Inhalt

Sommerferien in Kleinköping – das ist eine kleine schwedische Stadt, in der nie etwas Außergewöhnliches passiert. Doch Langeweile kommt bei Kalle und seinen Freunden Eva-Lotta und Anders nicht auf. Die Weißen Rosen, wie die drei sich nennen, gründen kurzerhand einen Zirkus, dessen Proben viel Zeit einnehmen und liefern sich harte Wort- und Faustgefechte mit den Roten Rosen. Beide Banden führen schon seit einigen Jahren, meist in den Sommerferien, einen spielerischen Krieg, eigentlich sind die sechs Kinder jedoch sehr gute Freunde. Für Kalle ist das alles ein netter Zeitvertreib, aber eigentlich würde er viel lieber seiner wahren Berufung nachgehen und als Meisterdetektiv Blomquist Verbrecher jagen. Zu blöd, dass die sich meist in größeren Städten wie London oder Chicago herumtreiben.

Als eines Tages Eva-Lottas Onkel Einar in Kleinköping auftaucht, ist Kalle sich sicher: mit dem Mann stimmt etwas nicht. Wieso sonst kauft er sich mitten im Sommer eine Taschenlampe? Wieso trägt er einen Dietrich mit sich herum? Und wieso verbringt er den Sommer in einer schwedischen Kleinstadt, in der er sich nur zu langweilen scheint? Spätestens, als Kalle herausfindet, dass Onkel Einar mit einem Revolver unter dem Kopfkissen schläft, ist sein Jagdinstinkt geweckt. Als dann auch noch zwei fremde Männer in die Stadt kommen und ausgerechnet nach Onkel Einar suchen, muss der Krieg mit den Roten Rosen ruhen. Nun gilt es, ein Verbrechen aufzuklären. Nur welches? Hat Eva-Lottas Onkel möglicherweise etwas mit einem Juwelendiebstahl zu tun? Meisterdetektiv Blomquist beginnt zu ermitteln – und bringt damit sich und seine Freunde in große Gefahr.

Kritik

„Blut! Daran gab’s keinen Zweifel!“ (Lindgren, S. 5)

Mit diesen Worten beginnt Astrid Lindgren ihr erstes von drei Büchern über den jungen Meisterdetektiv Kalle Blomquist und beweist, dass sie es versteht, Leserinnen und Leser zu fesseln. Hat sich jemand verletzt? Ist vielleicht sogar ein Mord passiert? Tatsächlich hat sich der 13-jährige Kalle nur beim Bleistiftanspitzen geschnitten, doch die Neugier ist geweckt. Auch die einzelnen Kapitel enden fast immer mit einem Spannungsmoment und animieren dadurch zum Weiterlesen.

Mit Onkel Einar entwirft Lindgren einen stereotyp unsympathischen Charakter. Neben dem dubiosen Besitz eines Dietrichs und eines Revolvers, kann auch sein Verhalten weder die Herzen der Kinder noch die der Leserinnen und Leser erwärmen. Er kneift Eva-Lotta mehrfach, macht sich über Kalle lustig und quält sogar aus Langeweile eine Katze. Dass er nicht vor Gewalt zurückschreckt, zeigt spätestens folgende Szene: „Onkel Einar packte Eva-Lotta hart am Arm und stieß beinahe zischend hervor: ‚Hör auf, Mädchen! Oder ich zerquetsch dir sämtliche Knochen im Leibe!‘“ (Lindgren, S. 39).

Obwohl es sich bei Kalle Blomquist – Meisterdetektiv um ein Kinderbuch handelt und auch die Protagonisten noch recht jung sind, werden ernste Themen angesprochen. Die Leserinnen und Leser lernen die Eltern von Kalle und Eva-Lotta kennen, nicht jedoch die Familie von Anders. Laut eigener Aussage „[hält] er sich so viel wie möglich von zu Hause fern“ (Lindgren, S. 46). Anders hat viele Geschwister, weshalb das Essen oft knapp ist, sein Vater ist gewalttätig und verprügelt ihn anscheinend regelmäßig. Dieses Umfeld wird jedoch nur einmal erwähnt und Anders scheint seine Ferien dennoch sorgenfrei mit seinen Freunden genießen zu können, sodass die allgemeine Stimmung des Buches positiv ist.

Bei dem Meisterdetektiv Blomquist handelt es sich um eine Art Alter Ego von Kalle: „Meisterdetektiv Blomquist war die eine Person und Kalle die andere. Und mitunter war Kalle ein praktischer und verständiger junger Mann“ (Lindgren, S. 117). Die Neugier und den Wunsch, Verbrecher zu jagen, teilen sich beide Personen, doch wenn es um tatsächliche Ermittlungsarbeit geht, übernimmt der Meisterdetektiv die Führung. Meisterdetektiv Blomquist ist auch derjenige, der von den Ermittlungsergebnissen berichtet. Sein Zuhörer ist eingebildet, dennoch stellt er interessierte Fragen und steigert mit Lobeshymnen das Selbstbewusstsein des Detektivs:

Hier überschwemmte ihn sein eingebildeter Zuhörer mit einer solchen Flut von schmeichelhaften Versicherungen, Herrn Blomquists Fähigkeit betreffend, alles herauszukriegen, was immer es auch sein mochte, dass sogar Herr Blomquist fand, es ginge zu weit. "Na, na, keine Übertreibungen", sagte er mild. "Der beste Detektiv, den es jemals gegeben hat – das ist doch wohl etwas übertrieben […]“ (Lindgren, S. 52)

Diese Selbstgespräche Kalles sind unterhaltsam zu lesen und bereichern die Erzählung ebenso sehr wie Kalles stetige Anmerkung, jeder seiner Ermittlungsschritte sei „reine Routinearbeit“ (Lindgren, S. 81 u.a.). Obwohl Kalle fest davon überzeugt ist, ein herausragender Detektiv zu sein, wirkt er nicht eingebildet oder arrogant. Tatsächlich gelingt es ihm, vor der Polizei ein großes Verbrechen aufzuklären, was ihn in seiner Meinung bestärkt, dass diese ohnehin nicht sehr fähig sei. Auch von den polizeilichen Fähigkeiten des regionalen Wachtmeisters von Kleinköping ist Kalle nicht überzeugt, dennoch sieht er in ihm einen Verbündeten:

Kalle fühlte eine Welle kollegialer Sympathie für [Wachtmeister Björk]. Gewiss war Kalle Privatdetektiv, und Privatdetektive standen ja immer ein paar Stufen über den gewöhnlichen Polizisten, die sich meistens merkwürdig ungeschickt bei der Lösung selbst des einfachsten kriminalistischen Rätsels erwiesen, aber Kalle fühlte jedenfalls, dass es gemeinsame Bande zwischen ihm und Wachtmeister Björk gab. (Lindgren, S. 74 f.)

Die Mischung aus gesundem Selbstbewusstsein und kindlicher Naivität macht Kalle einerseits zu einem sympathischen Protagonisten, andererseits bringt sie ihn auch in Gefahr, sodass er am Ende selber einsieht, dass man sich in wirklich akuten Gefahrensituationen doch auf die Polizei verlassen kann und sollte.

Die Welt erlebt einen ständigen Wandel, und doch sind Detektivfiguren wie Kalle Blomquist nahezu zeitlos. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch aufgrund der Möglichkeit des interaktiven Lesens und des Mitratens, erfreuen sich Detektivgeschichten nach wie vor großer Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen. Mit der Kalle Blomquist-Trilogie wagte Astrid Lindgren zum ersten Mal den Schritt in das Genre der Detektivromane für Kinder. Die Bücher über den jungen Meisterdetektiv gelten, ebenso wie Erich Kästners Emil und die Detektive, als Vorreiter des Genres. Während das Verbrechen in Kalle Blomquist – Meisterdetektiv noch vergleichsweise harmlos ist, geschieht im zweiten Teil der Trilogie ein Mord; bei dieser Thematik handelt es sich um eine Ausnahme in der Kinderliteratur im Allgemeinen. Damit verstößt Lindgren auch gegen ein „ungeschriebene[s] Gesetz der Kinderkrimis“ (Krieg 2002, S. 130), da die normalerweise in der Kinderliteratur dargestellten Verbrechen deutlich harmloser sind. Der Unterschied zwischen der unbeschwerten Kindheit der Protagonisten, in denen Morde nur in der Fantasie des jungen Detektivs geschehen, und der brutalen Realität wird hier erkennbar und auch Kalle ist entsetzt über den realen Mord. Obwohl Lindgren als Verfasserin der Trilogie Kinderliteratur mit Kriminalität verbindet, weist sie durch ihren Umgang mit dem Thema darauf hin, dass „Kindern so lange wie möglich ihre heile Welt […] erhalten [bleiben sollte], da das Schreckliche der realen Welt noch früh genug in ihr Bewusstsein dringe“ (Krieg 2002, S. 132; vgl. auch S. 130 ff.).

Fazit

Spannend und unterhaltsam erzählt Astrid Lindgren den ersten Fall des Meisterdetektivs Kalle Blomquist. Für Kinder (und Erwachsene) ab 10 Jahren sehr zu empfehlen – ein Klassiker, der in keinem Bücherschrank fehlen sollte und für den man nie zu alt ist.

Weitere Abenteuer von Kalle und seinen Freunden lassen sich in Kalle Blomquist lebt gefährlich sowie Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus finden.

 


Literatur

Krieg, Alexandra: Auf Spurensuche. Der Kriminalroman und seine Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart. Marburg: Tectum Verlag, 2002.

Titel: Kalle Blomquist - Meisterdetektiv
Autor/-in:
  • Name: Lindgren, Astrid
Originalsprache: Schwedisch
Originaltitel: Mästerdetektiven Blomkvist
Übersetzung:
  • Name: Cäcilie Heinig
Illustrator/-in:
  • Name: Jutta Bauer
Erscheinungsort: Hamburg
Erscheinungsjahr: 1996
Verlag: Oetinger
ISBN-13: 978-3-7891-4127-0
Seitenzahl: 160
Preis: 13,00
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Lindgren, Astrid: Kalle Blomquist - Meisterdetektiv