Inhalt
Der Band enthält elf Kurzgeschichten, be gleichzeitig die stärkste Erzählung des Bandes. Unverhofft muss hier der Weihnachtsmann in einem Supermarkt in der Spielwarenabteilung als Unterhalter für Kinder arbeiten und sorgt für einiges Chaos in dem Laden. Ein solches Chaos durchzieht viele der Texte als Leitmotiv, immer wieder geht es Pratchett darum, von merkwürdigen Ereignissen und unerhörten Begebenheiten zu erzählen. Etwa in der Geschichte "Die Blackbury-Pastete", in der der Bürgermeister der Stadt eine fast haushohe Pastete backen lassen will, um alle seine Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu versorgen. Dass sich dies nicht ohne Zwischenfälle und Probleme realisieren lässt, macht die besondere Komik Pratchetts aus, die oftmals an den Erzählton Roald Dahls erinnert. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Illustrationen von Beech, die die chaotischen Szenen gekonnt ins Bild setzen und verstärken.
Der Ort Blackbury ist wiederkehrender Handlungsort in einigen der Geschichten und immer wieder Ballungszentrum nicht nur merkwürdiger Ereignisse, sondern auch von sonderbaren Traditionen wie etwa dem Spiel "Drankriegen" in der gleichnamigen Geschichte. Lustvoll breitet Pratchett die abstrusen Regeln des Spiels aus und verknüpft eine epische Partie gleichzeitig mit einer Liebesgeschichte. Solche zwischenmenschlichen Beziehungen markieren einen weiteren thematischen Schwerpunkt der Geschichten, die in verschiedenen Spielarten ausgestaltet werden. In "Der Computer, der dem Weihnachtsmann schrieb" entwickelt der Weihnachtsmann eine freundschaftliche Zuneigung zu einem PC, der mit ihm zu kommunizieren beginnt und die Geschichte "Der Weihnachtsmann arbeitet im Zoo" handelt von dem Miteinander von Frau und Herrn Weihnachtsmann. Frau Weihnachtsmann ist genervt davon, dass ihr Mann nur einen Tag im Jahr arbeitet und die restliche Zeit faul Zuhause ist. Da das Familieneinkommen knapp ist, überredet sie ihn, einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu suchen. Er probiert verschiedene Jobs aus und jedes Mal stellt der Weihnachtsmann aber immer nur größeres Chaos an. In "Der Weihnachtsmann vor Gericht" wird das Dasein des Weihnachtsmannes noch weiter zugespitzt problematisiert, wenn ihm in einem fast kafkaesken Verfahren 3433 Vergehen vorgeworfen werden. Neben dem Weihnachtsmann drehen sich die anderen Geschichten auch um andere magische Wesen und Figuren, wie beispielsweise den Yeti oder eine märchenhafte Prinzessin und einen Prinzen.
Kritik
Pratchetts Kurzgeschichten stecken voller Komik, die auf mehreren Ebenen funktioniert und diese daher für Lesende unterschiedlicher Altersgruppen interessant macht. Auf der Handlungsebene gelingt es Pratchett Figuren zu schaffen, die liebenswürdig verschroben sind. Er erzählt knackig und kurz von Konflikten und versieht diese immer wieder mit interessanten Wendungen. Beispielsweise der schon oft erzählte Konflikt von einem Weihnachtsmann, der nicht kompatibel mit einer Arbeitswelt ist. In der Kurzgeschichte "Der falsche Bart des Weihnachtsmanns" wählt Pratchett aber eine ungewöhnliche narrative Konstruktion: Erzählt wird allein in E-Mails, die sich verschiedene Mitarbeitende, wie der Personalchef und die Abteilungsleitung, schicken und darin über die merkwürdigen Vorkommnisse berichten. Erst nach und nach setzt sich daraus das gesamte Bild der Ereignisse zusammen. Der intermediale Bezug zum Kommunikationsmittel der E-Mail wird so auf geschickte Weise als Erzählmittel genutzt und aktualisiert das bewährte Verfahren des Briefromans, um verschiedene Perspektiven – und damit die variierenden Sichtweisen – auf ein Geschehen wiederzugeben.
Über die Handlungsebene hinausgehend platziert Pratchett in seinen Geschichten diverse Seitenhiebe auf das gegenwärtige Zeitgeschehen, wie in der bereits erwähnten Gerichtsverhandlung, wenn sich spöttisch über den "formaljuristischen Sprachgebrauch" (S. 111) sowie gewisse "EU-Direktive" (S. 115) für übernatürliche Leute lustig gemacht wird. Inwieweit der Weihnachtsmann als magisch-phantastische Figur von solcher Rechtsprechung betroffen ist, verhandelt die Geschichte und ist damit zum einen metareflexiv im Hinblick auf den fiktionalen Status des Erzählten, aber zum anderen auch eine Satire gegenwärtiger Entwicklungen in der EU.
Fazit
"Der falsche Bart des Weihnachtsmanns" ist eine gelungene Sammlung von weihnachtlichen Geschichten, die in ihrer bewussten Absurdität lustvoll in das Chaos der Feiertage einstimmen. In der Geschichtensammlung von Pratchett lassen sich viele Referenzen und Anspielungen finden, die aber nur einen zusätzlichen Mehrwert zu den gut gemachten Geschichten liefern. Auch wenn man nicht alle mehrdeutigen Ebenen der Verweise decodiert, wird man gut unterhalten. Entsprechend eignet sich das Buch für alle Lesenden ab 6 Jahren.
- Name: Pratchett, Terry
- Name: Andreas Brandhorst