Inhalt

Weil die Mutter der 16-jährigen Stiefschwester Josefine des Protagonisten nach einer Krebs-OP in die Reha muss, zieht das Mädchen für einige Wochen bei Maltes Familie ein. Josefine hört gerne laute Musik, trägt bunte Haare und Piercings und schwänzt wiederholt den Unterricht an der neuen Schule. Doch hinter dieser rebellischen Fassade verbirgt sich nicht nur ein empfindsames Mädchen, das mit der Krankheit der Mutter hadert, sondern auch eine über Jahre angestaute Einsamkeit und tiefsitzende Wut, die Josefine empfindet, seit der Vater ihre Mutter für Maltes Mutter verlassen hat. So fordert die Anwesenheit des Mädchens den routinierten Alltag der Familie mehr als heraus.

Gleichzeitig wird Maltes Leben in der Schule durcheinandergewirbelt: Die gleichaltrige Lale aus der benachbarten IGS wird in die Mathe-AG aufgenommen, um dort ebenfalls für die Mathematikolympiade zu trainieren. Jetzt steckt Malte in einem verzwickten Gefühlchaos: Er findet Lale unglaublich nett und hübsch, doch wie soll er diese erste Verliebtheit mit der Tatsache in Einklang bringen, dass es sich bei Lale um seine stärkste Konkurrentin handelt?

Als sich dieser innere Kampf mit der verstörenden Entdeckung eines gehüteten Familiengeheimnisses paart, gerät Maltes Welt aus den Fugen. Malte findet heraus, dass sein Vater noch mit seiner anderen Familie zusammenlebte, als seine Mutter mit ihm schwanger wurde. Damit wird ihm bewusst, dass sein Vater sich damals nicht nur zwischen zwei Frauen, sondern auch zwischen zwei Kindern entscheiden musste. Und dass er, Malte, der Grund dafür ist, dass Josefine ohne Vater groß werden musste. Es beschleichen ihn Zweifel: Haben seine Eltern ihn überhaupt haben wollen?

Mit diesen Entdeckungen zerbröckelt also das Bild der harmonischen Kleinfamilie und dem Jungen wird schmerzlich bewusst: Er wird nicht immer das behütete Kind bleiben, das von Sorgen und Wahrheiten abgeschirmt werden kann – und will.  

Kritik

Schön wie die Acht ist ein unterhaltsamer und sensibler Coming-of-Age-Roman, der aus der Ich-Perspektive Maltes von den Herausforderungen des Erwachsenwerdens erzählt. Besonders überzeugend gelingt es der Autorin Nikola Huppertz, Maltes emotionalen und kognitiven Wandel durch sprachliche Bilder zum Ausdruck zu bringen, allen voran durch die Zahlenmetaphorik: Das Mathe-Ass hat bisher immer versucht, die Welt zu ordnen und logisch zu berechnen – doch das gelingt ihm nach Josefines und Lales Auftauchen immer weniger. Dass die Zahlen im Roman diesen inneren Wandel illustrieren, macht Huppertz unmissverständlich klar, wenn sie Malte schon zu Beginn der Handlung über seine frühe Kindheit reflektieren lässt: 

Und ich muss daran denken, wie es war, als ich als kleines Kind nur die natürlichen Zahlen kannte, zum Beispiel die Drei wie Mama-Papa-Malte und die Fünf wie die Finger an jeder Hand und natürlich die Acht, die schöne Acht. Aber dann, irgendwann, ist mir klargeworden, dass es auch negative Zahlen gibt die weniger darstellen als nichts, und Brüche, die eher Verhältnisse von Zahlen sind, und irrationale Zahlen mit ihren nicht enden wollenden Nachkommastellen, Ich habe geweint und geweint, doch das hat nichts genützt, es nie wieder so geworden wie vorher. (S. 62)

Diese poetische Schreibweise steht bewusst im Kontrast zu Maltes rationalem Zugriff auf die Welt und bietet den Lesenden damit Anlass, auch über die erzählerische Inszenierung von Maltes Wandel und Ausbruch aus der Kindheit zu reflektieren. 

Doch nicht nur die Eltern-Kind-Beziehung (sowohl von Malte zu seinen Eltern als auch von Josefine zu ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Stiefmutter) und die Emanzipation von den Eltern stellen ein zentrales Thema der Erzählung dar. Besonders die Geschwisterbeziehung von Malte und Josefine spielt eine tragende Rolle und wird von Huppertz feinfühlig inszeniert – und durch eine der wenigen großflächigen kräftigen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Barbara Jung berührend hervorgehoben (S. 185). Huppertz zeichnet zwei sehr unterschiedliche Geschwister, die jedoch von Beginn an durch ein zunächst loses, dann immer festeres unsichtbares Band verbunden sind. Während Malte die Zahlen braucht, um seine Gefühle auszudrücken, liebt Josefine die Poesie und schreibt sogar selbst Gedichte. Diese selbst verfassten Gedicht, die häufig um Gefühls- und Identitätsfragen kreisen, werden immer wieder in den Text hineinmontiert.

Mit den zitierten Gedichten gewährt Hupperts einen intimen Einblick in die Gefühlswelt Josefines, die den Lesenden ob der gewählten Erzählperspektive sonst nicht oder nur gefiltert zugänglich wäre. Gleichzeitig fungieren Josefines Gedichte als Kontrast zu Maltes berechnendem Weltzugang und werfen die allgemeine Frage auf, wie (junge) Menschen ihre Gefühle ordnen, verarbeiten und ausdrücken können.

In der Tat ist es die Figur Josefine, die in der Geschichte am überzeugendsten gestaltet ist. Der weiche Kern des schwarzgekleideten Mädchens, das ständig die Musik viel zu laut aufdreht und die Schule schwänzt, wird in ihren Gedichten deutlich. Besonders spürbar wird dabei Josefines unendliche Wut – eine Wut auf den Vater, der ihre Mutter verlassen hat, die sich nun mit der Wut auf den Krebs paart, an dem ihre Mutter erkrankt ist.

Die Krankheit selbst wird im Text recht blass vorgestellt. Dies ist zwar insofern stimmig, als dass das Buch eben nicht von Krebs, sondern vom Erwachsenwerden und von Familien erzählt; dennoch wirkt der Umgang mit dem ernsten Thema teilweise ein wenig hölzern. 

Dies mag auch daran liegen, dass bei der großen Themenfülle des Romans eine ebenbürtige souveräne Ausgestaltung aller eingebrachten Motive kaum möglich ist. Tatsächlich behandelt der Roman sehr viele Aspekte auf einmal: das erste Verliebtsein, die Emanzipation vom Elternhaus, die Frage nach wahrer Freundschaft, Geschwisterbeziehungen, Familiengeheimnisse, Krebskrankheit, Schulerfolg … Mitunter wirkt der Roman so ein wenig überfrachtet und einzelne Themen leiden zu Gunsten anderer. 

Dazu gehört auch, dass alle erwachsenen Figuren seltsam hölzern wirken, besonders Maltes Mutter. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn diese Figuren wirklich nur den ausstaffierenden Charakter einer Nebenfigur hätten, doch da die Aufklärung des Familiengeheimnisses und das Ausloten der Beziehungen der verschiedenen Figuren zueinander zum zentralen Handlungsmoment wird, wirkt dies ein wenig störend. Ein wirkliches Mitfühlen mit Maltes Mutter, die schwanger von einem verheirateten Familienvater ist, stellt sich nicht ein, da sie kaum individuelle Züge trägt. Neben ihrer Arbeit im hauseigenen Arbeitszimmer ist sie vor allen Dingen damit beschäftigt, ständig Kakao zu kochen, zum Abendbrot zu rufen oder der Familie Waffeln aufzutischen. Und auch der Vater wirkt ein wenig zu stereotyp: Er zeichnet sich besonderes dadurch aus, dass er zur Arbeit fährt, sportlich und witzig ist. Das mag die kindlichen Leser und Leserinnen nicht weiter stören, aber gerade die stereotypen Rollenbilder der Eltern haben in einem Text, der offensichtlich junge männliche Leser in einer herausfordernden Lebensphase erreichen soll und mit damit gendersensibel aufwartet, einen faden Beigeschmack.

Überzeugender sind die Schulfreunde bzw. das Verhältnis Maltes zu den Schulfreunden gezeichnet. In Maltes Umgang mit dem älteren, ebenfalls mathebegeisterten Kolja und den gleichaltrigen Klassenkameraden Mats und Felix wird Maltes Sehnsucht nach einem Verstandenwerden deutlich. Auch zur Reflexion über Freundschaft regen diese Beziehungen an, zumal Malte selbst nicht genau weiß, was er eigentlich sucht: Will er in einer sturmfreien Bude Computer zocken oder lieber Sinusfunktionen knacken? Oder geht nicht vielleicht auch beides?

Gelungen ist außerdem gezeigt, welches Gefühlschaos Lale in Malte auslöst. Überzeugend kommt Maltes Überforderung zum Ausdruck, seine Zuneigung und Lales Konkurrenz unter einen Hut zu bringen. Als er sie in der Mathe-AG unkontrolliert anschreit und ihre Hilfe bei den Vorbereitungen auf die Matheolympiade zu stolz ablehnt, weiß er später selbst nicht, wieso er das getan hat. Scham und Traurigkeit machen sich in ihm breit:

[…] habe keine Ahnung, warum ich getan hab, was ich getan hab. Ob ich es überhaupt selbst getan hab, […] ob ich die Worte in meinem geformt hab oder ob sie mir ein böser Jemand hineingelegt hat. (S. 167)

Doch am Ende weiß Malte, dass er Verantwortung übernehmen und sich bei Lale entschuldigen muss. Dies ist der zweite zentrale Handlungskonflikt im Roman, der am Ende überzeugend aufgelöst wird – und zwar vor allen Dingen durch Josefines Hilfe, womit also erneut die Geschwisterbeziehung zum Dreh- und Angelpunkt des Romans wird.

Bis zu dieser Auflösung wird die Geduld der Lesenden allerdings etwas auf die Probe gestellt, was eben auch daran liegt, dass die vielen unterschiedlichen Handlungsstränge zu Ende geführt werden müssen: Fährt Malte zur Matheolympiade? Finden Josefine und der Vater zueinander? Wird es Josefines Mutter nach der Reha besser gehen? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Josefine und Malte, wenn diese wieder abreist? Wird Malte sich mit Lale vertragen? Wird sich die Freundschaft zwischen Kolja und Malte stabilisieren? Wie wird sich die Freundschaft zwischen Maltes, Mats und Felix entwickeln? 

Nach einigen Längen erhalten die Lesenden Antworten auf diese Fragen und werden zum Schluss mit einem gelungenen metaphorischen Moment belohnt, wenn Malte Lale ein selbstverfasstes Gedicht schenkt, das die letzte Seite des Buches füllt und den Titel "Schön wie die Acht" trägt.

Fazit

Trotz der latenten thematischen Überfrachtung und einigen Längen ist Schön wie die Acht unbedingt zu empfehlen. Huppertz erzählt schwungvoll und mitreißend, die Sätze sind klar und dabei poetisch. Mit der eingebrachten Metaphorik und deren Reflexion auf einer Metaebene schafft Huppertz eine elegante Korrespondenz zwischen dem Was und dem Wie der Erzählung, die auch junge Leserinnen und Leser nachvollziehen können und die so zur Wahrnehmung von Literatur als ästhetisch vielschichtiges Kunstwerk beitragen kann.

Der Roman eignet sich für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren. Maltes Fragen, die Kämpfe mit Freundschaften, den Eltern, mit sich selbst oder das erste Verliebtsein entsprechen unbedingt dem Lebensgefühl von jungen Menschen, die langsam beginnen, ihre Kindheit hinter sich zu lassen. Nicht zuletzt liegt hier ein Buch vor, dass das Thema Patchwork-Familie erfrischend authentisch behandelt, wenn Verletzungen, Erwartungen, Geheimnisse, Trauer und Wut sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen auf den Tisch kommen dürfen.

Titel: Schön wie die Acht
Autor/-in:
  • Name: Huppertz, Nikola
Erscheinungsort: München
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Tulipan Verlag
ISBN-13: 978-3-86429-484-6
Seitenzahl: 224
Preis: 14,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Huppertz, Nikola: Schön wie die Acht