Inhalt

Emma zieht mit ihrem Vater und ihren Geschwistern Ben und Jojo nach der Trennung der Eltern in ein Mehrfamilienhaus. Die Mutter ist nach Australien gegangen, um sich dort selbst zu verwirklichen. Doch der Trauer um den Verlust des Elternteils gibt Emma keinen Raum. Vielmehr erlebt sie den Umzug und den Neustart mit der Familie als positives Abenteuer und stellt sich der neuen Umgebung offensiv und mit kindlicher Leichtigkeit. Das gelingt der Protagonistin fulminant, denn zur großen Freude der Kinder wohnt im Haus eine Familie mit Kindern im selben Alter. Ben freundet sich sofort mit Tarek an und Emma mit Aylin, mit der sie auch in eine Klasse kommt. Während Emma, Ben und Jojo bei ihrem Vater aufwachsen, der wegen seiner Arbeit als Koch häufig abwesend ist, leben Tarek und Aylin bei einer alleinerziehenden Mutter. Die Familienstrukturen fügen sich passgenau ineinander, und im Haus wohnt darüber hinaus auch noch die alte Frau Becker, die Emmas jüngstes Geschwister Jojo kurzerhand zur Oma Becker erklärt. Diese Nenn-Großmutter ist es dann auch, die den Kindern einen bunten Flickenteppich schenkt, welcher der aus Nachbarn konstruierten Familie ihren Namen und dem Buch seinen Titel gibt. Und auch die im Erdgeschoss wohnhaften Neumanns lassen sich nach anfänglichem Widerstand auf den Familien-Flickenteppich ein. Zunächst begegnen sie Emma und Ben mit unverhohlener Abneigung, als diese nach dem Einzug bei dem älteren Ehepaar klingeln, um nach Eiern und Öl zu fragen, weil die eigenen Eier im Umzugschaos zu Bruch gegangen sind und das Öl nicht zu finden ist. Doch als sie sich schließlich als Großeltern von Bens Klassenkameraden Freddy entpuppen, gelingt der Zugang zu dem Ehepaar etwas besser, wenngleich sie auch nicht sofort zu Mitgliedern der Familie Flickenteppich werden. Ein Nachbar gibt den Kindern große Rätsel auf: der Graf von Freudenhain, den sie anfangs nie zu Gesicht bekommen. Um ihn herum konstruieren sich Emma und ihre Freundinnen und Freunde eine Kriminalgeschichte, durch die Spannung und Dynamik in die fröhliche Familiengeschichte gelangt und auf die die kindlichen Figuren ihren Fokus und ihr detektivisches Gespür lenken.

Kritik

Stefanie Taschinskis Familie Flickenteppich ist als Serie konzipiert, deren Auftakt der hier besprochene erste Band Wir ziehen ein bildet. Die Autorin knüpft mit der Serie ganz offensichtlich an moderne Traditionen des kinderliterarischen Erzählens an, wie sie insbesondere Kirsten Boie seit den 1990er Jahren geprägt hat (z.B. in der Möwenweg-Serie), insofern als sie mit Emma, ihren Geschwistern und Freundinnen ich-starke, gewitzte Kinderfiguren vorstellt, die mit den Herausforderungen neuer Familienstrukturen gut zurechtkommen. Zwar trauert Emma wegen der Trennung der Eltern, vermisst ihre Mutter und geht einmal bewusst nicht ans Telefon, als diese anruft, aber diese Trauer steht nicht im Zentrum der Erzählung. Taschinski wirbt mit ihrer Buchfamilie für moderne Familienstrukturen und damit für die Akzeptanz von Individualität und Diversität. Durch die heitere Geschichte, die sich auf die Spieluniversen der Kinder zentriert, findet sie Anschluss an die Spezifika des komischen Kinderromans. Der Migrationshintergrund von Tarek und Aylin wird an keiner Stelle ausformuliert, sondern stellt sich realistisch als Teil der natürlichen Lebensumwelt der kindlichen Ich-Erzählerin dar, weshalb sich die Geschichte einmal mehr als moderner Kinderroman lesen lässt, der aktuelle Kindheit realitätsnah abbildet. Die Leichtigkeit und die Komik der Erzählung speisen sich aus dem Erzählton, den die achtjährige Emma in ihrer Funktion als Ich-Erzählerin anschlägt, und dies schon auf der ersten Seite:

Ich heiße Emma. Ich bin acht Jahre alt, und ich weiß alles! Na gut, vielleicht nicht alles alles, aber bestimmt viel mehr, als die Großen denken. Ich weiß zum Beispiel, dass es richtig aufregend ist, acht zu sein. Die meisten Erwachsenen glauben ja, mit acht ist man noch babyklein und würde nichts verstehen. Deshalb bereden sie ganz wichtige Erwachsenendinge nicht auf Geheimsprache, sondern so, als wäre man nicht dabei (S.7)

Dieser Ton wirkt arg kindertümlich und bemüht. Welche achtjährigen Kinder würden in einer Vorstellungsrunde schon behaupten, alles zu wissen? Die intertextuelle Referenz auf Astrid Lindgrens Wir Kinder von Bullerbü scheint hier ebenso deutlich auf wie jene auf dessen moderne Fortschreibung Wir Kinder vom Möwenweg von Kirsten Boie. Taschinskis Serie hätte viel gewonnen, wenn sie diese deutlichen intertextuellen Anspielungen weiter ausgebaut hätte, dann hätte sich der Text weniger als einfache Nachahmung gelesen. Wenngleich sie ihren kindlichen Leserinnen und Lesern eine heitere und unterhaltsame Kindergeschichte anbietet, deren Fröhlichkeit unterstrichen wird durch die farbenfrohen Illustrationen von Anne-Kathrin Behl, schielt die Anlage der Erzählung doch ein Stück weit zu sehr nach den kinderliterarischen Klassikern und verpasst durch die gut gemeint launigen Familiendarstellungen im Mehrgenerationenhaus eine gewisse Stimmigkeit. So wirkt es doch arg konstruiert, wie alle Hauseinwohnerinnen und Hauseinwohner (inklusive des lesbischen Paars, das natürlich nicht fehlen darf) plötzlich fröhlich an einem Tisch sitzen, Frau Becker ohne Zögern begeistert auf die ihr zugeschriebene Großmutter-Rolle einsteigt und Aylin sofort die allerbeste Freundin für Emma wird. Und auch das Bild vom Flickenteppich wird sehr plakativ genutzt. Vielleicht aber löst sich der offensichtliche Konstruktcharakter der Figuren in den Folgebänden noch auf, der zweite und dritte Band der Familie Flickenteppich liegen bereits vor.

Fazit

Familie Flickenteppich kommt im Gewand des modernen Kinderromans daher, erzählt von modernen Familienstrukturen und liest sich als Plädoyer für die Akzeptanz von Vielfalt, das aber im Erzählton an kinderliterarische Vorbilder (Astrid Lindgren, Christine Nöstlinger, Kirsten Boie) nicht heranreicht. Als einfache Einstiegsliteratur ist Taschinskis Serie trotzdem empfehlenswert für Kinder ab 7 Jahren, zum Vor- und Selberlesen geeignet.

Titel: Familie Flickenteppich – Wir ziehen ein
Autor/-in:
  • Name: Taschinski, Stefanie
Illustrator/-in:
  • Name: Behl, Anne-Kathrin
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Oetinger Verlag
ISBN-13: 978-3-7891-0969-0
Seitenzahl: 216
Preis: 14,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 7 Jahre
Taschinski, Stefanie: Familie Flickenteppich – Wir ziehen ein