Inhalt

Beide Bücher präsentieren auf den ersten Seiten eine doppelseitige Karte, welche die Welt der Drachen zeigt. Auf dieser Karte sind die Königreiche der Drachen eingezeichnet sowie ausgewählte geographische Orte und Gegebenheiten, die im Laufe der Geschichte bei der Orientierung hilfreich sein können. Der Karte folgt ein mehrseitiger Abschnitt mit lexikonartigen Beschreibungen und Abbildungen des Aussehens und der Fähigkeiten der sieben Drachenarten (Erdflügler, Sandflügler, Eisflügler, Regenflügler, Meeresflügler, Himmelsflügler und Nachtflügler). Zudem sind die derzeitige Königin des jeweiligen Drachenstammes und die jeweiligen Bündnisse der Drachenarten untereinander im "großen Krieg" (S. 11) verzeichnet, wodurch das Verständnis der folgenden Handlung erleichtert wird.

Band I

In der Welt der Drachen herrscht Krieg, seit die Königin der Sandflügler gestorben ist und ihre drei Töchter um den Thron kämpfen. Die drei Anwärterinnen sind verschiedene Bündnisse mit den anderen Drachenstämmen eingegangen, wodurch nun fast die gesamte Drachenwelt in den Krieg verwickelt ist. Doch es gibt eine Prophezeiung, die vom Ende des Krieges berichtet. In ihr ist die Rede von fünf jungen Drachen – den sogenannten Drachlingen –, welche dazu bestimmt sind, den Krieg zu beenden.

Diese fünf Drachlinge sind die Protagonisten der Geschichte. Sie leben fernab der Drachenstämme mit drei erfahrenen Drachen als Ausbilder in einem Berg. Die Ausbilder gehören zu einer Bewegung, die sich die 'Klauen des Friedens' nennt und deren Ziel es ist, die Drachlinge am Leben zu erhalten und ihnen Kampfkünste sowie den geschichtlichen Hintergrund der Drachenwelt zu vermitteln, sodass sie die Prophezeiung erfüllen können. Vier der Drachlinge entsprechen den in der Prophezeiung erwähnten Drachenstämmen – der fünfte jedoch ist kein ursprünglich vorgesehener Himmelsflügler, sondern ein weiblicher Regenflügler.

Eines Abends betritt ein weiterer Drache die Höhle: der Nachtflügler Morrowseer, von dem die Prophezeiung stammt. Als er den Regenflügler entdeckt, ist er ungehalten darüber, da dieser Drache nicht der geforderte Himmelsflügler ist. Die Drachlinge belauschen im Laufe des Abends ein Gespräch, aus dem hervorgeht, dass das Regenflüglerweibchen beiseitegeschafft werden solle, da es nicht in die Prophezeiung passe. Daraufhin entwickeln die Drachlinge einen Fluchtplan, welcher vom Erdflügler Clay ausgeführt wird. Die Flucht scheint zu gelingen, doch zu spät bemerken die Drachlinge, dass sie Soldaten und die Königin der Himmelsflügler, Scarlet, angelockt haben. Diese haben kein Interesse an der Erfüllung der Prophezeiung, da sie eine der Thronanwärterinnen bevorzugen und diese Entscheidung nicht fünf Drachlingen überlassen wollen. Stattdessen nimmt ihre blutrünstige Königin die Drachlinge mit in ihre Festung, wo sie in der folgenden Zeit zum Kampf in der Arena eingesetzt werden sollen. Die Zeit für einen neuen Fluchtplan drängt, denn die Arena dürfte für Clay und seine Freunde den sicheren Tod bedeuten.

Band II

Nach einer spektakulären Flucht und einem ernüchternden Besuch bei Clays Verwandten begeben sich die Drachlinge auf die Suche nach der Familie eines weiteren Drachlings der Gruppe – die königliche Familie des weiblichen Meeresflüglers Tsunami, deren verschollene Prinzessin sie ist. Im Königreich der Meeresflügler regiert Königin Coral: Im Gegensatz zur Königin der Himmelsflügler aus dem ersten Band regiert sie nicht als Diktatorin über ihren Stamm. Stattdessen hat sie zahlreiche Minister um sich versammelt, welche ihr in der Beratung politischer Fragen zur Seite stehen.

Die familiäre Wiedervereinigung entpuppt sich für Tsunami und ihre Gefährten allerdings als herber Rückschlag: Während die anderen Drachlinge in einer Höhle eingesperrt werden, muss sich Tsunami vor Anschlägen schützen, da ein mysteriöser Mörder die weiblichen Nachkommen der Meeresflügler-Königin tötet. Überdies fühlt Tsunami sich fortwährend wie eine Außenseiterin unter ihresgleichen, da sie die Unterwassersprache der Meeresflügler nie gelernt hat. Als schließlich ein weiteres Ei der Königin auf unbegreifliche Weise zerstört wird, erklärt Tsunami sich bereit, persönlich für den Schutz des letzten weiblichen Eis zu sorgen und begibt sich somit noch stärker in den Fokus des Mörders.

Kritik

Sutherland ist Teil der Autorengruppe Erin Hunter, unter deren Namen beispielsweise die Romanserie Warrior Cats erschienen ist. Wie in jener Serie leben auch in Sutherlands Wings of Fire Gruppen wilder Tiere zusammen und führen untereinander Krieg. Doch hier wagt sich die Autorin anders als in Warrior Cats auf das Terrain der Fantasy, indem sie eine Drachenwelt entwirft. Die thematische Wahl entspricht einem von Maren Bonacker beobachteten Trend: Während der Drache im Verlauf des 20. Jahrhunderts sukzessive zähmen (vgl. etwa die harmlosen Vertreter aus Hanno malt sich einen Drachen von Irina Korschunow oder Ein Drache in der Schultasche von Bruce Coville), entwickelte er sich etwa seit dem Jahr 2000 zum ungezähmten Wesen zurück (vgl. hierzu Bonacker 2019, S. 130), als welches er nun in den Wings of Fire-Büchern auftritt.

Die Topographie der Drachenwelt ist durch die Karte zu Beginn des Buches leicht zu erfassen. Mit der Kartierung der Sekundärwelt greift Sutherland auf ein bewährtes Mittel der Fantasy-Literatur zurück, welches sich unter anderem auch in Tolkiens Der Herr der Ringe oder auch in jüngerer Zeit in Patrick Rothfuss' The Name of the Wind finden lässt.

Fantasy-Welten wie die genannten sind oftmals von kriegerischer Handlung und Gewalt erfüllt, so auch die Wings of Fire-Bände. In Bezug auf die Zielgruppe sind die expliziten Beschreibungen teils extremer Gewalt- und Tötungsszenen kritisch zu sehen, da sie ihrer Leserschaft starke Nerven abverlangen:

Wozu ist ein verkrüppelter Drache, der nicht mehr fliegen kann, eigentlich gut? Ich bin überrascht, dass du dich noch nicht umgebracht hast, Sandflügler. Aber das kann ich gern für dich erledigen.‘ […] Mit einem schaurigen Knacken brach Königin Scarlet Dune das Genick und ließ seinen Körper auf den Steinboden fallen. (Band I, S. 148).

Die Kargheit und die oftmals unerwartete Plötzlichkeit, mit der die Gewalt hier oder an anderen Stellen geschildert wird, lässt sie noch massiver wirken:

Der magere grüne Drache stieß einen langen, hohen Schrei aus. Tsunami blieb stehen und drückte sich entsetzt an die Wand. Königin Coral hatte Turtle bereits sämtliche Zähne herausgerissen. Jetzt schlug sie ihre Klauen in den Bauch des Drachen. Blut erfüllte das Wasser und ließ die Königin und Turtle fast vollständig in einem roten Nebel verschwinden. (Band II, S.178)

Durch derlei Passagen mit drastischen Gewaltdarstellungen hat die Wings of Fire-Serie zumindest in dieser Hinsicht mehr mit den George R. R. Martins Buchreihe A Song of Ice and Fire (alias Game of Thrones) gemeinsam als etwa mit Christopher Paolinis Eragon-Büchern. Wem Passagen wie die genannten zu gewalttätig sind, dem sei von der Lektüre der Wings of Fire-Bücher abgeraten.

Bildhaftigkeit spielt abgesehen vom blutrünstigen Ton jener Passagen auch in einem gänzlich anderen Aspekt der Bücher eine Rolle – wie sich aus einigen der bereits genannten Namen erahnen lässt, handelt es sich in der Regel um sprechende Namen: Clay (Tonerde/Lehm), Vermilion (Zinnoberrot) und Morrowseer (Seher des morgigen Tages) sind nur ausgewählte Beispiele. Für den ersten namentlich auftretenden Eisdrachen Hvitur hat die Autorin einen Namen mit isländischer Bedeutung gewählt, wodurch auch eine geographische Komponente relevant wird.

Das Konzept der sprechenden Namen wird im zweiten Band fortgesetzt: Im Volk der Meeresflügler finden sich thematisch passende Namen wie Riptide (Ripströmung), Orca, Shark (Hai), Nautilus oder Moray (Muräne).

Die Verwendung der sprechenden Namen hat dabei einen einfachen, aber bestechenden Effekt: Die Namen ermöglichen es der Leserschaft, die Drachen entsprechend ihrer Namen zum thematisch zugehörigen Drachenstamm zuzuordnen.

Interessant sind die Genderkonstruktionen in der phantastischen Welt: Dass in der Welt der Drachen offenbar ausschließlich weibliche Drachen regieren, zeugt von einem modernen Zeitgeist. Männliche Oberhäupter sind in der Drachenwelt praktisch nicht existent. Sie können zwar Posten am Königshof oder in den Armeen bekleiden, doch die königlichen Machtpositionen werden nur von 'Drachinnen' besetzt. Auch die Stärke des weiblichen Drachlings Tsunami bricht tradierte Rollenbilder auf, denn sie ergreift  die Initiative und wird oft als die beste Kämpferin beschrieben. Die Geschlechterdurchmischung bei den fünf Drachlingen (zwei männliche, drei weibliche Drachlinge) weist ebenfalls darauf hin, dass in der Drachengesellschaft auch die weiblichen Mitglieder akzeptiert und von Bedeutung sind. Ein ähnliches Konzept findet sich auch in anderen Drachenbüchern, beispielsweise in Die Drachenprinzessin von Patricia C. Wrede, in welchem auch Drachenweibchen König werden können. Mit weiblichen Drachen in Machtpositionen betritt Sutherland also kein Neuland, propagiert durch das in Pyrrhia herrschende Matriarchat aber dennoch merklich starke weibliche Rollenbilder.

In diesem Kontext sei bezüglich der Übersetzung Kritik geübt: Hier wurde aufgrund einer fehlenden englischen Form für einen weiblichen Drachen fast ausschließlich die männliche Form genutzt, anstatt beispielsweise von einer 'Drachin' zu sprechen, wie etwa Cornelia Funke dies in ihrem Drachenreiter vornimmt, oder von einem 'Drachenweibchen'. Aus diesem Grund wirkt der Text an mehreren Stellen unsauber, wenn erst von 'dem Drachen' und im direkten Anschluss von 'ihr' die Rede ist:

Ein ungewöhnlich aussehender Himmelsflügler flatterte in weiten Kreisen um seinen Felsenturm herum. Clay schätzte, dass sie nur ein oder zwei Jähre [sic] älter war als er: […]. (I, S. 154).

Abgesehen von dieser sprachlichen Unebenheit führt die fehlende weibliche Drachenform dazu, dass die deutschsprachige Übersetzung die Geschlechterverhältnisse der Drachenwelt durch die ausschließliche Nutzung männlicher Formen in keiner angemessenen Weise reflektiert.

Sprachlich sind die Bücher nicht unbedingt anspruchsvoll. Die Sätze sind eher kurz und einfach gehalten, der Schreibstil ist dadurch trotz seiner Bildhaftigkeit sehr schlicht, wodurch jüngere Leserinnen und Leser keine große sprachliche Hemmschwelle vorfinden dürften. Hierin liegt meiner Ansicht nach jedoch auch der Nachteil für ein älteres Publikum, beispielsweise für Kinder im Übergang zum Jugendalter, welche sich thematisch angesprochen fühlen: Insbesondere die Sprache der Drachenköniginnen wirkt durch den wenig komplexen Stil und die einfache Wortwahl häufig nicht so majestätisch oder würdevoll, wie es vorstellbar wäre, sondern eher umgangssprachlich, wie etwa aus einem Zitat Königin Corals hervorgeht: "So würde ich Drachlinge doch nicht behandeln. Vor allem nicht die liebsten Freunde meiner Tochter. Die Teil der Prophezeiung sind und so." (II, S. 225)

Fazit

Trotz der hier angebrachten Kritikpunkte können die Bücher eine Bereicherung für Drachenliebhaber und Fantasyfreunde darstellen: Sutherland präsentiert eine geographisch wie politisch komplexe Drachenwelt, die von detailliert ausgearbeiteten Drachenwesen und -stämmen bevölkert ist. Wer tief in die Geschichte eintaucht, wird über die Gewaltdarstellungen vielleicht hinwegsehen können und stattdessen gespannt auf den Fortgang der Ereignisse sein. Die Brutalität ließe möglicherweise zu einer höheren Altersempfehlung raten, doch aufgrund des Schreibstils, welcher definitiv eher auf Kinder als auf Jugendliche zugeschnitten ist, ist eine Altersempfehlung ab 11 Jahren angemessen.

Anmerkung: In der ersten Auflage des zweiten Bandes ist beim Druck des Buches ein Fehler unterlaufen: Die Seiten 289-296 sind zweimal abgedruckt. Diese lassen sich aber natürlich einfach überblättern, sodass nach der zweiten Seite 296 an der richtigen Stelle weitergelesen werden kann.

Sekundärliteratur

Bonacker, Maren: Es hausen Drachen in unseren Wäldern … Die kinderliterarische Remystifizierung einer entzauberten Welt. In: Markus May/Michael Baumann/Robert Baumgartner/Tobias Eder (Hrsg.): Den Drachen denken. Liminale Geschöpfe als das Andere der Kultur, Bielefeld 2019. S. 129-145.

Titel: Wings of Fire. Die Prophezeiung des Drachen
Autor/-in:
  • Name: Sutherland, Tut T.
Originalsprache: Amerikanisches Englisch
Originaltitel: Wings of Fire
Übersetzung:
  • Name: Bea Reiter
Erscheinungsort: Berlin
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Adrian
ISBN-13: 978-3-948638-28-3
Seitenzahl: 346
Preis: 12,95 €
Altersempfehlung Redaktion: 11 Jahre
Sutherland, Tui T.: Wings of Fire – Die Prophezeiung der Drachen