Inhalt

Emil ist neun Jahre alt und hält sich selbst für einen "ganz normalen Jungen"(S. 5). Doch was ist normal? Diese Frage nach der Normativität schwingt mit, als er sich plötzlich in Florine verliebt, die neu in seine Klasse kommt. Dass es sich um Verliebtheit handelt, ist Emil zunächst gar nicht klar bzw. er nennt es nicht Liebe: Wie soll er auch? Er war ja noch nie verliebt. Er ist nur sofort völlig durcheinander, als Florine den Klassenraum betritt, ihm klopft das Herz, es kribbelt im Bauch, er ist vollkommen verwirrt: alles Indizien der Liebe auf den ersten Blick. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass Florine ins Nachbarhaus eingezogen ist. Emil folgt ihr, sucht den Kontakt, stolpert aber über die eigenen Worte, denn seine Gefühle machen ihn sprachlos. Nur mit seiner Oma kann er darüber reden. Sie wohnt in der Wohnung über ihrem Enkel, raucht eine Zigarette nach der anderen und ist für Emil die einzige Ratgeberin in Sachen Verliebtheit. Regelmäßig besucht Emil seine Großmutter und vertraut sich ihr an. Und zum Glück tut sich auch was zwischen Emil und Florine. Sie bricht seine Sprachlosigkeit, indem sie ihm ein Spiel vorschlägt: Florine ist die Prinzessin, und Emil ist ihr Diener. Emil ist erleichtert und froh. Für ihn ist das eine wunderbare Lösung, um Florine nah zu sein. Die Diener-Rolle schützt ihn und gibt ihm Worte: Er nennt sie von nun an „Prinzessin Florine“, trägt ihren Ranzen, spitzt ihre Stifte und erfüllt ihr jeden Wunsch. Eine Zeit lang geht das gut, Emil und Florine kommen sich im Rahmen ihres Spiels immer näher, doch dann will Florine auf einmal mit Alexander gehen. Emil sei ja nur ihr Diener. Zerfressen von Eifersucht, fragt der sich: Kann sich eine Prinzessin in ihren Diener verlieben? Geht das überhaupt? Und erwidert Florine seine Gefühle überhaupt oder mag sie nur Alexander?

Kritik

Eine wunderbarer Kinderroman über die erste Liebe, der durch und durch unter die Haut geht, denn die Leserinnen und Leser sind stets ganz nah an Emil und seinen Gefühlen. Die Geschichte ist durchgehend intern fokalisiert und konsequent nur an Emils Perspektive und somit an seine überbordenden Emotionen gebunden. In kurzen stakkatoartigen Sätzen fühlt der Leser direkt mit Emil. Selten sind erste Liebesgefühle im Kinderbuch so treffend und klar beschrieben worden, der Schmerz und die Aufgeregtheit des Protagonisten sind auf jeder Seite so stark fühlbar, so nah, dass es fast selbst wehtut:

"Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag, Montag, Dienstag. Emil hat Bauchweh. Er ist krank. Er ist nicht er selbst. Plötzlich macht er neue, komische Dinge. Er saugt das Wohnzimmer. Nachts um drei liegt er wach und denkt an Florine. Er benutzt Zahnseide, ohne dass Mama ihn daran erinnern muss. Er isst Dorsch und sagt, dass der gut schmeckt. Und dabei lügt er nicht mal." (S. 39)

Durchgehend ist der Erzähler und mit ihm der Leser ganz nah am Protagonisten, woraus sich auch die Spannung der Geschichte speist. Denn es bleibt bis zum Schluss unklar, was Florine tatsächlich empfindet, und es steht unentwegt die Frage im Raum: Spielt Florine nur mit Emil und nutzt sie ihn nur aus? Oder ist sie auch in ihn verliebt? Sie ist da in ihrem Verhalten sehr ambivalent und schwankend. Und so schwanken auch die Leserinnen und Leser die ganze Zeit mit und begibt sich mit Emil in ein aufregendes Wechselbad der Gefühle. Der versucht "so zu antworten, wie es am besten zu Florines Geschichten passt"“ Denn: "Es ist so schön, mit ihr spazieren zu gehen und ihr zuzuhören. Emil vergisst fast, dass er Florines Diener ist. Er ist beinahe ihr Freund." (S. 58)

Die erwachsenen Leserinnen und Leser ahnen indes, dass Florine auch etwas für Emil empfindet, ausformuliert aber wird dies nicht, so haftet dem Text auch etwas Doppelsinniges an und empfiehlt sich deshalb als reizvolle Lektüre für Kinder und Erwachsene.

Die norwegische Autorin Marianne Kaurin konzentriert sich ganz auf ihre Hauptfiguren, konturiert diese liebevoll und authentisch aus und stellt mit der rauchenden Großmutter nur noch eine weitere Nebenfigur ins Zentrum, die sie etwas näher beschreibt: Eine liebevolle Oma mit Piepsstimme, die Kette raucht und immer ein offenes Ohr für ihren Enkel hat, sich selbst an die Liebesbeziehung mit dem verstorbenen Großvater erinnert. Diese Szenen, in denen Emil die Großmutter besucht und ihr sein Herz ausschüttet, laden den erwachsenen Mitleser zum Schmunzeln ein.

Fazit

Lange ist das Thema "erste Liebe" im Kinderroman nicht mehr so überzeugend verhandelt worden. Marianne Kaurin präsentiert hier eine Liebesgeschichte, die man gut und gerne mit dem Attribut "zauberhaft" belegen möchte, die getragen ist vom Blick ins Innere ihres bis über beide Ohren verliebten Protagonisten. Ob Jungen sich auf diese gefühlbetonte Geschichte einlassen mögen, sei vor dem Hintergrund der Befunde der Lesesozialisationsforschung dahingesellt, denn ein klassischer Held ist dieser verliebte Protagonist eher nicht – oder doch? Seine ehrliche Gefühlsoffenheit ist dann doch wieder irgendwie heldenhaft. Jedenfalls sind dem Buch viele Leserinnen und Leser ab 8 Jahren zu wünschen. Ihnen wird auch nicht zu viel zugemutet: Durch die kurzen Sätze und die ebenso kurzen Kapitel ist die Geschichte leicht zu lesen und dürfte auch Leseanfänger nicht vor zu große Hürden stellen.

Titel: Emil und die Prinzessin aus dem Nachbarhaus
Autor/-in:
  • Name: Kaurin, Marianne
Originalsprache: Norwegisch
Übersetzung:
  • Name: Meike Blatzheim
Erscheinungsort: Magellan
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Bamberg
ISBN-13: 978-3-7348-4053-1
Seitenzahl: 127
Preis: 13,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 8 Jahre
Kaurin, Marianne: Emil und die Prinzessin aus dem Nachbarhaus