeit hat wie er. Und so geht er auf der Suche nach Antworten auf seine Fragen zu ihm. Zusammen finden sie die Lösung: Kinder haben immer Zeit, weil sie die Uhr nicht lesen können. Und Erwachsene haben oft wenig Zeit, weil sie die Uhr lesen können. Doch es ist trotzdem nichts Schlimmes, die Uhr zu kennen. Denn das Wichtigste ist es, sich für die bedeutenden Dinge Zeit zu nehmen. Und Zeit nehmen kann man sich nur, wenn man die Zeit auch kennt. Deshalb bekommt Anton im letzten Kapitel zu seinem Geburtstag zwei Armbanduhren geschenkt: Eine funktionierende Uhr für die Wochentage und eine still stehende Uhr für das Wochenende – denn Samstag und Sonntag soll Anton auch weiterhin so viel Zeit haben, wie er möchte.

Kritik

Inhaltlich behandelt Anton hat Zeit Themen, die für Grundschüler sehr bedeutend sind: Mit den Freunden spielen und gemeinsam lustige Abenteuer erleben, die Eltern glücklich machen und gleichzeitig die eigenen Grenzen austesten, genau wie Antworten auf Fragen bekommen, um die Welt besser zu verstehen. Dabei geht es nicht nur um die Zeit, die entweder rasend schnell vorbei geht oder sich ganz lang ziehen kann, sondern auch um Empfindungen wie Wut, schlechtes Gewissen und generelle Missverständnisse zwischen Kindern und Erwachsenen.

Durch die personale Erzählperspektive erfährt der Leser aus den Augen des Schulkindes Anton dessen Alltagsleben und seine kindliche Sicht- und Denkweise auf die (Erwachsenen-)Welt. Dabei überwiegen für ein Kinderbuch ungewöhnlich realitätsnahe und nachvollziehbare Darstellungen. Alltagsprobleme wie Stress oder das Fehlen einer Vaterfigur werden weder unnötig simplifiziert noch geschönt. Immer wieder stellt sich die Frage, ob all diese Herausforderungen nicht durch besseres Zeitmanagement gelöst werden könnten. Dennoch schafft es das Buch, eine positive und witzige Grundstimmung zu transportieren. Es werden kleine Alltagspannen gezeichnet, kreative Kinder-Fantasien und liebenswerte Rituale wie das gemeinsame Singen mit der Mutter.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die grafische Gestaltung des Buches. Zahlreiche fantasievolle freche und bunte Illustrationen veranschaulichen die 16 Buchkapitel in einem ganz eigenen Stil. Die weit auseinanderstehenden Augen der gezeichneten Figuren haben hohen Wiedererkennungswert. Zudem werden kleine Details aus dem Buchtext aufgegriffen und überspitzt gezeichnet. Auf jeder Seite gibt es etwas zu entdecken. Kreativ gestaltete Kapiteleinleitungen, vermeintlich von Anton ins Buch gemalte Kritzeleien oder zusätzliche Denkblasen zu einzelnen Absätzen machen das Buch zu einem Lesevergnügen, lockern die Geschichte auf und bringen den Leser zum Schmunzeln.

Selbst mit kindlich einfachem Sprachstil versteht es die Autorin neben den Kindern auch die erwachsenen Leser zu berühren und zum Nachdenken anzustoßen. Es ist ein Buch für alle Altersgruppen. Die Fragen zum Thema "Zeit" am Ende eines jeden Kapitels sind tiefgreifend und nahezu philosophisch. Beispielsweise fragt sich Anton, ob seine Mutter mehr Zeit hat, wenn sie gute Laune hat oder ob sie hingegen gute Laune hat, wenn sie viel Zeit hat. Der Leser wird dazu angeregt, den eigenen Tagesablauf und die persönliche Wirkung auf Kinder zu überdenken – denn wer will schon immer gestresst und unglücklich wirken? Somit kann das Buch auch als eine Form von Kritik an Eltern gedeutet werden bzw. als Aufforderung, sich mehr mit der kindlichen Sicht auf das Leben zu beschäftigen.

Fazit

Die Geschichten von Anton und seiner Mutter scheinen wie aus dem Leben gegriffen, sodass sich jeder Leser darin wiederfinden kann. Die verschiedenen Episoden sind ebenso liebevoll und witzig geschrieben, wie auch gestaltet. Der aufmerksame Leser bemerkt schnell, dass hier eine sehr kreative Autorin und Illustratorin mit Sinn für Details am Werk war. Gleichzeitig regt das Kinderbuch junge wie alte Leser dazu an, den Zeitbegriff für sich neu zu definieren.

Empfehlenswert ist Anton hat Zeit als Vorlesebuch für Kinder ab 6 Jahren. Zum Selbstlesen ist es für ABC-Schützen hingegen noch nicht geeignet, da es viel Text in relativ kleiner Schriftgröße bietet. Durch die gelungene Mehrfachadressierung werden aber auch Erwachsene viel Spaß beim Durchblättern dieses Gesamtkunstwerkes haben.

Titel: Anton hat Zeit - Aber keine Ahnung, warum!
Autor/-in:
  • Name: Haberstock, Meike
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2015
Verlag: Oetinger-Verlag
ISBN-13: 378-9-137294
Seitenzahl: 112
Preis: 12,99 €
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Haberstock, Meike: Anton hat Zeit - Aber keine Ahnung, warum!