Inhalt
Ein Jahr ist seit den Abenteuern vergangen, die Elizabeth im Hotel Winterhaus erlebt hat. Wieder ist Weihnachten, und das belesene Mädchen mit der großen Brille kann es kaum abwarten, endlich wieder an den magischen Ort zu gelangen, an dem ihr Großvater Norbridge das wunderschöne Hotel Winterhaus leitet, gelegen scheinbar im Nirgendwo, in einer herrlichen Schneelandschaft. Elizabeth wächst seit dem Tod ihrer Eltern bei Onkel und Tante auf, zu denen sie in einem ähnlichen Verhältnis steht wie Harry Potter zu Tante Petunia und Onkel Vernon. Sie behandeln sie wie die böse Stiefmutter das Aschenputtel. Doch seit einem Jahr zeigen sich Auswege auf, denn beim ersten Aufenthalt des Mädchens im Hotel Winterhaus fand sie nicht nur heraus, dass der freundliche Norbridge ihr Großvater ist, sondern auch, dass sie über eine magische Gabe verfügt. Sobald in ihr "das Gefühl" auftritt, kann sie buchstäblich Berge versetzen und Dinge verschieben: "Das bedeutete, wenn sie wollte und ihre ganze Aufmerksamkeit darauf richtete, konnte sie Gläser auf dem Tisch umkippen, einen Schuh über den Boden rutschen lassen oder ein Buch aus einem Regal ziehen, ohne es zu berühren." (S. 23) Mithilfe dieser Magie konnte sie im vergangenen Jahr die böse Gracella, die im Hotel herumgeisterte, besiegen – von alldem erzählt der erste Band Winterhaus. Die Fortsetzung greift das im ersten Band eingeführte Setting auf und entwirft ein neues Abenteuer vor winterlicher Kulisse, das Elizabeth mit ihrem Freund Freddy im Hotel Winterhaus erlebt. Diesmal trifft sie auf ein geheimnisvolles Mädchen namens Elena und deren übellaunige Großmutter, die sie absolut nicht einzuschätzen weiß. Außerdem begegnen ihr Rodney Powters und seine Eltern, die Elizabeth schon bei der Anreise im Bus mit unverhohlener Ablehnung gegenübertreten. Inwiefern sie alle verstrickt sind in das Geheimnis, das Elizabeth und Freddy im Winterhaus ergründen, soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Gracella kehrt als Geist zurück und Elizabeth und Norbridge müssen all ihre magischen Kräfte aufwenden, um sie endgültig zu besiegen und zu vertreiben. Dann kann Elizabeth auch für immer im Winterhaus bleiben.
Kritik
Die Winterhaus –Bücher leben von den erzählten Räumen und Figuren. Diese und die kunstvollen in die Handlung eingewebten Wort- und Sprachspiele machen sie zu einem besonderen Stück (weihnachtlicher) Kinderliteratur. Elizabeth und Freddy sind ungewöhnliche und intellektuelle Kinder, die Bücher lieben und große Freude an Anagrammen haben. Dazu passend sind auch die Kapitelüberschriften aus Anagrammen gestaltet: erst der Titel (z.B. „Der Vorfall im Bus“), in dem die Buchstaben hellgrau unterlegt sind, aus denen ein Anagramm gebildet wird, das dann den Untertitel des Kapitels stellt (hier: Brief). Der Text referiert auf diese Weise auf die Wortgewandtheit und Sprachbegeisterung seiner gewitzten Protagonistin. Elizabeth liebt Bücher über alles und hält sich im Winterhaus am liebsten in der riesigen Bibliothek auf und freundet sich mit der herzlichen Bibliothekarin Leona an. Im zweiten Band arbeitet sie sogar als deren Assistentin. Doch die Bibliothek ist nur einer der zentralen Räume im Winterhaus. Das Hotel wird geschildert wie ein kleines Winter-Paradies, mit einer duftenden Konfekt-Küche, einem Schwimmbad, in dem Elizabeth und Freddy täglich schwimmen, wenn sie nicht gerade Schlittschuh laufen oder Schlitten fahren oder Freddy an seiner Camera obscura baut. In der Lobby sitzen die Herren Mr. Wellington und Mr. Rajput, die seit Jahren an einem 35.000 Teile umfassenden Puzzle arbeiten, das einen großen blauen Himmel zeigt. Pro Tag finden sie maximal fünf passende Teile. Doch die kluge Elizabeth ist so clever, dass es ihr ab und an gelingt, ein Teil aufzuspüren und den puzzelnden Herren auf diese Weise zu helfen. Schon dieses immer wiederkehrende Szenario zeigt die Skurrilität an, das die Beschreibung des Winterhauses auszeichnet. Das Hotel erscheint wie eine Heteroptopie im Foucaultschen Sinne, ein Gegen-Raum, der Welt entrückt, in dem Träume und Abenteuer wahr werden, abgeschlossen von der Außenwelt, reduziert auf romantische Winterbilder – eine Anlage, die literarisch affine Leserinnen und Leser verzaubern wird, von eher leseungewohnten Kindern vermutlich als langatmig und langweilig empfunden werden kann. Der Text bietet keine schnelle Handlung, sondern witzige, originelle Figuren in semantisierten Räumen, gekoppelt mit Intertextualität, zumal Sprache und Literatur für die Protagonistin eine so große Rolle spielen. So ziert den Eingang zum Wintersaal das folgende Gedicht:
"Hoch ragen die Berge, der Norden ist weit
und Nebel verschleiern den Blick,
wo einer verbarg – verleugnend die Nacht!-
was die goldene Zeit bringt zurück.
In Winterstarre verharren wir,
doch kommt er wieder,
der junge Lenz,
und Sommer kehrt ein mit frischen Winden,
verströmt die süßeste Essenz.
Oktobers Stille und Februars Hoffnung warten
Auf Zephyrs mildes Lied,
die luftigen Wolken befeuchten die Hügel,
die uralte Nacht noch nicht besiegt.
Doch im ersten Licht in der Dunkelheit vergangen,
der endlose Fluss überquert,
Tinte, Stein und Farbe bewahren
den Glauben, der niemals verloren geht.
Elizabeth liebte den Klang der Verse, den tanzenden, schwingenden Rhythmus" (S. 251). Doch: „Der Inhalt blieb ihr verschlossen“ (S. 252). Ganz so dürften sich Kinder bei der Lektüre der Winterhaus-Bücher sicher nicht fühlen, dafür sind die Figuren zu zugänglich und auch die märchenhafte Handlung, die klar in gut und böse unterteilt, ist einfach genug, um keine zu große Barriere aufzubauen. Doch hierbei handelt es sich um eine komplexe kinderliterarische Einfachheit, die aufmerksame Leserinnen und Leser braucht und vermutlich vor allem solche Kinder anspricht, die ähnlich buch- und sprachaffin sind wie Elizabeth selbst. Sie erwartet eine zauberhafte Lektüre voller Magie, Spannung, Witz – glitzernd, schillernd, außergewöhnlich.
Die Illustrationen von Chloe Bristol setzen ebendiese Atmosphäre gekonnt und passend ins Bild. Sowohl die Landschaftszeichnungen als auch die Gesichtsausrücke der Figuren fangen deutlich das ein, was der Text erzählt: Der starre Blick von Elenas merkwürdiger Großmutter zeigt sich hier ebenso wie die herrliche Schneelandschaft rund um das Winterhaus.
Fazit
Die Vielschichtigkeit der Winterhaus-Bände lässt sich in einer kurzen Rezension kaum einfangen. Es handelt sich um sprachlich und inhaltliche wunderschöne Kinderbücher, die aufgrund der Komplexität vor allem viellesenden Kindern ab 10 Jahren empfohlen seien, die Freude am Spiel mit Sprache haben und sich mit der etwas verschrobenen, lesebegeisterten Protagonistin identifizieren können.
- Name: Guterson, Ben
- Name: Alexandra Ernst
- Name: Chloe Bristol