Inhalt

Die Welt hat sich in eine große Wüste verwandelt. Ob der dystopische Roman der französischen Schriftstellerin Marie Pavlenko in einer nahen oder ferneren Zukunft spielt, wird nicht klar gesagt. Bäume sind selten, die Artvielfalt von Tieren und Pflanzen hat einen massiven Rückgang erlitten und Wasser ist nur noch in Form von Gel erhältlich. Holz dient den Menschen als wichtiger und besonders wertvoller Rohstoff, den die Wüstenbewohner an ferne Großstädte verkaufen. In dieser Welt wächst Samaa auf, die sich mit der Jägergruppe auf die Expedition nach verblieben Bäumen machen möchte. Dies ist zum einen ihrer Abenteuerlust und Neugier geschuldet. Zum anderen möchte sie in die Fußstapfen ihres bei einer Jagd tödlich verunglückten Vaters treten. Allerdings dürfen sich in dieser Gesellschaft nur Männer der Gruppe anschließen. Nichtsdestoweniger macht sich die Halbwaise mit der nötigen Ration Energieriegel und Gel auf den Weg, indem sie der Gruppe heimlich folgt. Dabei stürzt sie jedoch in ein großes Loch, wo Wasserquellen sprudeln und Bäume gedeihen. Die Quelle sichert ihr Überleben, während ein Baum ihr Schatten spendet. Samaa schließt eine Art Freundschaft mit ihm. Sie versteht nun, was es heißt, in einer lebenswerten und -bewahrenden Welt zu leben. 

Kritik

In einer kurzen Rahmenhandlung, in der die Welt dank der Menschen offenbar zu neuer Fruchtbarkeit gefunden hat, wird zu Beginn angekündigt, dass eine zeremonielle Lesung über die Geschichte Samaas folgt, die weit zurückliegt. Es wird dabei kein Wort darüber verloren, in welchem geographischen Setting sich die Geschichte um die Ich-Erzählerin Samaa ereignet. Es ist lediglich von der Wüste und den geheimnisvoll wirkenden Großstädten die Rede, die die Hauptfigur aber selbst nie zu Gesicht bekommt. Genau diese Leerstellen machen diesen Roman interessant. Dadurch, dass er sich weder zeitlich noch örtlich genau bestimmen lässt, kann Samaas Geschichte an jedem denkbaren Ort zu einer beliebigen Zeit in der Zukunft spielen. 

Offensichtlich hingegen ist, dass die Welt der Haupthandlung unter den Folgen des Klimawandels leidet, auch wenn dies lediglich durch die Beschreibungen der Ich-Erzählerin verdeutlicht wird. Da Samaa unter diesen widrigen Bedingungen aufwächst, erachtet sie diese Welt als selbstverständlich. Die Erzählungen der Ältesten, die aufgrund ihrer Gebrechlichkeit im Exil lebt, betrachtet Samaa zunächst kritisch: Wie soll es möglich sein, dass Bäume und Insekten, die sogenannten „Inxeten“, Leben spenden, in dem sie den ökologischen Kreislauf regulieren? Die Zusammenhänge erscheinen der Ich-Erzählerin fremd. Erst als sie selbst einen Baum entdeckt, erkennt sie die kleinen Details im großen Kreislauf des Lebens und träumt von einer Welt, die die Älteste noch erlebt hat. 

Eine Stärke des Romans besteht in der Wahl der zunächst naiv scheinenden Erzählerin Samaa, die ihre Welt unvoreingenommen wahrnimmt. Im Laufe ihrer Entwicklung erwacht in ihr die Sehnsucht nach jener lebenswerteren Welt von früher, die sie nur aus Erzählungen kennt. Ihren Erkenntnisprozess durchläuft Samaa im Mittelteil des Romans, in dem sie auf sich, den Baum und die Natur zurückgeworfen ist. Da es bis auf wenige Rückblenden aus ihrer Kindheit keine Interaktion mit anderen Figuren gibt, gewinnen diese Passagen besondere Intensität. Samaa schärft ihren Blick nicht nur für Zusammenhänge, sondern auch für Details und sieht in der Spinne Tewida eine treue Freundin. Allerdings enthält der Mittelteil zuweilen Längen, obgleich die einzelnen Abschnitte sehr kurz und teilweise in einem stakkatoartigen Stil formuliert sind. Demgegenüber stehen die detailverliebten poetischen Beschreibungen, in denen Samaa zum ersten Mal in ihrem Leben bestimmte Tiere, wie beispielsweise Vögel, sieht:

"Ihr Körper ist von seltsamen breiten, bunten Haaren bedeckt. Ihre Augen sind schwarz und riesengroß, ihr Gesicht geht in eine dreieckige Spitze über. Die Spitzen öffnen sich und ich stelle fest, dass es ihre Münder sind." (S. 147).

Hervorzuheben ist überdies, dass Pavlenko durchweg auf den pädagogischen Zeigefinger verzichtet – und doch vermag der Roman jungen Leser*innen ohne belehrenden Ton die Botschaft nahezubringen, dass Natur und Umwelt in Zeiten des Klimawandels als bewahrenswertes Gut zu erhalten sind.  

Fazit

Pavlenko entwirft eine Zukunftsgesellschaft, die mit den Folgen der Klimaerwärmung leben muss. Vor allem aber steht die Geschichte Samaas im Vordergrund, die allmählich lernt, welchen lebensbejahenden Wert die Natur hat. Der Roman ist geeignet für Leser*innen ab zehn Jahre. 

Titel: Pavlenko, Marie: Die Welt, von der ich träume
Autor/-in:
  • Name: Pavlenko, Marie
Originalsprache: Französisch
Originaltitel: Et le désert disparaîtra
Übersetzung:
  • Name: Cornelia Panzacchi
Erscheinungsort: Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Thienemann
ISBN-13: 978-3-522-18557-8
Seitenzahl: 176
Preis: 13,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Pavlenko, Marie: Die Welt, von der ich träume