Inhalt

Rotkäppchen, die eigentlich Anna heißt und diesen Spitznamen wegen ihrer roten Kappe erhalten hat, erzählt in einer besonderen Kooperation mit dem Erzähler ihre Geschichte aus der Stadt Buchwalden an der Grimm. 

Auf dem Weg durch den Wald zu ihrer Oma entdeckt Rotkäppchen zunächst Pfotenabdrücke einer Wolfsfamilie. Diese wird über einen Steckbrief vorgestellt, in dem auch den Wolfs-Vorurteilen begegnet wird. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Wolf einen schlechten Ruf habe und eigentlich menschenscheu und eben kein „Märchenmonster“ (S. 13) sei. Danach findet Anna eine Spur aus Müll, die beim Bürgermeister, der den Namen Wolfgang Wolf trägt, endet. Dieser – und eben nicht sein tierischer Namensvetter – ist der Bösewicht der Erzählung, da er den Wald roden und ein Einkaufszentrum bauen möchte. „Rotkäppchen versteht die Erwachsenen nicht“ (S. 31): Nach ihrem Gespräch mit dem Bürgermeister setzt sie sich damit auseinander, dass zu wenig zum Schutz der Natur und des Klimas getan wird. Motiviert und unterstützt durch ihre Großmutter entschließt Rotkäppchen eine Wald-Demonstration zu veranstalten, um den Bau des Einkaufszentrums zu verhindern. Dieser Aktionismus wird von ihrer Mutter und anderen anfangs als „Schwachsinnsaktion“ (S. 40) betitelt, doch am Ende unterstützt „Fast die ganze Stadt“ (S. 46) die Aktion. Selbst die Bauarbeiter unterschreiben die Unterschriftenliste und so kann der Wald vor der Rodung bewahrt werden. Die Geschichte endet mit dem Handlungsaufruf „Jetzt […] retten wir den Planeten!“ (S. 47). 

Kritik

Das Werk ist geprägt von den unterhaltsamen Interaktionen zwischen dem Erzähler und Rotkäppchen, die sich bezüglich des Erzählziels und -stils nicht immer einig sind. So legt Rotkäppchen beispielsweise bereits am Beginn der Erzählung ihr Veto ein:

Es war einmal ein Mädchen und das hieß Rotkäppchen. ,STOPP!‘, ruft Rotkäppchen in die Geschichte hinein. ,Können Märchen nicht einmal anders anfangen? Nicht immer mit: Es war einmal, es war einmal. […] Wie wär's mit einem Nicht-Märchen?‘ (S. 3)

In diesen humorvollen Dialogen tritt meist Rotkäppchen als Wissensvermittlerin auf und erklärt so dem intradiegetischen Erzähler, dass der Wolf „bloß einen schlechten Ruf“ (S. 9) habe. Das Werk, welches aufgrund des Bilderbuch-Stils vermutlich meist von Eltern und Kind zusammen rezipiert wird, bietet viele Ansatzpunkte für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Thematik. Dabei lockern die ansprechenden Illustrationen und die Gespräche zwischen Erzähler und Rotkäppchen die Erzählung auf und dienen zugleich der faktischen Wissensvermittlung. Der Mythos des bösen Wolfes wird angegangen und begründet verworfen. Dabei wird zugleich auf den negativen Einfluss des Menschen auf Natur und Klima eingegangen. Das Buch schwankt zwischen Sachbuch und Belletristik und spart nicht an paratextuellen Anreicherungen, welche die Auseinandersetzung und fortschreitende Beschäftigung mit der Thematik anregen können, z. B. eine Ideenliste zum Schutz des Planeten, ein kindgerechter Verweis auf den WWF sowie ein Wolfsquiz. 

In dem sogenannten Nicht-Märchen werden die klassischen Merkmale des Originalmärchens humorvoll ausgehebelt: Nicht der Wolf ist der Bösewicht, sondern der Mensch und auch in der berühmten Unterhaltung zwischen Rotkäppchen und der Großmutter aus Grimms Märchen sind die Rollen vertauscht und das Gespräch inhaltlich an den ökologischen Stoff angepasst:

,Aber Rotkäppchen, warum hast du so hübsche Ohren?‘ […] ,Damit ich dich besser hören kann?‘ ,Damit du weghören kannst, wenn dir die Erwachsenen einreden wollen, dass du dieses oder jenes nicht kannst.‘ (S. 37)

Diese intertextuellen Bezüge finden sich immer wieder und verstärken den unterhaltenden Stil der Lektüre durch den Bruch mit dem Originalmärchen, was durch die narrative Metalepse noch verstärkt wird. Zugleich verdeutlichen sie, dass Altbekanntes, wie der Wolfs-Mythos, hinterfragt werden muss und unterstützen die Argumentation, dass jeder etwas bewirken kann, egal ob Kind oder Erwachsener. Somit kann Rotkäppchen rettet den Wolf. Ein Nicht-Märchen als ein emanzipierendes ökologisches Kinderbuch eingeordnet werden. 

Fazit

Das Buch Rotkäppchen rettet den Wolf. Ein Nicht-Märchen setzt sich exemplarisch mit dem menschlichen Einfluss auf Klima und Natur auseinander und veranschaulicht dies am Wolf, dessen wahre Natur im Werk auch angegangen wird. Dabei ist es sprachlich sowie inhaltlich (so wird beispielsweise die Au-Besetzung ohne eine nachfolgende Erklärung erwähnt) für ein Bilderbuch anspruchsvoll, weshalb die nachhaltige Lektüre eine erwachsene und ökologisch grundgebildete Erklärperson unerlässlich macht. Das Werk stellt eine optimistische Perspektive auf den kindlichen Einfluss in Klima- und Naturschutzfragen dar und motiviert durch die eigentliche Geschichte sowie paratextuelle Anreicherungen zum individuellen Umweltschutz. Durch den humorvollen Stil und die ausdrucksstarken Illustrationen von Gemma Palacio ist es dabei für Erwachsene vermutlich ebenso unterhaltsam wie für Kinder.

Titel: Rotkäppchen rettet den Wolf. Ein Nicht-Märchen
Autor/-in:
  • Name: Piuk, Petra
  • Name: Palacio, Gemma
Erscheinungsort: Graz, Wien, Berlin
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Leykam
ISBN-13: 978-3-7011-8229-9
Seitenzahl: 64
Preis: 15,00€
Altersempfehlung Redaktion: 6 Jahre
Piuk, Petra/ Palacio, Gemma: Rotkäppchen rettet den Wolf. Ein Nicht-Märchen