Inhalt

Der Titel Alles wird gut, immer ist die Beschwörungsformel von Alices Mutter, mit der sie den Herausforderungen der ärmlichen Verhältnisse ihrer siebenköpfigen Familie begegnet. Für Alice wird die Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Formel ein Coming-of-Age-Akt. Sie muss lernen, den Kriegsalltag, die Flucht, Krankheit und Tod in ihrer Familie mit dem Credo ihrer geliebten Mutter in Einklang zu bringen.

Alice wächst glücklich als mittleres von fünf Geschwistern (Clara, Jules, Rosa und Oscar) auf. Mit ihrer besten Freundin Johanna erkundet sie den Heimatort Ypern, der heute vor allem für die verheerenden Schlachten bekannt sein mag, die dort geschlagen wurden; für Alice war ihr Herkunftsort zunächst noch selbstverständlich ein Ziel der ersten Geflüchteten – "ein[] kleine[r] Streifen Belgiens, der noch nicht von den Deutschen besetzt war. Die sicherste Ecke der Welt." (S. 18)

Wie klein Belgien ist, wird zu Beginn der Erzählung über ein Geschenk dargestellt, das die Autorin gleichzeitig geschickt dazu einsetzt, um in die Familienzusammenstellung von Alice einzuführen:

"Das war das schönste Geschenk der Welt und wir hatten es einfach so bekommen.
Es war die Welt selbst.
Eine Blechkugel, fußballgroß, mit allen Ländern darauf.
‚Was ist das viele Blaue?‘, fragte Clara.
‚Das ist das Meer‘, sagte Rosa.
‚So viel Meer.‘
Es klang wie ein Seufzer.
Ich schüttelte die Kugel. Innen drin klapperte etwas. Ich zog und drückte. Aber meine Hände waren zu klein, um die beiden Hälften auseinanderzubekommen, meine Finger nicht kräftig genug. Ich rutschte bei Russland und Afrika ab.
Zum Glück waren da die Hände meines Vaters. Groß, stark, rau und sanft. Die Hände eines Tischlers. Er hielt die Kugel mit beiden Händen fest und drehte sie. Kraftvoll und vorsichtig, genau so, wie er alles machte. Genau so, wie er war.
‚Bonbons!‘ rief Clara.
Alle fünf durften sich eines aussuchen. Zuerst Clara, die mit ihren fünf Jahren die Jüngste der Rasselbande war. Danach Jules. Und ich. Und schließlich Rosa. Große, kluge, brave Rosa.
[…] Clara zupfte [Oscar] am Ärmel.
‚Lutschbonbon?‘
Oscar schüttelte den Kopf und lächelte. […] Er rollte Tabak und Papier zusammen ein, leckte einmal schnell daran und hielt Clara die Zigarette unter die Nase.
‚Das ist was zum Lutschen für große siebzehnjährige Jungs‘, sagte er augenzwinkernd." (S. 5-6)

Der Globus erfährt durch das Kriegstreiben eine Bedeutungswendung. Er wird zum Leitmotiv des Romans, der die verschiedenen Abschnitte – Frieden, Krieg, Flucht, Rückkehr – miteinander verbindet. Kurz vor ihrer Flucht gräbt Alice den Globus im Garten ein. Darin hat sie wichtige Erinnerungsstücke versteckt: Ein Märchenbuch, ihre Puppe, das Kleid ihrer älteren Schwester, in das sie während ihrer Abwesenheit hineinzuwachsen hofft, ein Brief Johannas und ein Familienfoto. Bei ihrer Rückkehr gräbt sie den Globus aus. Sie stellt fest, dass sie nicht nur für Rosas Kleid, sondern auch für andere Erinnerungsstücke zu groß geworden ist. Johannas Brief und das Familienfoto mit den verstorbenen Angehörigen sind Reliquien einer vergangenen Zeit, die für Alice die Bedeutung der Beschwörungsformel ihrer Mutter offenbaren.

Kritik

Vereecken gelingt es mit ihrem Roman, die Auswirkungen des Krieges darzustellen, indem sie kindliche Weltanschauung mit der erwachsenen Realität konfrontiert. Dass sich dabei die kindliche Welt derjenigen der Erwachsenen immer mehr annähert, wird an vermeintlich unschuldigen Spielereien deutlich. Alice will nach der Schule „normal“ spielen, denn ihr Lehrer hat der Klasse dazu geraten, sich auch im Kriegsalltag normal zu verhalten (vgl. S. 22). Das Spiel scheitert zunächst daran, dass weder sie noch Johanna wissen, woran man den Unterschied zwischen "[n]ormal sein oder sich normal verhalten“ und dem Gegenteil festmacht. Schließlich probieren sie es doch: "Bis wir in Lachen ausbrachen und beschlossen, dass sich normal zu verhalten blöd war.“ (S. 22) Später spielt Alice mit ihren Geschwistern Krieg, doch niemand möchte die Rolle der "Deutschen“ (S. 35) übernehmen. Die Mädchen spielen aufgrund der von ihnen getragenen Röcke schließlich Schotten oder Krankenschwestern. Dass Alice bei diesen Spielen bewusst ist, wie ihre Welt mit jener der Erwachsenen kollidiert, zeigt sich z. B. anhand dieser Passage: "Manchmal, wenn meine Eltern uns nicht hören konnten, spielte ich mit Jules, dass wir flohen.“ (S. 27)

Schließlich werden all diese Spiele von der Realität eingeholt: Die Familie muss vor Bomben und Senfgasangriffen fliehen, der Krieg ist eine Zerreißprobe für den Zusammenhalt der Familie, was sich insbesondere am Verhältnis zwischen dem Vater und dem ältesten Sohn Oscar zeigt.

Gelungen übersetzt wurde das niederländischsprachige Original von Meike Blatnik. Sie hatte die schwierige Aufgabe, abzuwägen, welches belgische Allgemeinwissen dem deutschsprachigen Publikum fremd ist. Gekonnt webt sie die sprachlich besondere Situation Belgiens ein und vermittelt den Lesenden dabei subtil ein Stück Sprach- und Kulturwissen.

Fazit

Kathleen Vereecken beweist mit ihrem Roman einmal mehr, dass sie Kindern gesellschaftlich engagiert schwierige Themen näherbringen kann. Die Autorin scheut nicht davor zurück, den Kriegsalltag zu beschreiben, wird dabei aber nie schonungslos. Trotz des thematisch herausfordernden Inhalts eignet sich das Buch durch die zugängliche Darstellung zur selbständigen Lektüre für Kinder ab 10 Jahren.

Titel: Alles wird gut, immer
Autor/-in:
  • Name: Vereecken, Kathleen
Originalsprache: Niederländisch
Übersetzung:
  • Name: Blatnik, Maike
Illustrator/-in:
  • Name: Völk, Julie
Erscheinungsort: Hildesheim
Erscheinungsjahr: 2021
Verlag: Gerstenberg
ISBN-13: 9783836960618
Seitenzahl: 144
Preis: 14,00 €
Altersempfehlung Redaktion: 10 Jahre
Vereecken, Kathleen: Alles wird gut, immer